LA Clippers in den NBA-Playoffs:Gewachsen durch den Skandal

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Hartes Playoff-Duell: Chris Paul von den Los Angeles Clippers und Kendrick Perkins von Oklahoma City Thunder

(Foto: AFP)

Im US-Basketball liefern sich die Clippers und Oklahoma eine packende Playoff-Serie: Das Team aus Los Angeles verarbeitet den Rassismus-Eklat um Eigentümer Sterling. Beim Gegner appelliert Führungsspieler Kevin Durant an den Mannschaftsgeist.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"Was ich jetzt wirklich will: ein Bier!" Das waren die ersten Worte von Doc Rivers nach dieser aufregenden Partie im Staples Center von Los Angeles. Der Trainer der Clippers sah aus, als hätte er in den 48 Minuten zuvor nicht an der Seitenlinie, sondern auf dem Spielfeld gestanden: von seiner Stirn lief Schweiß, sein Hemd war nicht nur unterhalb der Achseln feucht, die Stimmbänder waren hörbar angegriffen. Rivers war einfach nur fertig. Körperlich. Mental.

Es war eine intensive, spannende, dramatische Partie zwischen den Los Angeles Clippers und den Oklahoma City Thunder. Die Clippers lagen in der ersten Hälfte mit 22 Punkten zurück, sie kamen zurück - doch zu Beginn des vierten Viertels betrug der Rückstand wieder 15 Punkte. Rivers nahm Center DeAndre Jordan und den von mit fünf Fouls belasteten Flügelspieler Blake Griffin vom Feld und probierte die zweite Aufholjagd an diesem Nachmittag mit fünf kleineren Akteuren. Es funktionierte, die Clippers gewannen am Ende mit 101:99 und gleichen in der Best-of-seven-Serie zum 2:2 aus. Nur vier Vereine hatten in der Geschichte der NBA nach einem höheren Rückstand in den Playoffs noch gewonnen.

Eher aus Verzweifelung statt Brillianz

"Ich habe nach einer Kombination von Spielern gesucht und eine kleine Aufstellung mit Danny Granger, Jamal Crawford und Darren Collison gewählt. Ich glaube, die haben so noch nie zusammengespielt, aber diese Gruppe hat letztlich das Spiel gewonnen", sagte Rivers danach - stellte jedoch sogleich klar: "Das war kein brillanter Schachzug, es war eine verzweifelte Maßnahme." Crawford und Collison kamen auf jeweils 18 Punkte, Griffin schaffte gar 25. "Wir haben dieses Spiel allein über unseren Willen gewonnen", sagte Paul (23 Punkte).

Es war ein emotionaler Nachmittag in Los Angeles, nicht nur wegen den Ereignissen auf dem Spielfeld. Unter den Zuschauern waren nicht nur Rihanna, Mark Wahlberg (er warf Clippers-T-Shirts ins Publikum) und Justin Bieber (er wurde ausgebuht), sondern auch Earvin "Magic" Johnson. Der war während der diskriminierenden Aussagen von Donald Sterling vor zwei Wochen namentlich erwähnt worden und hatte daraufhin angekündigt, nie wieder ein Spiel der Clippers im Staples Center verfolgen zu wollen, so lange Sterling Eigentümer des Vereins ist.

Mittlerweile ist Sterling auf Lebenszeit aus der Liga ausgeschlossen, auch wenn er sich in einem Interview mit CNN entschuldigt hat - dabei aber Magic Johnson erneut heftig beleidigt hat. Die Eigentümer der anderen Vereine sollen darüber abstimmen, ob der 81-Jährige den Verein verkaufen muss. Der ehemalige Lakers-Spieler Johnson gilt - neben der Moderatorin Oprah Winfrey, dem Musikproduzenten P. Diddy und dem Boxer Floyd Mayweather jr - als einer der Interessenten. Vor allem aber wurde seine Anwesenheit bei dieser Partie als Zeichen gewertet, dass die schlimmsten Tage in diesem Rassismus-Skandal nun überstanden sein könnten.

So grotesk das auch klingen mag: Für die Spieler der Clippers diente diese knifflige Zeit auch als teambildende Maßnahme. Sie verarbeiteten den Skandal und auch die Möglichkeit eines Streiks, sie gewannen vor einer Woche das siebte Spiel der ersten Playoff-Runde gegen die Golden State Warriors. "Wir haben gemerkt, dass wir uns aufeinander verlassen können, dass wir schwierige Situationen überstehen und dass diese Mannschaft niemals aufgibt", sagt DeAndre Jordan.

Durant appelliert an den Teamgeist seine Mitspieler

Trainer Rivers gilt als ein Meister der Sport-Mathematik, dem es immer wieder gelingt, dass eine von ihm betreute Mannschaft mehr ist als die Summe der Einzelspieler. Im Jahr 2008 hatte er die Ego-Zocker Paul Pierce, Ray Allen und Kevin Garnett zu einer Einheit vereint und dabei dabei den Begriff "Ubuntu" aus der Sprache Bantu verwendet, der die Fähigkeit beschreibt, das Individuum für ein großes Ziel zurückzustellen. Nun nutzte er die schwierigen Wochen in Los Angeles auch dazu, um seine Spieler zu motivieren: "Wir waren schon auf der Matte - aber wir wurden nicht ausgezählt. Die anderen sind nun wütend: Sie hatten die Chance, mit 3:1 in Führung zu gehen, doch nun haben wir eine ausgeglichene Serie."

Auch in Oklahoma City haben sie sich in den vergangenen Tagen am Teambuilding versucht: Kevin Durant hielt nach seiner Auszeichnung zum wertvollsten Spieler (MVP) der Saison eine ergreifende Rede, er sprach jeden seiner Kollegen einzeln an, am Ende sagte er zu Russell Westbrook: "Du würdest für mich durch eine Wand laufen. Es gibt Tage, da würde ich Dich gerne umreißen - und es gibt Tage, da würdest Du das gerne mit mir machen. Bleib', wie Du bist! Ich liebe Dich!" Es war Lob und Aufforderung zugleich, dass sich eine Meisterschaft in der NBA nur als Einheit gewinnen lässt.

Westbrook ist ein emotionaler Spielmacher, es wäre jedoch zu kurz gegriffen, ihm Egozentrik zu unterstellen. Er interpretiert seine Alleingänge als Übernehmen von Verantwortung. Er glaubt tatsächlich, dass er seiner Mannschaft dann am meisten helfen kann, wenn er in den prägenden Momenten einer Partie nicht abspielt, sondern seine Kollegen dazu auffordert, ihm einfach aus dem Weg zu gehen. Selbst wenn neben ihm der wertvollste Spieler der Liga auf ein Zuspiel wartet.

Unterarm in der Leistengegend

So war es auch bei dieser dramatischen Partie gegen Los Angeles: In den letzten Spielminuten gab er den Ball nur noch dann zu Durant (insgesamt 40 Punkte), wenn er keine andere Möglichkeit hatte. Ansonsten stürmte er wild auf den gegnerischen Korb zu oder wählte knifflige Würfe. Er traf zwar drei davon, sieben jedoch gingen daneben - auch der Versuch, die Partie 1,4 Sekunden vor dem Ende noch mit einem Drei-Punkte-Wurf zu gewinnen. "Es war ein guter Versuch", sagte Westbrook (27 Punkte) danach: "Er ist eben nicht reingegangen."

Die Zweitrunden-Serie zwischen den Clippers und den Thunder (in anderen Serien Miami-Brooklyn, Indiana-Washington und San Antonio-Portland steht es jeweils 3:1) wird am Dienstagabend in Oklahoma City (3:30 Uhr MESZ) fortgesetzt. Es ist zu erwarten, dass es wieder harte Duelle, technische Fouls und womöglich auch unsportliche Aktionen gibt. Am Sonntag nämlich drückte Serge Ibaka seinen Unterarm in die Leistengegend von Griffin - das hatte er bereits in der vergangenen Spielzeit gemacht, während der dritten Partie am Freitag hatte er Griffin eine blutige Nase verpasst.

"Ich habe es nicht gesehen. Ich mag körperbetonte Aktionen, lasst sie einfach so spielen", beruhigte Rivers, bevor er endlich sein Bier im Aufenthaltsraum trinken konnte. Seine Botschaft: Nur nicht mehr Aufregung, als es ohnehin schon gibt. Nicht, dass der arme Mann noch ein Alkoholproblem bekommt wegen dieser Serie.

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