Länderspiel in London:Wenn Engländer die Marseillaise singen

Im Wembley-Stadion unterliegt Frankreichs Nationalmannschaft 0:2 gegen England. Doch das Ambiente der Solidarität ist wichtiger als das Ergebnis - und der Fußball sendet eine Botschaft: Es geht weiter.

Von Thomas Hummel

Der Höhepunkt dieses Fußballspiels war erreicht, bevor es begonnen hatte. Es waren Zeichen des Zusammenhalts zwischen England und Frankreich. Auch Zeichen des Trotzes und des Widerstands, dass der Terror nicht alles verändern darf: Die Menschen dieser Länder stehen zusammen für ihre Werte. Auf einem Plakat auf den Tribünen stand: "Pray for Paris."

Im Londoner Wembleystadion sangen am Dienstagabend mehr als 70 000 Menschen zusammen die Marseillaise, die französische Nationalhymne. Die Franzosen lauthals, die Engländer versuchten es zumindest. Obwohl es nichts Schwierigeres für sie gibt, als französische Wörter korrekt zu singen.

Hinter einem Tor bildeten die Zuschauer mit Plakaten eine riesige Tricolore. Der Bogen über der Dachkonstruktion leuchtete blau, weiß und rot. Die Mannschaften standen zusammen zum Foto, es gab eine Schweigeminute. Prinz William sowie die Trainer Didier Deschamps und Roy Hodgson legten zum Gedenken an die mindestens 129 Terroropfer von Paris Kränze nieder. Die Spieler beider Teams trugen schwarze Armbinden.

In Hannover musste das Länderspiel zwischen Deutschland und der Niederlande wegen einer offenbar ernsten Bedrohung abgesagt werden. In London konnte der Fußball das gewünschte Signal senden: Es geht weiter, auch wenn das Wembleystadion einem riesigen Hochsicherheitstrakt glich.

Im Umfeld der Arena herrschte der pure Ausnahmezustand: Bewaffnete Polizisten patrouillierten vor und im Stadion. Hubschrauber kreisten über dem Gelände. Doch die Fans hatten sich nicht abschrecken lassen. Lediglich 100 Besucher hatten einem britischen Medienbericht zufolge im Vorfeld des Spiels ihre Tickets zurückgegeben.

"Nicht in der Lage, ein Spiel auf hohem Niveau zu bieten"

Vier Tage nach den Attentaten in Paris, als auch das Spiel gegen Deutschland im Stade de France durch drei Selbstmordattentäter betroffen war, spielte die französische Nationalmannschaft in England. Sie verlor 0:2, die Tore für die Gastgeber schossen Delé Alli (39.) und Wayne Rooney (48.), doch das spielte keine Rolle.

"Wir waren hier, aber wir waren weder physisch noch psychisch in der Lage, ein Spiel auf hohem Niveau zu bieten", erklärte Nationaltrainer Didier Deschamps. Auch für ihn war das Ambiente wichtiger als das Ergebnis. Zu den Ereignissen vor dem Anpfiff sagte er: "Wir waren alle vereinigt in diesen Momenten und das gibt uns viel Kraft, denn es hat uns alle sehr berührt. Das ist schön, bewegend, grandios und sehr stark."

Der französische Verbandschef hatte schon am Samstag entschieden, dass die Partie in London nicht abgesagt werden dürfe. Die Spieler waren sich darin nicht so sicher, folgten am Ende aber der Aufforderung. Mit dabei waren auch Mittelfeldspieler Lassana Diarra, der bei den Attentaten seine Cousine verloren hatte, und Angreifer Antoine Griezmann, dessen Schwester dem Anschlag auf die Konzerthalle Bataclan entkommen war. Beide saßen aber zunächst auf der Bank.

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Ungewöhnlicher Druck auf die jungen französischen Spieler

Es hatte den Spielern allerdings aufgestoßen, dass sie tagelang nicht nach Hause durften, sondern in der Sportschule Clairefontaine abgeschottet worden waren. Diese sehr junge Mannschaft musste tagelang einen ungewöhnlichen Druck aushalten. "Es war schwierig, denn wir wollten unser Land repräsentieren und die Familien der Opfer", sagte Mittelfeldspieler Yohan Cabayé.

Das Spielen fiel vielen merklich schwer. Eigentlich hätte man den Abend nach einer Viertelstunde abbrechen können. Gerade zu Beginn wussten viele nicht, wie hart sie in Zweikämpfe gehen, wie ernst sie das Ganze nehmen sollen. Als nach 39 Minuten der 19-jährige Debütant Delé Alli robust den Ball erkämpfte, blickten ihm die verdutzten Franzosen nur hinterher, Alli schoss das Leder wunderschön zum 1:0 ins entfernte Kreuzeck.

Nach Rooneys Volleyschuss zum 2:0 versuchten die Franzosen zwar, in der Offensive noch irgendwie etwas zustande zu bringen. Auch Bayern-Profi Kingsley Coman wirkte noch mit. Doch es fehlte am letzten Esprit und am letzten Willen, die englische Abwehr auszuhebeln.

Als das schwerste Länderspiel in der französischen Fußballgeschichte zu Ende war, wirkten die Spieler wie erlöst. Endlich konnten sie nach Hause zu ihren Familien und Freunden. Nur die Bilder dieses Abends, sie werden bleiben.

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