Süddeutsche Zeitung

Kunstradfahren:Selbstverständlich Weltmeister

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Kunstradfahren wird von Franken dominiert, bei der WM gewinnen Milena Slupina und Lukas Kohl. Um das Niveau zu steigern, hilft der Sieger nun der Konkurrenz.

Von Lynn Sigel

Ultimativ. Unwiederholbar. So beschreibt Lukas Kohl seine Saison 2018, in der er jeden Wettkampf gewann, in der er deutscher Meister, Europameister, Weltmeister und Gesamtweltcupsieger wurde. Doch jetzt, ein Jahr später, hat er die für ihn "ultimative Saison" überboten, entgegen den eigenen Erwartungen. Er ist Weltrekordhalter, seit August schon, danach verbesserte er seine eigene Bestmarke drei weitere Male auf 214,1 Punkte. So schwere Übungen hat vor ihm noch nie jemand geturnt auf dem Kunstrad. Dass Kohl vergangenes Wochenende in Basel zum dritten Mal nacheinander Weltmeister wurde, ist bei seinen Erfolgen fast schon eine Selbstverständlichkeit.

In seiner Disziplin, dem Einzel-Kunstrad, zeigt er Übungen, die man aus dem Geräteturnen kennt. Mit dem Unterschied, dass die Athleten währenddessen noch dazu zwei Räder bewegen. Handstände auf Oberrohr und Lenker, Drehungen auf einem Rad oder auf der Gabel sitzen: All diese Übungen sind für den 23-Jährigen aus dem oberfränkischen Ebermannstadt ein Kinderspiel. Die Kunst in seinem Sport besteht darin, 30 Tricks in fünf Minuten Wettkampfzeit unterzubringen und sie möglichst sauber - ohne wackelnde Arme oder einen unrunden Tritt - zu zeigen. Je schwerer die Tricks sind, desto höher ist die Ausgangspunktzahl der Kür. Für Ausführungsfehler gibt es Abzug.

Den Weltrekord hat Kohl verbessert, indem er sich an den Bonuspunkten bediente. Die gibt es für zwei besonders schwere Drehungen, den Drehsprung und die Lenkerstanddrehung. Beim Drehsprung nutzt Kohl sein Rad wie ein Turner das Pauschenpferd. Seine Beine umkreisen das Fahrrad, unter ihm dreht sich der Lenker mit. Bei der Lenkerstanddrehung dreht er sich auf dem Lenker stehend um 180 Grad im Vorwärtsfahren. Für jede Rotation, die er mehr macht als angekündigt, gibt es Extrapunkte. Kohl ist der Einzige, der das bisher geschafft hat. Den Weltrekord hat er mehrmals verbessert, weil er nach und nach mehr Rotationen zeigte. Zuletzt erhöhte er die Bestmarke um die Maximalausbeute von fünf Bonuspunkten: Schwerer geht es nicht. "Eigentlich wollte ich mich erst im nächsten Jahr an die beiden Bonusübungen machen", gibt Kohl zu, aber wie das manchmal so ist im Sport: "Dass ich dieses Jahr den Weltrekord schon knacke, hätte ich nicht gedacht".

Der internationale Kunstradsport wird seit den ersten Weltmeisterschaften 1956 von deutschen Sportlern beherrscht. 54 der 63 Weltmeistertitel gingen an Männer, 43 von 60 Titeln an Frauen aus Deutschland. Auch in diesem Jahr waren die Deutschen erfolgreich: Weltmeisterin wurde in Basel Milena Slupina. Wie Kohl ist auch sie Fränkin, die 24-Jährige kommt aus Roth.

In den vergangenen Jahren gelang es überraschend vielen fränkischen Kunstradlern, in die Weltspitze vorzudringen. Die zweifachen Radball-Weltmeister Gerhard und Bernd Mlady, die am Wochenende in Basel Silber gewannen, kommen aus dem mittelfränkischen Stein. Der ehemalige Weltrekord im Einzel-Kunstrad wurde von dem Aschaffenburger David Schnabel aufgestellt, der später den zweimaligen Weltmeister Michael Niedermeier trainierte, von dem wiederum Lukas Kohl viel gelernt hat. In der Trainingsgruppe "Team Bayern", vom ehemaligen Kunstradfahrer Steffen Hein organisiert, wird an der Technik gefeilt - so bleiben die Weltmeistertitel in der Region.

Auch die aktuellen Weltmeister aus Franken, Slupina und Kohl, haben davon profitiert. "Mittlerweile beherrschen wir fast die ganze Palette an Übungen, deshalb geht es jetzt darum, Feinheiten zu verbessern und schneller zu sein - dann gibt's einen Zeitbonus", sagt Kohl.

Dabei ist die eigentliche Kunstradhochburg Baden-Württemberg, auch der Bundestrainer arbeitet von dort aus. Slupina und Kohl trainieren viel für sich, Lehrgänge und Trainingseinheiten mit dem bayerischen Team sorgen für Abwechslung. Drei Mal pro Woche sitzen beide auf dem Rad, dazwischen stehen Kraft- und Handstandtraining an, immer im Gespann mit den Heimtrainerinnen - ihren Müttern. Die unterstützten ihre Kinder von Anfang an und schreiben inzwischen gemeinsam Trainingspläne und geben Rückmeldung beim Perfektionieren der Küren.

Leben können Slupina und Kohl nicht von ihrem Sport. Kunstradfahren ist keine olympische Sportart, Anreisekosten für die Weltcups werden nicht vom Verband übernommen. "Ich bin eine von wenigen Ausnahmen, die als nicht-olympische Athleten in die Basisförderung der Sporthilfe fallen", sagt Kohl. "Darüber bin ich froh." Während er noch Wirtschaftsingenieurwesen studiert, arbeitet Slupina schon als Ingenieurin bei einem Schwabacher Maschinenbauunternehmen. Auch ihre Erfolge passen gut in das Bild der deutschen Dominanz im Kunstradfahren: 2017 wurde sie erstmals Weltmeisterin, gewann in diesem Jahr vor dem WM-Titel auch den Gesamtweltcup und hält den Weltrekord.

Für Kohl ist diese Dominanz deutscher Kunstradsportler sowohl Fluch als auch Segen. Er hofft, dass das internationale Wettkampfniveau gesteigert wird. Bisher turnen nur deutsche Athleten Übungen über der 200-Punkte-Marke. Weshalb es auch eine weit größere Herausforderung ist, einen der zwei deutschen WM-Startplätze zu bekommen als eine WM-Medaille zu ergattern. Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen gingen Gold und Silber in diesem Jahr nach Deutschland. Kohl möchte deshalb sein Wissen ins Ausland bringen: "Ich habe dieses Jahr einige Wochen in Macau verbracht und den dortigen Athleten und Trainern Trainingstipps gegeben." In zwei Monaten reisen zwei Athleten und ihre Trainerin von dort nach Deutschland für ein weiteres Trainingslager. Der Verband begrüße dieses Engagement, sagt Kohl, denn "wenn das internationale Niveau steigt, dann steigt auch die Chance, dass wir olympisch werden". Das würde den Weltmeistern Slupina und Kohl helfen - auch wenn dann ihre Überlegenheit herausgefordert würde.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2019
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