Länder-Klischees in Sotschi:Briten erobern den Winter

Medal Ceremony - Winter Olympics Day 2

Sven Kramer, Jan Blokhuijsen und Jorrit Bergsma freuen sich gemeinsam über ihre Medaillen im Eisschnelllauf.

(Foto: Getty Images)

Niederländer sind die schnellsten Rennwürste, die Österreicher finden seit Abfahrtsgold sowieso alles urleiwand. Und die Briten werden am Ende noch zu Vorbildern für deutsche Wintersportler. Eine Spurensuche in der Welt der nationalen Befindlichkeiten.

Von der SZ.de-Sportredaktion

  • Niederländer - Flachländer auf Kufen

Über die Niederlande gibt es eines zu sagen: Es ist flach dort. Verdammt flach. Findige Kartografen haben es dennoch geschafft, so etwas wie einen "Berg" auszumachen. Die höchste Erhebung Hollands liegt in der Provinz Limburg - das ist da, wo der Fußballer Mark van Bommel herkommt. In der Heimat des früheren Bayern-Rüpels thront der "Vaalserberg" stattliche 322,7 Meter über Mooren, Wiesen und Weilern. Das ist, mit Verlaub, so imposant wie ein Zipfelbob-Hang im Park.

Man kann über die wunderbaren Niederländer denken, was man will: Aber als Wintersportler sind unsere Nachbarn bisher nicht aufgefallen. Außer beim Eisschnelllaufen. Wo es spiegelglatte Flächen gibt, fühlt sich der Holländer zu Hause. Tag ein Tag aus erstaunt den aufmerksamen Olympia-Zuschauer dasselbe Spektakel: Wenn Niederländer sich auf der ovale 400-Meter-Bahn bewegen, gewinnen sie Edelmetal.

Sie heißen Stefan Groothuis, Sven Kramer, Ireen Wüst oder Michel Mulder, sie tragen orange Rennwurst-Anzüge und sie skaten immer einen Tick flinker als der Rest. Vier Olympiasieger und acht weitere Medaillengewinner brachten die Holländer bereits hervor - alle trugen Kufen, alle wurden von König Willem-Alexander und Gattin Maxima gebührend bejubelt. Vielleicht hat es was mit den vielen Kanälen zu tun.

Zwischen Amsterdam und Friesland, dem Brabant und dem Grevelingen oder auch in der Ebene des Gelderlandes gibt es davon eine Menge. Bei der ständig drohenden Überflutung des Landes empfiehlt es sich, auf zugefrorenem Terrain mobil zu sein. Am Ende ist es doch so: Holländer gehen im Winter nicht spazieren, sie fahren einfach immerzu Schlittschuh.

(Text: Jonas Beckenkamp)

  • Asiaten - Kreisläufer mit Mumm

So ein Shorttrack-Rennen ist im Grunde das ultimative Chaos. Ein Pulk von Athleten schlittert über eine Mini-Eisbahn. Die Läufer stürzen, purzeln übereinander, in den engen Kurven kracht regelmäßig einer in die Bande - und das Ganze auch noch gegen den Uhrzeigersinn. Ein wunderbarer Wahnsinn. Besonders gut beherrschen Südkoreaner und Chinesen diese Disziplin. Nur ab und an funkt eine Amerikanerin oder ein Kanadier dazwischen.

Die Erklärung für die Dominanz aus Fernost könnte so einfach sein: Kleine Menschen auf kleiner Strecke, das passt. Doch es wäre zu kurz gegriffen. Besagtes Chaos ist es, das den Asiaten entgegenkommt. Sich mit Millionen von Menschen durch enge Straßen quetschen - für die Bewohner in Seoul, Shanghai und Shenzen ist das Alltag. Und abseits der großen Städte wird es ja nicht besser: Es sei nur an den Stau auf dem China National Highway 110 vor einigen Jahren erinnert.

Der hat einen eigenen Wikipediaeintrag. Zehntausende Autos standen auf einer Länge von 100 Kilometern herum, irgendwo zwischen Peking und Yichuan. Erst nach fast zwei Wochen ging es weiter. Da lernt man, Lücken zu nutzen. Nicht zu vergessen: die asiatischen Essgewohnheiten. Wer in einer Suppe mit zwei Holzstäbchen nach Nudeln fischen kann, der lacht über die Verhältnisse auf der Eisbahn.

(Text: Benjamin Romberg)

  • Russen - Ein Mann, ein Olympia

Die Russen sind die großen Gewinner dieser Spiele, aus einfachem Grund: Sie haben Wladimir Putin. Der Präsident hat es nicht nur geschafft, das Winterspektakel nach Sotschi zu holen und dabei alle guten über sehr guten bis extrem guten Einwände außer Acht zu lassen. Es sind längst seine persönlichen Festspiele geworden. Putin ist dabei, wenn große Siege errungen werden.

Er ist auch dabei, wenn große Siege gefeiert werden - wie etwa im Österreich-Haus, mit Schnapserl und Jodeleinlagen, er gab sogar Interviews auf Deutsch. Sollte sich trotz der Hitze in Sotschi ein Eisbär in die Küstenstadt verirren: Putin würde ihn mit bloßen Händen erlegen. Und wenn Russland im Eishockey-Finale gegen Kanada noch ein Tor fehlt - Sie wissen schon. Wladimir Putin hat bestimmt einen Plan.

(Text: Carsten Eberts)

Briten - Trockene Wintersportler

Britain's Katie Summerhayes reacts at the finish line during the women's freestyle skiing slopestyle qualification event at the Sochi 2014 Winter Olympics in Rosa Khutor

Katie Summerhayes mit einem ganz besonderen Gruß an die Heimat.

(Foto: REUTERS)

Auch in Großbritannien gibt es Skigebiete, in den schottischen Highlands sogar mit echtem Schnee und ohne Dach. Die meisten Pisten aber brauchen den Schnee gar nicht, die verrückten Briten nennen sie "dry slopes". 62 solcher Trockenpisten sind im Vereinigten Königreich zu finden. Auch Jenny Jones hat auf einer Anlage in der Nähe von Bristol auf Teppich ihre ersten Schwünge gemacht - und erste Tricks gelernt.

Inzwischen beherrscht sie das Snowboarden so gut, dass sie als erste Britin bei Olympischen Winterspielen eine Medaille gewonnen hat - Bronze im Slopestyle. Man kann viel über die Briten sagen, zum Beispiel, dass ihre Leber ziemlich widerstandfähig ist, dass sie gerne in Schlangen warten und dass, sobald die Sonne scheint, ihre weiße Haut rot anläuft. Aber dass sie als Vorbild taugen für Deutschland, das wollen viele nicht wahrhaben.

Gleich drei Briten haben es in den Freestyle-Wettbewerben bisher ins Finale geschafft. Und die Deutschen? Nothing. "Dry slopes" sollen in Deutschland trotzdem keine gebaut werden. "Wir brauchen komplette Skifahrer", sagt Heli Herdt, sportlicher Leiter der deutschen Freestyle-Sparte - heißt: nur grüne und braune Hänge herunterschlittern reicht dem DSV nicht aus. Dabei führt das offenbar zu olympischen Medaillen. Ziemlich crazy das.

(Text: Matthias Schmid)

  • Norweger - Stumme Langläufer

Wie überlebt man einen Tag, an dem man 50 Kilometer weit langlaufen muss? Mit dieser Frage müssen sich mehrere Milliarden Menschen auf dieser Welt nicht auseinandersetzen. Außer: die Skandinavier. Ganz besonders: die Norweger.

Es gibt ja ein paar Klischees über das große Land des Nordens, die von (fast) allen Norwegen-Urlaubern geradeaus bestätigt werden: Die Landschaft ist super, es ist oft kalt, es ist teuer und bisweilen findet man sich in einem Schwarm Beißmücken wieder. Das alles ist der perfekte Nährboden, um die schnellsten Langläufer des Planeten zu züchten.

Von sechs Wettkämpfen in der Loipe gewannen die Norweger bislang drei in Sotschi, von 15 Medaillen holten sie sieben. Rechnet man den ewigen Biathleten Ole Einar Bjørndalen dazu, gibt es ein rundes Bild. Ein großer, starker Norweger fährt auf langen, dünnen Ski durch eine weiße Landschaft, sagt den ganzen Tag nichts und wenn es sein muss, schießt er ein Rentier. So ist das Klischee - und das kriegen die Norweger durch Sotschi sicher nicht los.

(Text: Thomas Hummel)

  • Österreicher - Eine Nation schwebt

Für Österreich waren die Winterspiele schon am zweiten Tag gewonnen. Die Delegation hätte einpacken können, die teuren Hotelzimmer stornieren, zurück in die Alpen fahren, wo es wenigstens Schnee hat und die Temperaturen unter 15 Grad liegen. Besser würde es eh nicht mehr werden. Gold in der Männer-Abfahrt durch den jungen Matthias Meyer, das ist, als würde Deutschland Fußball-Weltmeister werden (wobei die WM dann ja wirklich vorbei wäre).

Doch die Winterspiel-Dramaturgie ist eine andere, die Abfahrt wurde auf den Anfang terminiert, seitdem sind die Österreicher auf einer emotionalen Ehrenrunde unterwegs. Und wenn nun Marcel Hirscher auch noch den Slalom gewinnt... das Österreich-Haus in Krasnaja Poljana würde abheben und schweben, den ganzen Weg zurück, bis auf den Heldenplatz im schönen Wien.

(Text: Carsten Eberts)

Schweizer - Beinahe ohne Gold geblieben

Da sieht die Schweiz, was sie sich eingebrockt hat! Gerade einmal drei Fußballnationalspieler würden beim ersten WM-Auftritt gegen Ecuador auflaufen, wenn sich die Bevölkerung schon früher für eine Einführung von Einwanderungsquoten entschieden hätte. Diese etwas andere Mannschaftsaufstellung geistert derzeit durch das Netz, die Schweizer Spieler mit Migrationshintergrund sind auf dem Foto ausradiert worden. Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri oder Diego Benaglio - alle nicht mehr dabei. Ob die Schweiz so am 16. Juni gegen Ecuador gewinnen würde?

Nicht nur bei der WM, auch in Sotschi wäre die Ausbeute geringer. Immerhin fünf Goldmedaillen haben die Eidgenossen bislang errungen - doch drei davon haben gar keine "echten Schweizer" erzielt. Halfpipe-Sieger Iouri Podladtchikov, auf den sie besonders stolz sind, weil er den großen Shaun White geschlagen hat, kam nicht in einem Schweizer Bergdorf zur Welt, sondern im russischen Podolsk. Erst vor sechs Jahren ließ er sich einbürgern. Dario Cologna, Doppel-Olympiasieger im Langlaufen, ist zwar in St. Maria im Münstertal im Kanton Graubünden geboren, seine Eltern jedoch stammen aus dem Vinschgau in Südtirol.

Sotschi lehrt: Die Zuwanderungsquote ist eine riskante Sache.

(Text: Lisa Sonnabend)

  • Amerikaner - Weite Hosen, lange Haare

Die Erleichterung war groß. Keine Angst Amerika, beruhigte der Sportsender ESPN am Donnerstag die Nation, die Freestyler haben alles im Griff. Gerade hatten die Amis Gold, Silber und Bronze im Ski-Slopestyle der Männer gewonnen und die Medaillenbilanz der USA verbessert. Überhaupt räumen die Amerikaner in Sotschi alles ab, auf dem das Etikett "Slopestyle", "Halfpifpe" oder "Freestyle" pappt. Und wenn die Amerikaner mal nicht gewinnen, dann siegen die Kanadier.

Eine kurze Abhandlung zum Freestyle. Freestyle, das ist der Oberbegriff für die Disziplinen Ski-Slopestyle, Snowboard-Halfpipe, Ski-Halfpipe, Snowboard-Parallelslalom, Skicross, Ski-Buckelpiste, Ski-Sprung... - also für alles, bei dem jemand in zu weiten Hosen und mit zu langen Haaren mit einem oder zwei Brettern einen Hang hinunterrast, wahlweise in der Luft Verrenkungen anstellt. Und am Ende gewinnen immer die Nordamerikaner.

Nun bringen die Amis für einen derartigen Sport natürlich beste Voraussetzungen mit. In der Kategorie "Kleidung" können sich die Freestyler an bekannten Modezaren wie Snoop Dogg orientieren. Auch in der Kategorie "Frisur" hat das Land Pioniere hervorgebracht. Im freien Skifahren waren die Amerikaner schon immer gut, ob auf einem oder zwei Brettern. Und wenn es im Freestyle doch nicht klappt, gewinnen die Amis halt Medaillen im Rodeln, wie zuletzt Erin Hamlin. Wer das gegen die Deutschen schafft, muss sich um seine Zukunft bei Olympia nicht sorgen.

(Text: Johannes Knuth)

  • Deutsche - Durstige Rodler

Viermal Gold in vier Wettbewerben in Sotschi. 30 Mal Rodel-Gold in 43 Wettbewerben bei Olympia seit 1964. Die Deutschen sind im Eiskanal die absolute Macht. Der Grund dafür ist ganz einfach: Bier. Diesen Eindruck muss haben, wer die Berichterstattung rund um das deutsche Haus bei Olympia verfolgt.

"Jetzt werden wir noch ein oder zwei Weißbier trinken - natürlich alkoholfrei", haben die Doppelsitzer Wendl und Arlt nach ihrem Sieg noch gesagt. Daraus wurde aber nichts, die bayerische Party in Krasnaja Poljana muss hart und lang gewesen sein. Dabei wurde auch klar: Sekt ist dabei nicht angesagt.

Mitten in der Party verschwand Natalie Geisenberger für längere Zeit auf die Toilette, weil ihr Kollege Felix Loch eine Sektdusche verpasst hatte. "Ich dusche halt nicht gerne mit Sekt", sagte Geisenberger. Hätte er mal Weißbier genommen, der Loch! Später immerhin twitterte er aus einer Kneipe: "Breaking News: Schorsch ist heut Nacht vor mir heim! Yessss!" Na servus.

  • Polen - Erbe von Adam Malysz

Von Adam Malysz sind weiter wilde Geschichten zu hören, er fährt jetzt bei der Rallye Dakar, tagsüber unterwegs in der Hitze der Wüste, nachts eingeklemmt zwischen Autos und Toilettenhäuschen. Er macht das ziemlich erfolgreich, in diesem Jahr wurde er 13. im Auto. Aber das ist wenig überraschend: Malysz war zuvor polnischer Skispringer, genauer: ein Skisprung-Dominator. 39 Mal hat er ein Weltcup-Springen gewonnen, Skispringen und Polen, das war immer: Adam Malysz. Irgendwie ist es auch weiter Adam Malysz, obwohl da inzwischen Kamil Stoch ist.

Stoch hatte das Springen in Sotschi von der Normalschanze gewonnen, er hat bereits jetzt eine Goldmedaille mehr gewonnen als Malysz. Der Ältere ist das Vorbild des Jüngeren, Stoch sagt: "Adam war einer der tollsten Skispringer der Geschichte." Er sagt aber auch: "Ich schreibe jetzt meine eigene Geschichte." Und die geht so: Geboren und aufgewachsen in Zakopane, die höchst gelegene Stadt des Landes, ein Wintersportzentrum, Ski fahren, Ski springen, mit 17 erstmals im Weltcup, mit 23 erstmals ganz oben auf dem Treppchen. Mittlerweile hat Stoch elfmal im Weltcup gewonnen. Er ist vielleicht noch kein Skisprung-Dominator, aber im Mai wird er 27, ihm bleiben also noch viele Jahre, um weiter an seiner Geschichte zu schreiben.

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