Es gibt ein wunderbares Café in der Nähe des All England Clubs, das "Dropshot", der Flat White ist ein Traum. Viele Tennisprofis wurden hier gesichtet. Nun, zum Ende der ausgedünnten zweiten Final-Woche, schauen meist nur Mitarbeiter des Wimbledon-Turniers auf einen Cappuccino vorbei. Eine fröhliche Dame sitzt auch jeden Morgen vor ihrem Getränk, sie arbeitet in der berühmten Queue und hilft, dass sich die Zuschauer richtig anstellen, ehe sie an Tickets gelangen. "Am Mittwoch waren kaum Leute in der Queue", wunderte sie sich am Donnerstag und vermutete: "Vielleicht weil Roger nicht da ist." Einer wie Roger Federer ist nicht zu ersetzen. Tatsächlich verbucht Wimbledon einen leichten Besucherrückgang.
Welche Strahlkraft der achtmalige Champion des Rasenklassikers besitzt, wurde am mittleren Sonntag deutlich, als er, cool wie die Blues Brothers, zu einer Centre-Court-Zeremonie erschien. Niemand erhielt mehr Applaus. Federer, 40, im Aufbautraining nach zwei Eingriffen am Knie, wird gerade an diesem Ort vermisst, und Rafael Nadal, 36, den es nun schwer am Bauchmuskel zwickt, wird auf Dauer nicht jedes Mal die Stellung halten können. Das zeigte sich schon allein daran, dass der zweimalige Grand-Slam-Sieger sich und seinen geschundenen Körper am Donnerstagabend selbst aus dem Turnier nahm.

Tatjana Maria in Wimbledon:Das Ende einer unglaublichen Reise
Das finale Comeback gelingt ihr nicht: Tatjana Maria verliert im Wimbledon-Halbfinale gegen ihre Freundin Ons Jabeur. Die Tunesierin ist derart beeindruckt vom Auftritt der Deutschen, dass sie die Zuschauer auffordert, auch Maria zu bejubeln.
Nick Kyrgios hätte sich somit keinen besseren Moment aussuchen können, um endlich zu zeigen, dass auch er bei einem Grand-Slam-Event die ganze Strecke gehen kann. Er ist, dank Nadals Rückzug, nun sogar kampflos in sein erstes Finale auf dieser Ebene gerückt.
Meldungen über einen Gerichtstermin in Australien werden überlagert - von Berichten über Kyrgios' Tennis
Der 27 Jahre alte Australier aus Canberra ist bekanntermaßen die Reizfigur der Branche, seine Tiraden verzücken seine Fans und treiben seine Kritiker zur Weißglut. Er polarisiert, wobei er offenbar auch mit dieser Rolle spielt. "Jede Werbung ist gute Werbung", sagt er. Fraglich nur, wie er jene Vorwürfe aus der Heimat findet, die öffentlich wurden. Aufgrund eines Vorfalls in "Zusammenhang mit einer häuslichen Beziehung", wie sein Anwalt sagt, wird er in Australien vor Gericht erscheinen müssen. Diesem Thema wurde in den britischen Medien durchaus Beachtung geschenkt, aber tatsächlich wurde es überlagert - von Berichten über das Tennisspiel von Kyrgios. Dass er nun eine echte Titelchance besitzt, wundert ihn selbst: "Ich dachte, das Schiff sei abgefahren."
Kyrgios hat vielleicht zum ersten Mal wirklichen Ehrgeiz entwickelt, jedenfalls nicht nur für zwei, drei knallige Auftritte. Diese Herangehensweise steht ihm gut, sie tut dem Tennis gut. Kyrgios wertet sportlich seinen Sport auf, zumal jene, die die Fähigkeiten besitzen, selbst einen gesunden Nadal oder Novak Djokovic (im zweiten Halbfinale gegen den Briten Cameron Norrie) zu besiegen, rar sind. Dieses Wimbledon könnte der Karriere von Kyrgios somit eine neue Richtung verleihen. Er steuert sein Schiff Richtung Hafen und nimmt Kurs auf jenen Pier, an dem die Besten der Branche vor Anker liegen.