Kugelstoßen:Die Lehren der großen Weite

Doha - IAAF Diamond League 2015

24-Stunden-Sieger: David Storl entschied den Kugelstoßwettbewerb in Doha (Bild), dann reiste er nach Halle und deklassierte wieder die Konkurrenz.

(Foto: Francois Nel/Getty Images)

Während Kugelstoßer David Storl in Doha und Halle glänzt, ringt der zweitbeste Deutsche Thomas Schmitt mit seiner Entwicklung.

Von Johannes Knuth, Halle/Saale

Der Kugelstoßer David Storl ist am vergangenen Samstag am Flughafen Berlin-Tegel gelandet, "um 7:05 Uhr morgens", sagt Storl, er kann sich noch genau erinnern. Er hatte ja noch eine dringende Verabredung. Um acht Uhr setzte sich Storl ins Auto, eine Stunde später traf er in Halle ein (das eigentlich eineinhalb Fahrstunden entfernt liegt). Kurz darauf, nicht einmal 24 Stunden, nachdem er in Doha/Katar das erste Diamond-League-Kugelstoßen der Saison gewonnen hatte, stieg Storl bei den Halleschen Werfertagen in den Ring. Er stieß die Kugel auf 21,57 Meter, 21,66 Meter und 21,72 Meter; Saisonbestleistung, jeweils weiter als bei seinem Sieg am Vortag (21,51). Storl hatte im Flieger fünf Stunden geschlafen.

Die Sehne ist noch immer gereizt, er schluckt Schmerzmittel - im Training und im Wettkampf

Die ersten Wettkämpfe der Saison sind oft der Ursprung großer Taten, die später im Lauf der Saison folgen sollen, in diesem Jahr bei der WM Ende August in Peking. Den Werfertagen in Halle kommt dabei einiges an Bedeutung zu. Auf den Wurfwiesen in Halle treten nahezu alle verdienten Werfer und Stoßer der Nation an, auch das leistungsfähigste Ressort des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) braucht eine Messe, bei der es sich sammeln und Anlauf nehmen kann für ein langes Jahr. Die Branchenführer nahmen am Samstag dann auch einiges mit, Linda Stahl einen Sieg im Speerwurf (62,06), Julia Fischer gewann das Diskuswerfen (63,59), Christoph Harting verbesserte, in Abwesenheit seines verletzten Bruders, seine Weltjahresbestweite auf 67,93 Meter; auch Betty Heidler trotzte ihren mauen 70,46 Metern im Hammerwerfen etwas Positives ab ("Aus solchen Wettkämpfen lernt man am meisten"). Und dann war da natürlich David Storl.

Storl hat sich im Winter an der Patellasehne im linken Knie operieren lassen. Jetzt laufen alle Systeme wieder, in diesem Jahr war bislang nur der Amerikaner Joe Kovacs besser (22,35). Dabei verlief die Operation mäßig, Storls Sehne ist noch immer gereizt, er schluckt Schmerzmittel, im Training und im Wettkampf. Er wollte in diesem Jahr endlich von der Stütztechnik aufs Umspringen wechseln, der Kugelstoßer nähert sich dabei dem Balken am Ring, indem er flink vom einen Bein aufs andere wechselt. 30 Zentimeter an Weite bringe diese neue Entwicklungsstufe, glaubt Bundestrainer Sven Lang. Aber Storls linkes Knie macht gerade nicht mit. "Ich glaube nicht, dass das überhaupt noch mal geht", sagt Storl. Er trägt das mit einer Ruhe vor, als rede er gerade über das Wetter.

David Storl wird im Juli 25 Jahre alt, man vergisst das manchmal, in seiner Schatztruhe liegen ja bereits einige Medaillen. Er ist zweimaliger Weltmeister, zweimaliger Europameister, 2012 gewann er olympisches Silber in London. Wenn das Knie ihn lässt, wird er bei der WM im August erneut ziemlich weit vorne landen. Potente Gegner lassen sich gerade nicht viele auftreiben, Storl stieß im vergangenen Jahr meist gegen eine Weite, diese 22 Meter, denen er sich bis auf drei Zentimeter genähert hat. Storl ist diese Marke wichtig, sie ist wie der Zugang zu einem schicken Klub, der nicht jedem gewährt wird. Zuletzt scheiterte der 24-Jährige oft an seinem Ehrgeiz, aber wer Storl in Halle beobachtete, erlebte einen Kugelstoßer, der aus der Verkrampfung seine Lehren abgeleitet hat. Die 22 Meter? "Die rutschen einfach irgendwann raus", sagt er, "ich bin nicht mehr so heiß darauf, das auf Biegen und Brechen zu stoßen". Früher habe er es oft mit Kraft probiert, das führte dazu, dass die Kraft verpuffte. "Ich versuche jetzt, es technisch zu lösen. Man muss locker bleiben", sagt Storl.

Der Kopf stößt mit, das konnte man in Halle auch bei Thomas Schmitt beobachten, dem derzeit zweitbesten deutschen Kugelstoßer. Wenn auch auf entgegengesetzte Weise. Schmitt, 26, zählte in Jugendjahren mal zur deutschen Elite, irgendwann verschwand er aus dem Zirkel der Besten. Bis zum 21. März, in Übach-Palenberg. Schmitts Kugel landete bei 21,35 Metern, mehr als Meter weiter als je zuvor, er hatte sich plötzlich in ein Mitglied der Weltelite verwandelt. Auf Schmitt prasselte viel ein, Glückwünsche, Interviewanfragen, die Leute tuschelten über unlautere Methoden. Schmitt kann auf keine Dopingtests verweisen, er war ja bis zuletzt keinem Kader angehörig, kein Kader, keine Tests. Er kann nur sagen: "Ich habe ein reines Gewissen." Er beschleunigt aus der Drehung, das ist fehleranfälliger, aber wenn alle Bewegungen im Einklang sind, kann der Stoßer der Kugel viel Geschwindigkeit mitgeben. Sven Lang sagt: "Das war für uns Trainer sehr schwer greifbar. Aber es wird schon so gewesen sein."

Tatsächlich leidet Schmitt bis heute unter diesem einen Stoß. In Halle plumpste seine Kugel früh zu Boden, bei 18 Metern, immer neben dem Sektor, er schied im Vorkampf aus. "Kopfsache", sagt er. Sein System ist verrutscht, der Körper früh in Schieflage, der Stoß vorbei, bevor er angefangen hat. Schmitt weiß, dass diese 21 Meter so schnell nicht mehr wiederkommen werden. Er muss erst noch seine Lehren aus einer großen Weite ableiten, anders als Storl. Schmitt muss wieder lernen, kleine Aufgaben im Alltag zu bewältigen, 18,50 Meter, 19 Meter. Vielleicht klappt es ja doch noch mit der Zulassung für die WM, die liegt bei 20,60 Metern; seine 21,35 Meter kann er nicht einreichen, der Wettkampf war nicht als Norm-Veranstaltung zertifiziert. Ansonsten wird er sich um das kümmern, was er sich eigentlich für diesen Sommer vorgenommen hatte: seine Masterarbeit. Schmitt studiert Physik, das Thema lautet: "Rotations-Spektroskopie von Molekülen".

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