Lance Armstrong:Alles für die Sympathiewerte

Das Kalkül hinter Lance Armstrongs Stiftung gegen Krebs ist klar. Sie soll seine düstere Rolle als Sportler überdecken. Kam Armstrong unter Druck, richteten seine Helfer oder die Stiftung selbst das Augenmerk aufs Krebs-Thema. Die Konsequenzen reichen nun weit über sieben Tour-Titel hinaus.

Thomas Kistner

Nun fallen die Dominosteine. Lance Armstrong könnte ein Meineid-Prozess drohen, wie Jeff Tillotson, Anwalt der US-Versicherungsfirma SCA, am Freitag der SZ mitteilte. Auch Klageforderungen in insgesamt zweistelliger Millionenhöhe kommen auf Armstrong zu - von der SCA selbst, die ein Schiedsverfahren gegen den Texaner verlor, als die Firma die Tour-Siegprämien für 2002 bis 2004 wegen Dopings nicht zahlen wollte.

Aber auch die Sunday Times hat eine Millionenrechnung offen, nach einem einschlägigen Rechtsstreit mit Armstrong. All das rückt eine Einrichtung in den Fokus, die so gar nicht passen will in das von der US-Anti-Doping-Agentur und 26 Zeugen gezeichnete Bild des brutalen, mobbenden, erpresserischen Geschäftsmannes: Livestrong, seine Krebsstiftung. Der Pharmabetrüger als Philantrop?

Bei genauer Sicht auf die Livestrong-Stiftung (die im Fall missliebiger Recherchen auch mal ihre Anwälte aktiviert) kommt einiges ins Rutschen. Der 1997 gegründeten Einrichtung wird die Gesamteinnahme von rund 300 Millionen Dollar Spenden zugeschrieben; 75 Millionen erbrachte der Verkauf des gelben, von Armstrongs Ausrüster Nike entworfenen Armbandes. Wer nun glaubt, damit werde im Kern die Krebsforschung in Laboren unterstützt, liegt daneben.

Livestrongs Aktivitäten liegen, entgegen verbreiteter Wahrnehmung, vor allem in Patientendiensten, Vorsorge, Events und Kommunikation. Wobei sich das Bild aufdrängt, dass das wohltätige Profil des Stiftungschefs gefördert und dessen von Affären getrübte Strahlkraft nachpoliert werden soll. "Es ist eine Win-win-Situation", meint ein Sprecher der Wächtergruppe charitywatch, "er baut die Stiftung auf, und sie baut ihn auf."

Dublin, August 2009. Der erste globale Krebs-Gipfel ist ein imposantes Ereignis, folgt man der offiziellen Livestrong-Version. 500 Delegierte aus 65 Ländern sind versammelt, es gibt eine Parade der Landesflaggen, dann stellt ein neunjähriges Mädchen den Superstar des Gipfels vor: Lance Armstrong. Panels, Debatten, Deklarationen durchziehen den Tag, am Ende präsentiert ein Krebs-Überlebender noch einmal den Gipfel-Helden: Lance Armstrong, der eine Debatte mit Topmanagern von Nike, einem Investmentfonds und einem Pharmakonzern führt. Bezahlt wurde die Krebs- und Personality-Kampagne nach Recherchen des britischen Guardian mit sieben Millionen Dollar. Einem Viertel der Stiftungs-Jahresausgaben.

Seit jeher fällt in der Affäre auf: Kam Armstrong unter Druck, richteten seine Helfer oder die Stiftung selbst das Augenmerk aufs Krebs-Thema. Auch jetzt. Statt angesichts der objektiv erdrückenden Beweislast still zu halten, greift Livestrong-Präsident Doug Ulman die US-Anti-Doping-Agentur Usada an: "Die Usada scheint mehr von Öffentlichkeitswirksamkeit getrieben zu sein als davon, ihre Aufgabe zu erfüllen." Armstrongs Verdienst als Krebsbekämpfer sei unerreicht.

Offenkundiges Kalkül

Ulman tut sich oft mit solchen Erklärungen hervor. Im Juni stellte er gar Integrität und Beaufsichtigung der Usada in Frage. Für Chef Armstrong, dem neben Doping viele wüste Attacken gegen Mitarbeiter vorgeworfen werden, fand er Worte, die man gern Kranken widmet: "Unsere Herzen sind bei Lance und seiner Familie, die eine Zeit durchleben, die nur als sehr frustrierend und schwierig bezeichnet werden kann."

Lance Armstrong: Immer mit gelbem Bändchen: Lance Armstrong mit dem Symbol seiner Stiftung.

Immer mit gelbem Bändchen: Lance Armstrong mit dem Symbol seiner Stiftung.

(Foto: AFP)

Einen Höhepunkt der offenkundigen Verquickung von Stiftung und Interessen ihres Gründers beschrieb das Wall Street Journal im Juli. Es zitiert den Sprecher des republikanischen Abgeordneten Jose Serrano, der dem Haushaltsausschuss im Kapitol angehört. Ein von der Stiftung beauftragter Lobbyist hatte mit Serrano über die Förderung der Usada diskutiert; die Fahnder erhalten ja zwei Drittel ihres 15-Millionen-Etats aus Staatsmitteln.

Und weiter: "Serranos Sprecher sagt, der Lobbyist legte Bedenken zur Fairness des Usada-Prozesses dar." Dies sei sein Kernanliegen gewesen. Livestrong bestätigte, dass die Stiftung "im Kapitol aktiv gewesen" sei, fand die Darstellung aber "unpräzise": "Der Zweck der Visite scheint von Serranos Büro fehlgedeutet worden zu sein, denn das Thema Usada kam nur nebenbei auf."

Es steht außer Zweifel, dass die Stiftung vielen Krebsopfern geholfen hat. Aber auch, dass die Gemeinnützigkeit immer rigider als Schutzschild für den Sünder an der Spitze benutzt wird. Das legt nicht zuletzt die stete Nennung Livestrongs in Schriftstücken von Armstrongs Anwalts-Armada nahe. Mit Livestrong halten andere enge Verbündete Kurs, wie Sponsor Nike.

Das Kalkül ist offenbar, dass die Öffentlichkeit Armstrongs Kampf gegen Krebs höher ansiedelt als seine düstere Rolle als Sportler. Dass nicht ins Gewicht fällt, wie er andere Profis gemobbt und um Siege und Prämien brachte; wie er auch Teamgefährten "das Leben zur Hölle" machte. Und dass diese beeiden, wie er Droh-Mails verfasste und andere zum Dopen nötigte.

Doch Armstrongs einst enorme Sympathiewerte sind tief in den Keller gerauscht. Das Unbehagen wächst, viele fragen, ob so ein Mann weiter Inspiration für Millionen Verzweifelte sein kann. Wie tickt ein Wohltäter, der mit Millionenspenden hantiert - und zugleich eine Million Dollar allein an einen Dopingarzt zahlte, Michele Ferrari? Die Konsequenzen der Dopingaffäre reichen für Armstrong weit über die Tour-Titel hinaus, sie werden auch Livestrong berühren. In den USA wird schon debattiert, dass dies nicht die einzige Krebshilfe-Stiftung auf der Welt ist.

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