David Raum muss nicht traurig sein. Beim rituellen Verlesen der Aufstellungen bekam er zwar nur den zweitmeisten Applaus, obwohl er ein doppeltes Heimspiel bestritt. In der Arena in Sinsheim rennt er normalerweise im Dienst der ortsansässigen TSG den linken Flügel hinauf, er kennt hier jeden Grashalm, und jeder Grashalm kennt ihn. Insofern waren zumindest die Einheimischen unter den Zuschauern stolz auf ihren Linksverteidiger, also Menschen aus Sinsheim, Hoffenheim, Zuzenhausen, Bammental, Sandhausen und vielleicht sogar Heidelberg, und so darf David Raum die erwärmende Erkenntnis mit ins Teamquartier und zum nächsten Testspiel nach Amsterdam (Dienstag) nehmen, dass er zumindest der meistbeklatschte Fußballer war. Chancenlos war er allerdings gegen Hansi Flick, den Bundestrainer, auf den die Menschen offenkundig noch stolzer waren. Flick war schon einer von ihnen, da war Raum noch nicht mal in Nürnberg geboren.
Hansi Flick, geboren in Heidelberg, ist zu Hause ins WM-Jahr gestartet, aber er ist nicht esoterisch genug veranlagt, um darin irgendeine Art von Omen zu sehen - oder gar in dem wirklich sehr netten 2:0-Sieg gegen Israel, der seiner Elf allerdings kaum Grenzerfahrungen abverlangte. Flicks Arbeitgeber, der Deutsche Fußball-Bund, hatte sich für diesen Abend Gäste eingeladen, die sich so unauffällig verhielten, dass man all die hübschen Auffälligkeiten von Hansi Flicks Mannschaft nur schwer bewerten konnte.

DFB-Elf in der Einzelkritik:Thomas Müller vergibt spektakulär
Der Münchner scheitert wuchtig beim Elfmeter. Kevin Trapp hält einen Strafstoß lässig wie beim Kaugummi-Kauen und Nico Schlotterbeck liefert einen Schönheitsfleck. Die deutsche Elf in der Einzelkritik.
Von der ersten Sekunde an bestimmte die DFB-Elf die Spielregeln, und die Spieler aus Israel sahen interessiert dabei zu. Sie zeigten kaum Interesse, selbst an dieser Partie teilzunehmen, standen beim Zuschauen aber so zahlreich in und vor dem eigenen Strafraum, dass die deutsche Mannschaft eine exzellente Übungseinheit in kleinräumigem Spiel absolvieren durfte. Dabei erwiesen sich die DFB-Spieler durchaus als begabte Kleinkünstler, vor allem Jamal Musiala fand immer wieder Lücken, von denen die Lücken kurz vor ihrer Entstehung selbst noch nichts wussten. Man habe "sehr mutig gespielt", urteilte Flick. Er könne "im Großen und Ganzen mit allen Teilen der Mannschaft zufrieden sein".
Nur zweieinhalb Stammspieler bot Bundestrainer Flick gegen Israel auf
Aber wie es manchmal so ist im Fußball: Um endlich verdient in Führung zu gehen, bedurfte es zweier Standardsituationen. Kai Havertz köpfte einen Eckball des in Nürnberg geborenen Hoffenheimers David Raum ein (36.) - wer Havertz' Laufweg an den kurzen Pfosten mit der Tatsache kombiniert, dass der DFB neuerdings einen eigenen Standardtrainer beschäftigt, der könnte auf die Idee kommen, dass es sich hier um eine im Training vorempfundene Variante handelte. Knapp zehn Minuten später platzierte Ilkay Gündogan einen Freistoß halbhoch am Fünfmeterraum, von wo Timo Werner den Ball zum 2:0 ins Netz lenkte - am Rande der Legalität, weil von niemandem ausgeschlossen werden konnte, dass Teile seines Schuhs etwa eine viertel Stollenbreite ins Abseits ragten. "Acht Spiele, sechs Standardtore, das lässt sich schon sehen", sagte Flick über die Bilanz seiner Stürmer, seit er Bundestrainer ist.
"Einen Mix aus Einspielen und Ausprobieren" hatte Flick für die Testspiele gegen Israel und in Amsterdam angekündigt, an diesem Abend stand zumindest personell das Ausprobieren auf der Tagesordnung. Präzise gerechnet zweieinhalb Stammspieler bot der Bundestrainer auf, den offensiv überall einsetzbaren Havertz sowie den defensiv überall einsetzbaren Thilo Kehrer, dazu den grundsätzlich weltklasseverdächtigen Mittelfeldspieler Ilkay Gündogan, dessen Startelf-Mandat aber keineswegs sicher ist - in seinem Wirkungs- und Geltungsbereich vertraut Flick zumeist auf die diesmal fehlenden Joshua Kimmich und Leon Goretzka. So nominierte der Bundestrainer eine Startelf, die sich wie ein Friedensangebot an die Verantwortlichen von Borussia Dortmund las. Immerhin waren die Dortmunder (0) gegenüber dem FC Bayern (1) nur knapp in Unterzahl.

Was Flick von diesem Abend verlangte, war zweierlei: Zusätzlich zu personellen Experimenten ließ er seine Elf auch am Programmpunkt "Einspielen" arbeiten. Spielstil und Taktik sollen unabhängig von den Namen funktionieren, und so war auch gegen diesen Gegner zu erkennen, wie der Bundestrainer sich seine Mannschaft vorstellt - aktiv, dominant und immer in Bewegung, gestützt auf eine Viererkette in der Abwehr, deren Mitglieder ebenso angehalten sind, steil nach vorne zu spielen wie die Mittelfeldspieler eine Linie davor.
Flick dürfte dabei keineswegs übersehen haben, wie kess Nico Schlotterbeck, der Debütant in der Abwehr, diese Forderung erfüllte. Viele Angriffe begannen an seinem linken Fuß, der trotz eines unnötigen Fouls in der Nachspielzeit ein Gewinner dieses Abends war - neben Israels Torhüter Ofir Marciano, der deutsche Torchancen im preisgünstigen halben Dutzend vereitelte.
Kurz vor Schluss verschießt Thomas Müller einen Elfmeter - und Kevin Trapp hält einen
Auch diesen Arbeitsauftrag wird Flick aus diesem Abend ableiten: Zwar lief der Ball bemerkenswert lässig durch die Reihen der flexiblen Spitzentechniker Havertz, Musiala, Gündogan und Julian Draxler - beim Thema Chancenverwertung nahm die Mannschaft das "Ausprobieren" allerdings allzu wörtlich.
Das Spiel schaffte es, über 90 Minuten dasselbe zu bleiben. Die eine Mannschaft dominierte, die andere stand im Weg. Weil die Erkenntnisse des Abends offenbar zeitig feststanden, setzte Flick die personellen Testreihen in der zweiten Halbzeit fort - neben Christian Günther und Lukas Nmecha verhalf er auch dem riesenhaften Mainzer Anton Stach zum Debüt. Schlechte Nachricht für Borussia Dortmund: Die Bayern-Spieler Thomas Müller und Leroy Sane kamen auch noch.
Allerdings schaffte es Müller auch noch, einen Elfmeter an den Pfosten zu setzen. Dieses 3:0 hätte zum Abend gepasst - es wäre wieder ein Tor nach einer Standardsituation gewesen. Aber Müller blieb mit seinem Missgeschick nicht allein. Nach einem Foul von Schlotterbeck verschoss auch Yonatan Cohen einen Elfmeter: Der eingewechselte Kevin Trapp hielt und brachte Flick die Erkenntnis, dass er sich sogar auf seinen dritten Torhüter verlassen kann.