Süddeutsche Zeitung

Fritz-Walter-Medaille für Nicolas Kühn:Im Jahr nach Havertz

  • Nicolas Kühn ist eine große Hoffnung im deutschen Fußball - jetzt bekommt er eine besondere Auszeichnung.
  • Er musste Deutschland erst verlassen, um anerkannt zu werden.

Von Christof Kneer

Marc-Andre ter Stegen, Antonio Rüdiger, Matthias Ginter, Niklas Stark, Jonathan Tah und Kai Havertz haben alle schon mal die schickste Auszeichnung gewonnen, die der Deutsche Fußball-Bund seit 2005 an seine besten U19-Spieler vergibt: die goldene Fritz-Walter-Medaille, benannt nach jenem legendären Fußballspieler, nach dem neben jener Medaille auch schon ein Wetter benannt ist. Alle sechs Spieler gehören zu jenem Kader, mit dem Bundestrainer Jogi Löw, nach dem noch kein Wetter benannt ist, gerade durch die EM-Qualifikation tourt. Das heißt nicht zwingend, dass Nicolas Kühn, 19, bei der WM 2022 in Katar für die deutsche A-Nationalelf stürmen wird. Aber wenn man sich so durch die Branche hört: Es könnte schon gut sein.

Nicolas Kühn, geboren am 1. Januar 2000, war schon ein Millennium Kid, bevor er zum ersten Mal einen jener abrupten Tempowechsel hinlegte, für die er in Insiderkreisen inzwischen gerühmt wird. Am Freitag hätte Kühn in direkter Nachfolge von Kai Havertz die Medaille für den besten deutschen U19-Spieler in Empfang nehmen sollen, aber Kühn hat sich nur mit einer Videobotschaft zu Wort gemeldet. Er konnte nicht kommen, er musste für Deutschland spielen. Am Donnerstag hat er die deutsche U20 zu einem 4:2-Sieg gegen Tschechien geführt, zwei Tore hat er vorbereitet. Am Sonntag muss er noch mal spielen, in den Niederlanden dann. Nichts könnte besser passen als dieses Spiel. Kühn, gebürtiger Niedersachse, steht bei Ajax Amsterdam unter Vertrag und spielt im Moment für Jong Ajax, die zweite Mannschaft in der zweiten Liga.

Nicolas Kühn ist ein Offensivspieler, der selber nicht weiß, ob er als Stürmer, als Außenstürmer oder als Nummer zehn besser ist, er kann das irgendwie alles. Sein Talent spricht für den deutschen Fußball, weil der deutsche Fußball es hervorgebracht und nicht verhindert hat, aber gegen den deutschen Fußball spricht es auch. Kühn musste erst raus aus Deutschland, um vielleicht mal der Spieler zu werden, der in ihm steckt. Vor zwei Jahren wurde in den führenden deutschen Nachwuchsinternaten getuschelt, dieser Kühn sei auf dem Markt, der wolle dringend weg aus Leipzig, weil er keine Lust mehr habe, gemäß der dortigen Hausdoktrin immer nur Pressing zu spielen und auf den gegnerischen Torwart loszurennen. In Hoffenheim haben sie die Veranlagung des Millennium-Babys erkannt, aber drei Millionen Euro war der 17-Jährige ihnen doch nicht wert, und er hatte sich auch schon entschieden: Er wollte zu jenem Fußball, der ihn auch wirklich zu schätzen weiß. Seine Berateragentur hatte Gespräche mit dem FC Barcelona geführt, am Ende wurde es dann Ajax Amsterdam, so eine Art Barcelona in Klein.

Hier wie dort spielen sie jenen fließenden technischen Fußball, der Kühns Talent zum Leuchten bringt. Kühn hat die Karrierewege von Frenkie de Jong und Mathijs de Ligt verfolgt, beide haben sich über Jong Ajax zu den Großen hochgespielt, auch Kühn trainiert schon gelegentlich mit der ersten Mannschaft. Marc Overmars, 46, der Sportdirektor von Ajax, hat kürzlich gesagt, der junge Deutsche erinnere ihn ein bisschen an ihn selbst. Overmars hat 86 Länderspiele für die Niederlande absolviert.

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Quelle:
SZ vom 7.9.19/jbe
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