Süddeutsche Zeitung

Länderspiel gegen Italien:Nationalelf braucht die sammersche Gier

  • Die Nationalmannschaft will den enttäuschenden Auftritt gegen England vergessen machen. Mit Italien wartet am Dienstag aber ein schwerer Gegner (20.45 Uhr im SZ-Liveticker).
  • Doch die Lustlosigkeit an Testspielen hat sich anscheinend sogar auf die Fans des DFB-Teams übertragen.
  • Nun sollen vor allem die EM-Wackelkandidaten mit einem beherzten Auftritt die Leidenschaft wieder entfachen.

Von Martin Schneider

Nein, Matthias Sammer hat kein offizielles Amt mehr bei der Nationalmannschaft. Er war ja sechs Jahre lang Sportdirektor und zwei Jahre lang, von 2010 bis 2012, Nachwuchskoordinator des DFB und deswegen ist in dieser Nationalmannschaft immer noch ein Teil des sammerschen Werkes und des sammerschen Geistes.

2010 reiste Sammer zum Beispiel zu einem Freundschaftsturnier der U17 ins Saarland. Emre Can, jetzt Rechtsverteidiger bei Joachim Löw, war damals Kapitän der Jugendauswahl. Sammer sah sich ein Spiel gegen Israel an, sah ein souveränes 2:0 der Deutschen und sagte dann: "Es gehört auch mal dazu, so einen Gegner dann höher zu schlagen." Ein echter Sammer. Niemals zufrieden sein. Wenn das Navigationsgerät sagt: "Sie haben ihr Ziel erreicht" würde Sammer widersprechen. "Noch gar nichts haben wir erreicht."

Die deutsche Nationalmannschaft muss nun ohne Sammer in den Matthias-Sammer-Modus wechseln. Co-Trainer Thomas Schneider und Sami Khedira übernahmen das Mahnen am Montag bei der Pressekonferenz vor dem Spiel am Dienstag gegen Italien (20.45 Uhr im SZ-Liveticker). Das 2:3 gegen England hat "uns unter Druck gesetzt, dass wir liefern müssen gegen Italien", sagte Schneider. Und: "Klar ist das Ergebnis wichtig für uns". Was insofern eine wichtige Aussage ist, nachdem Joachim Löw vor dem England-Spiel noch gesagt hatte, man wolle das Ergebnis nicht über alles stellen.

Zu viele Solala-Spiele

Weiterhin ist ja nichts Dramatisches passiert, aber wahrscheinlich hat sich auch der Trainerstab mal die Bilanz seit der Weltmeisterschaft in Brasilien genauer angeschaut und festgestellt, dass vielleicht ein paar Solala-Spiele zu viel dabei waren. 16 Partien stehen in dieser Bilanz seit Rio, davon acht Siege (zwei gegen Gibraltar, zwei gegen Georgien) und sechs Niederlagen.

Da war zum Beispiel das 0:2 gegen Polen im Oktober 2014 in der EM-Qualifikation ("Ich bin enttäuscht", Joachim Löw), das 1:2 im Test gegen die USA ("In den entscheidenden Szenen fehlte uns die Entschlossenheit", Bastian Schweinsteiger) oder das 0:1 gegen Irland im vergangenen Oktober ("Müssen lernen, nicht so viele Chancen liegen zu lassen", wieder Löw).

Auch die Spiele, die die Mannschaft gewonnen hat, waren halbgar, wie das 2:1 im dann plötzlich entscheidenden letzten EM-Quali-Spiel gegen Georgien oder das 3:2 gegen Schottland, in dem die Elf zwischenzeitlich zweimal eine Führung verdaddelte. Wenn man nach einem überzeugenden Spiel der Nationalelf nach der WM sucht, findet man den 3:1-Sieg gegen Polen in Frankfurt. Das war's dann aber auch.

"Es ist ja nicht so, als wäre uns alles egal", sagte Khedira zu den Testspielen. Die Egal-Diskussion hatte Thomas Müller angestoßen, der in Berlin freimütig zugab, in Testspielen "den letzten Schritt nicht aggressiv genug zu machen." Thomas Schneider wollte ihn deswegen nicht maßregeln, sondern sagte "Das ehrt ihn sehr, dass er das so ehrlich formuliert hat." Und schob noch pflichtschuldig mahnend hinterher: "Natürlich sollte es nicht so sein."

"Wenn das Spiel 2:2 ausgegangen wäre oder wir hätten gewonnen, dann wären die Diskussionen jetzt nicht so groß. Aber es ist trotzdem gut, dass uns ein wenig die Augen geöffnet wurden", sagte Khedira, der gegen England Interims-Kapitän war. "Wenn da zwei, drei Prozent fehlen, wird das ausgenutzt. Das gilt morgen auch", sagte der Juventus-Spieler.

Auch die Fans machen gerade den ein oder anderen Schritt oder Mausklick weniger zum Freundschaftsspiel-Ticket. Das Spiel in München ist nicht ausverkauft, 5000 Karten gab es am Mittag noch. Klar, wenn ein Musiker vier Konzerte lang lustlos an der Gitarre zupft und irgendwas ins Mikrofon nuschelt, rennen ihm die Groupies nicht die Halle ein. Die Ticket-Preise von 60 bis 100 Euro (so viel kosten die noch verfügbaren Karten für Nicht-Fan-Club-Mitglieder) sind auch nicht zwingend ein Argument, am Dienstag noch spontan in die Arena nach Fröttmaning zu fahren.

Hoffnung ruht auf hungrigen Spielern

Die Italiener sind übrigens ungeschlagen durch die Qualifikation marschiert, England hat gleich alle Spiele gewonnen. Das muss nichts heißen, Joachim Löw und seine Mannschaft sind bekannt dafür, alles im Trainingslager vor dem Turnier auszuloten. Und dass Deutschland eine Turnier-Mannschaft ist und in Freundschaftsspielen noch keiner einen Titel gewonnen hat, das sind so Standard-Sätze des Fußballs, die oft fallen aber deswegen nicht weniger wahr sind.

Aber, wenn man Khedira und Schneider so zuhört, dann scheint der Schlendrian-Bonus jetzt trotzdem aufgebraucht. "Es gibt viele Spieler, die sich unbedingt zeigen wollen - ich hoffe, dass man das morgen auf dem Platz sieht", meinte Khedira vielsagend. Denn: Als Thomas Müller kann man sich den einen Schritt weniger vielleicht erlauben. Als Karim Bellarabi oder Christoph Kramer eher nicht. Man kann schließlich nur dann in den Turnier-Modus schalten, wenn man auch für das Turnier nominiert wird.

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