Es gibt dieses Ritual, das LeBron James vor Partien der Los Angeles Lakers veranstaltet: Er verteilt Kreide auf dem Tisch des Kampfgerichts, reibt seine Hände ein, pustet ein bisschen was auf die Zuschauer, und dann reißt er die Arme nach oben. Er sieht in dieser Pose aus wie ein Superheld, der seine magischen Kräfte durch Feenstaub bekommt.
Bei seiner Rückkehr am vergangenen Freitag nach 20 Spielen Verletzungspause hatte er ganz besonders viel Kreidestaub in die Luft geworfen; doch sieht es ein paar Tage später so aus, als wären das eher die Chancen seiner Lakers auf eine erfolgreiche Titelverteidigung gewesen, die gerade, puff, zu Staub werden.
Es läuft nicht bei den Lakers, sie haben sieben der letzten zehn Spiele verloren, vor dem Duell gegen den Stadtrivalen Clippers am Donnerstag liegen sie mit einer Bilanz von 37:28 auf Platz sechs der Western Conference - nur einen Sieg vor den Portland Trail Blazers und dem gefürchteten siebten Platz.
Die NBA hat wegen der verkürzten Saison die Regeln geändert und ein Mini-K.-o.-Turnier vor Beginn der Playoffs in beiden Conferences eingeführt, aus denen sich die nordamerikanische Basketballliga zusammensetzt: Die jeweiligen Sieger der Partie des Siebten gegen den Achten der Setzliste sind qualifiziert, die Verlierer spielen gegen die Sieger des Duells Neunter gegen Zehnter um den verbliebenen Platz.
Ja, es ist wirklich so dumm, wie sich das nun liest, James sagt dazu: "Wer sich das ausgedacht hat, muss gefeuert werden." James ist jedoch nicht nur deshalb kolossal genervt; es ist vielmehr so, dass den Lakers gerade die Zeit davonläuft. Sie haben so viele Baustellen, dass sie sämtliche Bauarbeiter von Los Angeles anheuern müssten, um bis zum Beginn der Playoffs am 22. Mai (das Mini-Turnier findet an den vier Tagen davor statt) tatsächlich noch als Favorit zu gelten.
Gewöhnlich lautet der Dreiklang für Titelkandidaten: für die Playoffs qualifizieren; die letzten Spiele der regulären Saison nutzen für Regeneration und Rhythmus-Finden; intensive, vor allem taktische Vorbereitung auf die Gegner, weil es in Best-of-seven-Serien nur noch gegen jeweils ein Team geht.
Die Lakers können all das nicht tun, aus vielerlei Gründen. Erstens: Der Knöchel von James ist doch nicht verheilt wie erhofft, er wird sicher gegen die Clippers und einen Tag später gegen die Trail Blazers fehlen - danach könnten die Lakers auf Platz sieben abgerutscht sein. "Ich will spielen, aber es hilft nichts, wenn ich nicht Vollgas geben kann", sagt er: "Ich muss topfit sein, wenn es drauf ankommt." Das Problem: Es kommt jetzt drauf an. Wären die Lakers bereits für die Playoffs qualifiziert, könnte sich James Zeit lassen - nun aber kommt es auf jede Partie an, und das führt zur nächsten Baustelle.
Der deutsche Spielmacher Dennis Schröder fehlt ebenfalls - zum zweiten Mal in dieser Spielzeit wegen den Covid-Regeln der NBA, jemand aus seinem Umfeld ist positiv auf das Virus getestet worden. Er ist, im Gegensatz zu vielen Kollegen, nicht geimpft und sagte: "Mit dem Impfen, das ist eine schwierige Sache für mich. Ich bin einer, der nicht gerne Schmerzmittel nimmt. Ich versuche immer, ohne diese ganzen Sachen auszukommen."
Er dürfte knapp zwei Wochen fehlen, also den Rest der regulären Saison, und von Lakers-Spielern ist zu hören, dass sich all das wie ein Déjà-vu anfühlen würde bei Schröder - der sagte, dass er keinesfalls in Quarantäne wolle: "Ich könnte das nicht mit mir selber ausmachen."
Nur James äußerte sich öffentlich, er blieb diplomatisch: "Das ist natürlich ein Rückschlag, wenn du zur Arena kommst und der Stamm-Spielmacher nicht im Kader ist. Wir müssen vollzählig sein, und wir müssen gesund sein." Es heißt, dass er nicht erfreut sei über diese erneute Pause für Schröder und auch darüber, dass Schröder öffentlich gesagt hatte, dass auch James noch nicht geimpft sei.
James ist 35, er war in den vergangenen drei Jahren zwei Mal länger verletzt, die Regeneration dauert mittlerweile ein bisschen länger. Anthony Davis, der dritte tragende Akteur des Teams, war ebenfalls lange verletzt (Wade, dann Ferse), sein Block am Ende der Partie gegen die Denver Nuggets am Montag (die Lakers gewannen 93:89) zeigte, wie wichtig er gerade in der Defensive ist. Kein Team kann den Titel gewinnen, wenn die drei prägenden Akteure fehlen, das sind bei den Lakers nun mal James, Davis und Schröder.
Die Lakers sprechen nicht mit einer Stimme
"LeBron hat sechs Wochen gefehlt, ich neun. Das verändert die Dynamik im Kader, den Rhythmus, wer wie oft den Ball bekommt", sagt Davis. Hinzu kommt, dass Manager Rob Pelinka kürzlich Center Andre Drummond geholt hat und der versucht, einen Draht zu den Mitspielern zu finden - gleichzeitig fordert Kollege Kyle Kuzma mehr Spielzeit für Center-Veteran Marc Gasol: "Ich glaube, es wäre gut für uns, wenn ich ein bisschen häufiger gemeinsam mit ihm auf dem Parkett wäre."
Sie sprechen gerade nicht mit einer Stimme, diese Lakers, doch war genau das die grandiose Stärke von James in den vergangenen Jahren, deshalb hatte er mit Miami Heat, den Cleveland Cavaliers und den Lakers in den vergangenen zehn Spielzeiten neun Mal die Finalserie erreicht und vier Titel geholt: Es gelang ihm jeweils vor den Playoffs, seine Mitspieler entweder hinter sich zu versammeln oder sie auf seine Schultern zu packen.
Mit James kam die Titel-Hoffnung
Sie hatten gehofft, dass es auch in dieser Saison passieren würde, und nichts verdeutlicht das so sehr wie die Artikel in der Los Angeles Times. Die Überschrift zur Rückkehr: "James ist zurück, und damit die Titel-Hoffnungen." Die nach der Meldung, dass er doch noch Spiele verpassen werde: "Die Lakers sind am Ende."
James freilich kennt solche Überschriften, er kennt auch die aktuelle Lage des Vereins. "Es ist mir völlig egal, auf welchem Platz wir landen", sagt er: "Wir wissen, wie gut wir sind, wenn wir gesund und vollzählig sind." Das ist der Satz, den sie hören wollen in Los Angeles; nun hoffen sie darauf, dass die Lakers in zwei Wochen gesund sein werden - und sich James beim Kreidestaub-Ritual doch wieder in einen Superhelden verwandelt.