Süddeutsche Zeitung

US-Sport:Ein Baseballer wird Footballer

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Von Fabian Dilger

Einmal im Leben Profi sein, das wünschen sich viele sportliche Mädchen und Jungen. Einmal den Anruf von einem großen Verein bekommen, einmal den Profi-Vertrag auf dem Tisch liegen haben. Kyler Murray hat sich das wahrscheinlich auch immer gewünscht. Nur: Der Texaner Murray, 21, stand diesen Winter vor einer vertrackten Entscheidung. Er hatte nicht nur die eine, sondern zwei Chancen, Profi zu werden. Einen Vertrag hatte er sicher, einen zu 99 Prozent. Deswegen musste Murray sich entscheiden. Allerdings nicht zwischen zwei Vereinen, das wäre nicht so kompliziert gewesen - sondern zwischen zwei Sportarten.

Baseball und Football, beides spielt Murray so gut, dass er eine Profikarriere einschlagen könnte. Vor ein paar Tagen hat er sich nun entschieden. Er verkündete auf Twitter: "Ich werde mein Leben und meine Zeit voll dafür aufwenden, um ein NFL-Quarterback zu werden." Profifootball also.

"Jeder, der in diesen zwei Sportarten auf dem höchsten Niveau überhaupt spielen kann, ist unglaublich talentiert", sagt Christopher Howard zum Fall Murray. Der 30-Jährige ist im Trainerstab der deutschen Baseball-Nationalmannschaft und leitet die Nachwuchsakademie der München-Haar Disciples, außerdem scoutet er in Deutschland für ein Team der amerikanischen Profiliga MLB. 2018 wurde Murray in der ersten Runde des Draft, der jährlichen Talentziehung, von der MLB-Franchise Oakland Athletics ausgewählt. "Was extrem gut ist, ist einfach sein Speed", sagt Howard.

Die Athletics verzichteten allersings zunächst auf Murrays Geschwindidkeit - sie erlaubten ihm, noch ein Jahr Football am College zu spielen. Eine Entscheidung, die sie im Nachhinein grummelig machen dürfte. Denn in seinem letzten Collegejahr für die Oklahoma Sooners spielte Murray nicht nur gut Football, sondern so gut, dass er als bester Spieler der Saison mit der begehrten Heisman Trophy ausgezeichnet wurde. Nach einer solchen Saison kann der Spielmacher sicher sein, dass er von einem Football-Klub in der jährlichen Talentziehung im April ausgewählt wird, vielleicht sogar als erster Spieler überhaupt.

In der NFL wird Murray viel schneller in den großen Stadien stehen

Das Dilemma war also vorprogrammiert. Murray grübelte eine Weile und setzte letztlich den besagten Tweet ab. "Das ist natürlich für die Athletics sehr ärgerlich, weil sie einen Erstrunden-Pick verschwendet haben. Aber das ist letztendlich Business", sagt Howard. Business bedeutet in diesem Fall: Murray hat wohl die Verdienstmöglichkeiten in beiden Fällen abgewogen. Von Oakland bekam er einen Vertrag, der ihm 4,66 Millionen Dollar garantiert. In der NFL dürfte er deutlich mehr bekommen. Die Millionen an Oakland muss er im Übrigen zurückbezahlen.

Neben dem Mammon ist für Murray die sportliche Aussicht im Football ebenfalls besser. Im Profi-Baseball müsste er wahrscheinlich erst einmal einige Jahre durch die Nachwuchs-Ligen tingeln. Die Nachwuchsspieler werden so an den Liga-Alltag mit 162 Spielen im Jahr vorbereitet. "Das ist etwas, woran sich der Körper gewöhnen muss. Jeden Tag zu spielen. Das ist nicht nur für den Körper eine starke Belastung, vor allem auch mental", sagt Howard. In der NFL wird Murray viel schneller in den großen Stadien stehen, dort ist der Unterschied zwischen College- und Profisport nicht so enorm.

Gehaltsscheck und sportliche Perspektive stimmen im Football also, und Murray hat in seinem Statement zudem seine tiefe Liebe zum Football betont. Dass jemand wie Murray überhaupt beide Optionen zur Auswahl hat, hat mit den Strukturen im amerikanischen Nachwuchssport zu tun. Während in Deutschland die meisten Jugendlichen ein Jahr lang ihre Fußball- oder Handball-Saison spielen, gibt es in den USA für jede Sportart ihre eigene Jahreszeit. Murray spielte von September bis Januar Football, von Januar bis Juni konnte er dann Baseball-Spieler sein. Er verkörpert mit seiner extremen Begabung in beiden Sportarten zwar ein Extrem - dass Kinder an der High-School oder Studenten an der Uni zwei oder sogar mehr Sportarten im Jahr ausüben, ist jedoch keineswegs ungewöhnlich. Murrays Vater spielte ebenfalls Football und Baseball.

Murray hätte auch versuchen können, die Situation so zu lösen, wie es die Ikonen "Bo" Jackson und Deion Sanders in den 80ern und 90ern taten - sie spielten einfach in beiden Profiligen gleichzeitig, und dies auch recht erfolgreich. In der heutigen Zeit ist das aber kaum vorstellbar. Zumindest die NFL ist ein solch schnelllebiger Hochleistungsbetrieb geworden, dass eine Doppelbelastung für Murray zu viel wäre. Baseball wird Murray wohl höchstens noch in seiner Freizeit spielen.

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Quelle:
SZ vom 17.02.2019
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