Lance Armstrong wird angeklagt:Ein Denkmal stürzt ein

Nun ist eingetreten, womit Szenekenner all die Jahre schon gerechnet haben. Lance Armstrong ist offiziell des Dopings angeklagt und erstmals in seiner Karriere für alle Wettkämpfe gesperrt. Der Klagebrief an den Mann, der als größter Radheld aller Zeiten gefeiert wurde, zeigt: Diesmal geht es für Armstrong um alles.

Andreas Burkert und Thomas Kistner

Seit einigen Tagen hatte sich Lance Armstrong wieder an der Côte d'Azur eingerichtet und dort trainiert, er besitzt immer noch ein Haus im edlen Küstenort Saint-Jean-Cap-Ferrat. Am 24. Juni findet im nahen Nizza der Ironman France statt, für den Rekordsieger der Tour de France sollte der Triathlon eine wichtige Station auf dem Weg zum insgeheim sicher angestrebten Sieg beim Ironman im Oktober auf Hawaii sein.

Lance Armstrong wird angeklagt: Armstrong bei Ironman in Panama: Auch mit Doping gehandelt?

Armstrong bei Ironman in Panama: Auch mit Doping gehandelt?

(Foto: AP)

Und eine Woche später beginnt ja die Tour 2012 (30.6. - 22.7.), der inzwischen 40-jährige Texaner hätte mal vorbeigeschaut bei seinem langjährigen Teamchef Johan Bruyneel, der ihn bei seinen sieben Erfolgen auf der Frankreichrundfahrt begleitete. Doch zumindest die Ironman-Zielgerade in Nizza auf der Promenade des Anglais wird Armstrong nun nicht beehren, und ob Manager Bruyneel bei der Tour seine RadioShack-Flotte anführen wird, dürfte auch nicht wirklich sicher sein.

Denn es ist nun das eingetreten, womit Szenekenner bei Armstrong all die Jahre rechneten, was der seltsame Radsportbetrieb und die Anwälte des Amerikaners aber auf wundersame Weise stets verhindern konnten: Der Athlet Lance Armstrong ist offiziell des Dopings angeklagt und erstmals in seiner Karriere für alle Wettkämpfe gesperrt.

Am Dienstag hat er Post von der amerikanischen Anti-Doping-Agentur (Usada) erhalten. Diese 15 Seiten, die der Süddeutschen Zeitung in Kopie vorliegen, haben es in sich. Sie könnten das ohnehin stark poröse Sportler-Denkmal Armstrong endgültig zum Einsturz bringen, ihn nachträglich seine sieben Tour-Siege kosten und sicher auch viel Geld. Auch das Tour-Peloton wird seit der ersten Berichterstattung über die Anklage durch die Washington Post am späten Mittwochabend in heller Aufregung sein.

Denn auch gegen Bruyneel und andere Betreuer wurde Anklage erhoben: Neben dem einflussreichen Boss Bruyneel, an dessen hochkarätigem Fusions-Team RadioShack Armstrong Anteile hält, bekamen auch der aktuelle Teamarzt Pedro Celaya, dessen spanischer Sportarzt-Kollege Luis del Moral (Valencia), der berüchtigte italienische "Dottore Epo" und Armstrong-Helfer Michele Ferrari sowie der spanische Coach Pepe Marti die Anklageschrift der Usada. Letzterer betreut seit Jahren den zurzeit wegen Dopings gesperrten früheren Toursieger Alberto Contador, der bei der Vuelta sein Comeback im Team von Bjarne Riis geben will.

In ihrem Klageschreiben vom 12. Juni hält die Usada fest, dass sie hier "nur einen Teil" der in den einstigen Armstrong-Teams "US Postal, Discovery Channel, Astana und RadioShack gesammelten Informationen" ausbreite. Unter den einvernommenen Zeugen, die alle zur Aussage bereit seien, befänden sich "mehr als zehn Radrennfahrer sowie Team-Angestellte", dazu weitere "Augenzeugen" von konkreten Vorgängen.

Die Bereitschaft, Dopingbetrug im Zeitraum von 1996 bis 2010 aufzuklären, sei mit einer Einschränkung groß gewesen: "Mit der Ausnahme von Herrn Armstrong war jeder von Usada angesprochene Fahrer bereit, aufrichtig und umfänglich über ihre Verwicklung in Doping und ihre Kenntnisse über andere Fahrer auszusagen."

Es folgt eine Auflistung verbotener Mittel und Praktiken, die angewendet worden seien. Vorneweg der Blutverdicker Epo. Hier beschreibt die Agentur ein konkretes Betrugskomplott: Zahlreiche Profis, die bei Postal und Discovery von 1998 bis 2007 fuhren, hätten berichtet, dass "Bruyneel, Teamtrainer Jose Pepe Marti und (...) der Mitverschwörer Michele Ferrari (...) Trainingspläne auf Basis von Epo-Gebrauch entwickelt und die Fahrer zur Benutzung angeleitet haben". Die Usada habe "Augenzeugenberichte erhalten, dass Epo-Injektionen von Dr. Luis del Moral, Pedro Celaya und Ferrari verabreicht worden sind".

Identisch gelagerte Vorwürfe beziehen sich auf Bluttransfusionen, zudem heißt es hier: "Zahlreiche Fahrer werden bezeugen, dass Armstrong von 2000 bis 2005 Bluttransfusionen nutzte, dass er bei der Rückführung von Blut beobachtet wurde, auch bei der Tour de France, und dass er Blutdoping-Ausrüstung in seiner Unterkunft hatte."

Des weiteren, schreibt die Usada, hätten Profis bezeugt, wie Sportarzt Ferrari eine Methode entwickelt habe, das Anabolikum Andriol mit Olivenöl zu vermischen, für die orale Einnahme - "und dass dieser Mix regelmäßig an die Teammitglieder verabreicht wurde". Das "Öl", wie es genannt worden sei, habe auch Armstrong fleißig genutzt, ebenso Testosteronpflaster und anderes: Überdies seien Wachstumshormon und Kortikoide verabreicht worden, dazu Plasma- und Salzlösungen.

Letztere wurden gebraucht, weil der Weltverband UCI ein Bluttestprogramm aufgelegt hatte und Fahrer mit Hämatokrit-Werten über 50 (Anteil der roten Blutkörperchen, d. Red.) mit Gesundheitssperren belegte: "Um die Entdeckung von Blutdoping und das Überschreiten des Hämatokritwertes zu vermeiden, haben die Beschuldigten verbotene Techniken von Salz-, Plasma- oder Glyzerin-Infusionen verwendet.

Viele Fahrer von 1998 bis 2007 sagten aus, dass der Hämatokrit stets von größtem Interesse für Teamdirektor Bruyneel war, und dass Trainer Marti und die Doktoren Celaya und del Moral Salz- und Plasma-Lösungen bei Fahrern infundiert haben." Auch bei Armstrong. Bruyneel und Mitstreiter hätten zudem "aktiv" daran gearbeitet, "eigene Regel-Verletzungen oder von anderen aus der Zeit von 1999 bis heute" zu kaschieren.

Handel mit Doping?

Teamchef Bruyneel wird nun zwei Wochen vor dem Tourstart von der Usada des Besitzes und Handels, der Verabreichung und Beihilfe im Hinblick auf eine ganze Liste an Dopingmitteln bezichtigt, "erschwerende Umstände" kämen hinzu. Ähnlich liegen die Fälle der Sportärzte Celaya, der zwischen 1999 und 2003 auch für das im Dopingsumpf untergangene Once-Team tätig war, del Moral und Ferrari, sowie bei Coach Marti. Als Sechster im Verschwörer-Bunde wird Lance Armstrong aufgeführt. Die Vorwürfe: "Gebrauch und/oder versuchter Gebrauch verbotener Substanzen", der Besitz, Handel, Vertrieb und Verabreichung derselben.

Zerstört wird von der Usada nun offenkundig auch Armstrongs ständige Behauptung der angeblich 500 negativen Tests: Von der Tour de Suisse 2001 liegen positive Tests von Armstrong vor. Das bestätigte laut der US-Agentur der Lausanner Laborchef Martial Saugy. Und, ebenso brisant: "Zahlreiche Fahrer erklärten, dass Armstrong ihnen gesagt hätte, er sei 2001 positiv getestet worden, die Ergebnisse seien jedoch vertuscht worden."

Einen entsprechenden Vorwurf hatte der Doping-Kronzeuge und einstige Armstrong-Intimus Floyd Landis vor einem Jahr gegen die UCI und Saugys IOC-Labor erhoben. Die UCI hatte das zurückgewiesen. Sie musste allerdings bestätigen, von Armstrong in den Folgejahren insgesamt 125 000 Dollar an Spenden erhalten zu haben. Nach Saugys mutmaßlicher Aussage drohen auch dem Weltverband erneut unangenehme Fragen.

Der Fall geht jetzt vor den Untersuchungsausschuss der Usada. Dort können sich Armstrong und seine einstigen Mitstreiter bis zum 22. Juni schriftlich äußern. Geht die Sache durch diesen Ausschuss, wird ein Schiedsgericht aktiv - und die Usada eine Liste von Sanktionen erstellen, die "bis zur lebenslänglichen Verbannung aus dem Sport" führen könne. Sollte es zu Anhörungen kommen, werden diese vor November stattfinden.

Der Klagebrief an den Mann, der als größter Radheld aller Zeiten gefeiert wurde und ein millionenschweres Stiftungsimperium unterhält (Livestrong), lässt keinen Zweifel: Es geht diesmal um alles für Armstrong. Er reagierte auf die Vorwürfe am Donnerstag in bewährter Manier: wütend und mit der Beteuerung, er habe nie gedopt.

Er bezeichnete die Usada als "von Steuergeldern finanzierte Organisation mit selbst geschriebenen Regeln", "das sind genau die gleichen Anschuldigungen, die das Justizministerium nach einer zweijährigen Untersuchung nicht weiter verfolgte". Diese seien "unbegründet und basieren auf Trotz und gekauften Geständnissen". Und weiter, siehe oben: "Bei mir wurden mehr als 500 Dopingkontrollen genommen und nicht eine davon war positiv."

Letzteres ist erwiesenermaßen falsch, schon bei seinem ersten Toursieg 1999 und bei nachträglichen Kontrollen aus diesem Jahr nach seinem ersten Rücktritt im Sommer 2005 hatte Armstrong positive Proben abgeliefert, die jedoch dank nachgereichten Attests und wegen passiver Verbände folgenlos blieben. Doch nun wird es ernst für Armstrong, viele Fakten und Worte stehen offenbar gegen seines.

Um welche Fahrer es sich unter anderem handelt bei den Zeugen, liegt auf der Hand: Armstrongs früherer Helfer Landis, der des Dopings überführte Toursieger von 2006, erhebt seit Jahren offen Vorwürfe gegen seine einstigen Chefs Armstong und Bruyneel. Auch der enttarnte Doper Tyler Hamilton beschuldigte ihn, Frankie Andreu und der noch aktive George Hincapie sollen ebenfalls vor der Grand Jury ausgesagt haben, welche die zweijährigen Ermittlung von Bundesagent Jeff Novitzky wegen Steuerdelikten in Zusammenhang mit Dopingbetrug gegen Armstrong geführt hatte.

Dessen Arbeit mündete im Februar nicht wie erwartet in einem Verfahren, sondern wurde per heftig kritisiertem Alleingang durch Andre Birotte eingestellt, den US-Bundesstaatsanwalt in Los Angeles. Birotte hatte nie mit den Ermittlern geredet, angeblich glühten politische Drähte, und die Usada kündigte damals an, Lance Armstrong nun eifriger jagen zu wollen. Sie hat Wort gehalten.

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