Hertha-Sieg gegen Union:Cunha trifft und saust in den Kreißsaal

Bundesliga - Hertha BSC v 1. FC Union Berlin

Dodi Lukebakio feiert mit Matheus Cunha seinen Treffer.

(Foto: Reuters)

Der neue Hertha-Trainer Bruno Labbadia ist nach dem Sieg gegen Union Berlin überrumpelt von der Qualität seiner Mannschaft. Matheus Cunha erzielt ein Tor - und wird kurz danach Vater.

Von Javier Cáceres, Berlin

Matheus Cunha hatte auf der Ersatzbank von Hertha BSC gerade Platz genommen, da lief er schon wieder zu seinem Vorgesetzten Bruno Labbadia. Aus wichtigem Grund. Die Lebensgefährtin des Stürmers lag im Krankenhaus - und war nun, längst überfällig, tatsächlich im Begriff, zu entbinden. Er müsse sofort weg, das Stadion verlassen, "ich muss zu meiner Frau", habe Cunha gesagt, erklärte Labbadia am Samstag. "Verschwinde und schick mir sofort eine Nachricht, wenn Du Vater geworden bist!", habe er seinem Stürmer aufgetragen, erzählte Labbadia.

Was ihm umso leichter von den Lippen ging, als seine Mannschaft da längst ebenfalls schwanger ging. Siegesschwanger. Als Cunha sich auf dem Weg in den Kreißsaal befand (dem Vernehmen nach kam er noch rechtzeitig), stand Herthas deutlicher 4:0-Sieg im Berliner Derby gegen den 1. FC Union schon fest. Und damit auch, dass Hertha die Verhältnisse in der Stadt wieder geradegerückt hat, aus ihrer Sicht jedenfalls, nachdem sie in der Hinrunde eine bedrückende 0:1-Niederlage kassiert hatten. Die Charlottenburger stehen nun in der Tabelle nicht nur auf einem sicher anmutenden Mittelfeldplatz. Sondern auch vier Punkte vor einem bis zur Unkenntlichkeit verwandelten Union.

6:0 Punkte, 7:0-Tore

Die Freude über den "Mini-Cunha" war die Krönung eines aus Hertha-Sicht rundum gelungenen Abend. Seit zwei Spielen steht nun Labbadia als Hertha-Coach an der Seitenlinie, und er darf allmählich Hoffnungen hegen, zum Geisterspielmeister der Bundesliga zu werden. Mit 6:0 Punkten und 7:0-Toren aus ebendiesen zwei Partien hat er eine Bilanz aus den Spielen in Hoffenheim und gegen Union aufzuweisen, die man so nicht unbedingt für möglich halten musste - auch wenn man sich in Berlin und auch anderswo des Potenzials bewusst war, das in der Mannschaft steckt. "Das ist natürlich ein Top-Start", konzedierte Labbadia, der nach Ante Covic, Jürgen Klinsmann und Alexander Nouri schon der vierte Hertha-Coach der laufenden Saison ist.

Trotz des kaum zu steigernden Start wollte Labbadia den Kampf um den Klassenerhalt nicht für beendet erklären. Neue, höhere Ziele auszurufen, hielte er für verfrüht, sagte er. Er sei viel zu lang in der Bundesliga dabei, als dass er nicht wüsste, "dass man immer Respekt haben muss im Abstiegskampf", erklärte Labbadia, der als erster seit Falko Götz (2002) sein Traineramt in Berlin mit zwei Siegen antrat. "Wir sind uns der Situation, die wir hatten, sehr, sehr bewusst."

Labbadia klang dabei zwar erfrischend frei von Koketterie, was nicht so einfach war. Seine Hertha projiziert ein Zukunftsbild, das verheißungsvoll aussieht. Zu den erstaunlichen Begebenheiten des Freitags zählte, dass kaum ein Spieler aus einer insgesamt guten Mannschaft herausragte, alle Konzentration, Ambition und Seriosität verströmten und eine in dieser Saison neue Homogenität boten, die frei war von Eitelkeiten.

Union verlor Kopf, Konzept und Faden

Und: Jeder der vier Torschützen hatte eine eigene Geschichte zu erzählen: der ergraute Vedad Ibisevic, der wieder per Kopf zur Führung traf (51.); der schnelle Dodi Lukebakio, der von Ibiseivc auf eine lange Reise gen Union-Tor geschickt worden war und vor seinem Treffer noch Union-Torwart Rafal Gikiewicz umkurvte (52.); Innenverteidiger Dedryck Boyata, der in der 77. Minute per Kopf den Schlusspunkt setzte und damit fast in den Schatten stellte, mit welcher Souveränität und Kompromisslosigkeit er in der Abwehr regiert hatte - und eben Cunha, der mit einem schönen Flachschuss vom Strafraum das zwischenzeitliche 3:0 erzielt hatte (61.).

Man habe im Grunde seit einer Woche um Cunha gezittert, berichtete Labbadia. Und scherzte, dass er die Mutter "bestochen" habe, um die Geburt über das Spiel in Hoffenheim aus der Vorwoche hinauszuzögern, und dann "noch mal was versprochen habe", wenn sie es schafft, auch fürs Derby gegen Union "stillzuhalten", da ihr das gelungen sei, "bin ich jetzt in der Pflicht", fügte Labbadia hinzu, ohne zu enthüllen, wie man eine Hochschwangere Spielerfrau schmiert. Cunha sei jedenfalls, so betonte Labbadia anerkennend, "sehr entspannt mit der Situation umgegangen. Es gibt da andere Spieler, die sagen: Ich will sofort weg. Aber er wollte unbedingt spielen. Ich glaub', dass er seine Frau gut im Griff hatte und sie gut auf ihn gewartet hat." Bis der Sieg gegen Union im leeren Olympiastadion feststand und der Lebensgefährte sein viertes Tor im sechsten Spiel für Hertha erzielte hatte, obwohl er, wie Labbadia auch offen sagte, gar nicht sein bestes Spiel gemacht hatte.

Doch auch er leistete seinen Beitrag dazu, dass Union nach dem ersten Gegentor Kopf, Konzept und Faden verlor, wie Union-Trainer Fischer sagte, und dann "komplett auseinanderfiel. Über die zweiten 45 Minuten müssen wir schon das eine oder andere Wort verlieren", sagte der Schweizer.

Labbadia wiederum wirkte nachgerade überrumpelt von der Qualität, die sein Team an den Tag gelegt hatte. Schon in der ersten Halbzeit hatte es Chancen gegeben, der Mangel an Effektivität schien bei Hertha die Befürchtung zu wecken, die Köpenicker könnten noch all ihre Tugenden ausspielen. Er habe seiner Mannschaft vor allem gesagt, dass es keinen Grund gebe, am eingeschlagenen Weg zu zweifeln. Dass Negativität fehl am Platze ist. Dass Tore deshalb nicht viel mehr seien als eine Frage der Zeit. Und siehe: Das war der Boden für den Doppelschlag von Ibisevic und Lukebakio aus der 51. und 52. Minute, die das Spiel innerhalb von 70 Sekunden im Grunde entschieden. Labbadia konnte aufrichtig beglückt über den Spielverlauf sein. Es sei "nicht zu erwarten" gewesen, "dass wir so weit sind, dass wir vor allem diese Geduld und so überzeugend Ballbesitz-Fußball zeigen, das war super", sagte er. Und siehe: mit ihrer offensiveren Einstellung scheint die Hertha zu einem Sinnbild der Fruchtbarkeit zu werden.

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