Süddeutsche Zeitung

Länderspiel:Warum Frankreichs Talente die Bundesliga lieben

Lesezeit: 2 min

Von Christof Kneer

Jan Schindelmeiser wohnt jetzt wieder in Köln, er wird es nicht weit haben am Dienstagabend. In der örtlichen Arena wird er die deutsche Nationalmannschaft sehen können, aber viel mehr dürfte den Manager interessieren, ob beim Gegner dieser dunkle Lockenkopf mitspielen wird: Benjamin Pavard, 21, Abwehrspieler beim Aufsteiger VfB Stuttgart, hat in dieser Woche ein Upgrade erfahren. Der französische U 21-Nationalspieler steht zum ersten Mal im Aufgebot der A-Nationalelf; am Freitagabend, beim 2:0 gegen Wales, hat er schon mal eine Halbzeit spielen dürfen.

Schindelmeiser, vor drei Monaten unter etwas rätselhaften Umständen beim VfB verabschiedet, hat Pavard vor anderthalb Jahren in Lille aufgespürt und zum damaligen Zweitligisten geholt, für einen eher zweitligaunüblichen Tarif von fünf Millionen Euro. Längst aber dürfte Pavard das Vier- oder Fünffache wert sein; in Stuttgart sind sie zurzeit damit beschäftigt, erste Avancen für diesen hochbegabten und nur noch ein bisschen leichtsinnigen Verteidiger abzuwehren.

Ernst gemeinte Zuschriften werden zum Beispiel aus Leipzig registriert. Kein Wunder: Die kennen sich aus.

Zwei junge französische Verteidiger und ein Stürmer unter Vertrag

Bei RB Leipzig stehen bereits zwei junge französische Verteidiger unter Vertrag, Dayot Upamecano, 19, und Ibrahima Konaté, 18, außerdem stürmt dort neuerdings Jean-Kevin Augustin, 20. So stehen die an Geld und Einfällen reichen Leipziger stellvertretend für den neuesten Transfertrend: Während die Bundesliga jahrzehntelang eher zufällig ein paar große Franzosen wie Lizarazu, Sagnol, Micoud oder Ribéry erwischte, ist die französische Liga inzwischen zum strategischen Ziel geworden.

Allein sieben junge bis sehr junge Franzosen ließen sich im Sommer von deutschen Erstligisten anwerben, neben den Leipzigern Augustin und Konaté kamen Corentin Tolisso (23, FC Bayern), Amine Harit (20, Schalke), Dan-Axel Zagadou (18, BVB), Abdou Diallo (21, Mainz) und Mickael Cuisance (18, Gladbach) ins Land. Zuvor waren bereits Kingsley Coman (FC Bayern, über den Umweg Juventus Turin) und Ousmane Dembélé in die Bundesliga eingewandert, wobei Letzterer sie gegen eine geringe Gebühr (105 Millionen plus X) bereits wieder verlassen hat.

Spektakuläres Potenzial

An Dembélé, 20, zeigt sich das spektakuläre Potenzial des neuen deutschen Lieblingslandes: In Frankreich wachsen herausragend ausgebildete Talente, denen die eigene Liga (mit Ausnahme von Paris Saint-Germain) inzwischen zu klein ist; gleichzeitig aber - und zum Glück für die Bundesliga - ist das traditionelle Zielland deutlich zu groß geworden.

Jahrelang hat es Frankreichs Talente direkt nach England gezogen, doch aufgrund ihres obszönen Reichtums gönnen sich die Premier-League-Klubs mehr und mehr und immer noch mehr internationale Topspieler, die Talenten dann den Weg in die erste Elf versperren. So hat sich unter Frankreichs 17- bis 22-Jährigen die Bundesliga als neue Lieblingsliga etabliert: Das Niveau in Deutschland ist hoch, der Sinn für junge Spieler ausgeprägt, und man kann es dort, siehe Pavard, zum Nationalspieler bringen. Oder sogar, siehe Dembélé, bis zum FC Barcelona.

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Quelle:
SZ vom 13.11.2017
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