Lärm bei den US Open:Permanent von Reizen überflutet

2014 US Open - Day 1

Sorgen für Stimmung: Fans von Andy Murray

(Foto: AFP)

In Flushing Meadows gehören Spektakel und Publikumsgebrüll zur Inszenierung. Nicht alle Tennis-Profis können sich konzentrieren, wenn die Zuschauer in permanenter Aufregung sind. Doch ein paar Unerschrockene lieben den Tumult.

Von Jürgen Schmieder, New York

Irgendwann konnte sich Andy Murray dann doch nicht mehr konzentrieren. Er spielte vor zwei Wochen in Cincinnati gegen John Isner, als plötzlich über den Lautsprecher Serena Williams zu hören war. Sie gab dem amerikanischen Sportsender ESPN ein Interview, mit dem die komplette Anlage beschallt wurde. Williams sprach über Mode und Fitness, später auch über Tennis.

Dabei erklärte sie, dass Murray ihr Lieblingsspieler sei - sie könne sich mit ihm identifizieren, weil er sich häufig "wie ein Baby" aufführen würde. Das Publikum johlte, Murray grinste, dann ging die Partie weiter. Es war die perfekte Vorbereitung darauf, was ihn in den kommenden zwei Wochen bei den US Open erwarten dürfte.

"Wir Spieler können uns daran gewöhnen, wenn es die ganze Zeit laut ist oder sich das Publikum ständig in Bewegung befindet. Mir macht ein bisschen Lärm nichts aus", sagt Murray: "Das Problem ist, wenn es absolut ruhig ist und dann jemand brüllt, aufsteht oder sich hinsetzt. Das lenkt einen ab." Diese Gefahr besteht in New York kaum, weil bei diesem Turnier nicht mehr zwischen Sport und Show unterschieden wird und permanente Reizüberflutung zum Standard erklärt wurde.

Aus den Lautsprechern dröhnt Musik, öffentliche Trainingseinheiten dienen eher der Volksbelustigung als dem Feinschliff der Grundschläge. Während der Partien sitzen auf den Tribünen nicht nur Connaisseure des gepflegten Rückhand-Slice, sondern viele Menschen, die mit ihrem Gebrüll den Lautstärken-Rekord von Michelle Lacher de Brito (French Open 2009, 109 Dezibel) brechen wollen.

Lärm gehört zur amerikanischen Sportkultur, jeder Profiklub beschäftigt mehrere Hofnarren, die Fans in regelmäßigen Abständen mit Ansagen und Gesten dazu auffordern, doch gefälligst lauter zu sein. Ein leises Publikum ist ein schreckliches Publikum.

"Ich kenne das von anderen Sportarten wie Basketball, dass die Menschen unterhalten werden und stets etwas passiert, wenn gerade wegen einer Auszeit nicht gespielt wird", sagt Novak Djokovic. Dass also Tänzerinnen eine Vorstellung geben, prägende Situationen auf Großleinwand wiederholt werden oder Mitarbeiter T-Shirts in jene Sektionen werfen, die beim Dezibel-Wettbewerb vorne liegen. Ernests Gublis aber sagt: "Wenn ich Tennis sehen möchte, dann will ich Tennis sehen. Wer Tänzerinnen sehen möchte, soll in einen Nachtclub gehen. Wer Lärm will, soll danach eine Bar aufsuchen."

Es geht darum, wie viel Spektakel erträglich ist für einen Akteur, der sich während des Seitenwechsels sammeln oder zwischen den Ballwechseln konzentrieren möchte. Bei Grand-Slam-Turnieren haben die Akteure 20 Sekunden Zeit, sich auf den nächsten Aufschlag vorzubereiten.

Das Publikum johlt und klatscht

Diese Regel war auch deshalb eingeführt worden, um Partien zuschauerfreundlicher zu machen. "Mir ist das kürzlich passiert, als ich ein paar Spiele gesehen habe", sagt Roger Federer: "Ich weiß nicht mehr, wer es war - aber sie haben so langsam gespielt, dass ich gesagt habe: Okay, das kann ich mir nicht mehr anschauen. Natürlich muss man sich konzentrieren, doch das kann man auch in zehn Sekunden machen."

Das ist bei den US Open nicht so einfach, wenn das Publikum johlt und klatscht. Tomas Berdych sagt: "Okay, lass die Leute ausrasten und länger wild sein, aber dann brauchen wir mehr Zeit." Für Federer wäre das eine Horrorvorstellung: "Man kann keine 25 Sekunden brauchen. Es kann doch nicht sein, dass wir gerade einmal zwei Punkte pro Minute sehen."

"Ich mag das, weil ich Energie spüren kann", sagt Sharapova

Es geht nicht nur um die Zeit zwischen den Ballwechseln, sondern auch währenddessen. Bei den US Open beginnt spätestens von zweistelliger Schlagzahl an das Geraune. "Man erwartet hier beinahe schon, dass die Menschen im Laufe eines Ballwechsels lauter und aufgeregter werden. Ich mag das, weil ich diese Energie spüren kann", sagt Maria Sharapova. Freilich gehört Sharapova selbst zu den lauteren Mitgliedern ihrer Zunft, während eines Ballwechsels wurden bei ihr bereits 101 Dezibel an Stöhngeräuschen gemessen - nicht immer zur Freude ihrer Gegnerinnen.

Denn während eines Ballwechsels ist nicht nur mangelnde Konzentration hinderlich. Murray erklärt, dass es zum Handwerk von Profis gehören würde, einen heranfliegenden Ball nicht nur mit den Augen zu identifizieren: "Wir hören, wie hart ein Ball geschlagen wird oder wie viel Spin er hat. Bei Musik oder anderem Lärm wird es schwierig, das richtige Timing zu finden oder Härte und Schnitt zu bestimmen."

Grundsätzlich scheinen sich die Spieler bis auf wenige Ausnahmen wie Gulbis mit dem Lärm in New York arrangiert zu haben. "So lange es konstant ist, sehe ich kein Problem", sagt Murray. Alles in Ordnung also, so lange ihm Serena Williams nicht wieder während einer Partie über Lautsprecher erklärt, dass er sich bisweilen benehme wie ein kleines Kind.

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