Süddeutsche Zeitung

Kroatiens Torwart Subasic:Unter dem Trikot trägt er seinen "Engel"

  • Vor zehn Jahren starb der junge Mittelfeldspieler Hrvoje Custic nach einem Spiel seines Klubs NK Zadar.
  • Den Abstoß, der zu dem folgenreichen Zweikampf führte, spielte sein Jugendfreund und heutiger kroatischer Nationaltorwart Danijel Subasic.
  • Diese Tragödie belastet und begleitet den Schlussmann des WM-Viertelfinalisten bis heute.

Von Javier Cáceres, Sotschi

Zehn Jahre danach ist der Schmerz immer noch zu groß. Und all die Reue ist nutzlos geblieben, denn sie hat nichts von dem gelöscht, was damals geschah. Denn es gibt Dinge im Leben, die man nicht ändern, nur beweinen kann: den Tod. Und wenn Danijel Subasic, der Torwart der kroatischen Nationalmannschaft, mit der Vergangenheit konfrontiert wird, füllen sich seine Augen mit Tränen, die Brust mit Schmerz, die Kehle mit Sand. So wie bei der ersten Pressekonferenz Kroatiens in Sotschi, wo sein Team am Samstag gegen Russland um den Einzug ins Halbfinale der Fußball-WM kämpfen wird.

Subasic, 33, ist derjenige, der die Kroaten bis nach Sotschi gebracht hat. Im Elfmeterschießen des Achtelfinales gegen Dänemark hatte er am Montag drei Schüsse der Dänen pariert, mit der Selbstsicherheit, die er sich am Vorabend erworben hatte. Da hatten sie mit der kroatischen Mannschaft Elfmeter trainiert, und er hatte vier oder fünf gehalten, erzählte er. Als die Partie vorüber war, zog er sein Torwarttrikot hoch, und zum Vorschein kam ein weißes T-Shirt, auf dem das Bild eines jungen Mannes zu sehen war, unter dem englisch verfassten Schriftzug "Forever". Man habe von der Geschichte zu dem T-Shirt schon gehört, sagte ein Journalist. Doch wenn er sie vielleicht doch noch einmal erzählen könne, für diejenigen, die sie nicht in ihren Details kennen, und ausführen könne, was das T-Shirt für ihn bedeute, wäre er dankbar. "Suba" versuchte es. Doch er bekam nur abgebrochene Sätze heraus: "Das war... Es war... Was damals passiert ist...", sagte er. Dann brach er in sich zusammen.

Ein Meer aus Selbstvorwürfen

Er versuchte, mit Zeigefinger und Daumen der rechten Hand die Tränen wegzudrücken, und verbarg das Gesicht hinter der Hand, so gut es ging. Der Verteidiger Domagoj Vida, der neben ihm saß und gerade noch mit ihm Witzeleien ausgetauscht hatte, legte ihm die Hand auf den Rücken und drückte seine Stirn an Subasic' Kopf.

Später, als die Pressekonferenz vorbei war und Subasic sich wieder gefangen hatte, bat er die Journalisten um Vergebung für "diese verdammten Tränen und verfluchten Emotionen". Doch wer sollte es ihm verdenken? Denn die Geschichte, um die es geht, kreist um eine Tragödie. Genauer: um seinen Jugendfreund Hrvoje Custic, einen Mittelfeldspieler, von dem man nie wissen wird, ob er vielleicht auch einen Platz in dieser kroatischen Mannschaft gefunden hätte.

Bei einem Spiel ihres damaligen Klubs NK Zadar gegen HNK Cibalia, im Jahr 2008, hatte Custic mit einem Gegenspieler an der Außenlinie um einen Ball gerungen. Nach einem Abschlag von Subasic. Es war kein unfairer, aber eben doch ein Zweikampf. Custic stürzte, prallte mit dem Kopf gegen eine Betonmauer und verletzte sich schwer. In der Klinik wurde er ins künstliche Koma versetzt, sein Zustand galt als stabil. Doch dann löste eine Infektion einen Fieberschub aus, den er nicht überlebte. Kurz darauf, vier Tage nach dem Unfall, wurde er für hirntot erklärt.

Und Subasic versank in einem Meer aus Selbstvorwürfen. Viele Jahre später sollte er sich fragen, was wohl passiert wäre, wenn er den Ball nicht auf seinen Freund geschlagen hätte. Sondern auf die andere Seite des Spielfeldes. Als könnte man ahnen, dass der Tod auch an der Kalklinie eines Fußballfeldes warten kann.

Wenige Monate nach dem Unfall wechselte "Suba" zu Hajduk Split, wo er einen kroatischen Pokal gewann. Schon damals trug er ein T-Shirt mit dem Konterfei des toten Freundes unterm Jersey, so wie später auch in Frankreich, als er mit 27 Jahren zum damaligen Zweitligisten AS Monaco erstmals ins Ausland wechselte.

Er stieg mit Monaco auf (und trug dazu nicht nur mit Paraden, sondern auch mit einem Freistoßtreffer gegen Boulogne-sur-Mer bei); 2017 wurde er mit Monaco französischer Meister. Und er hat sich dort immer gegen starke Konkurrenten durchsetzen können, sei es der Niederländer Maarten Stekelenburg, der Argentinier Sergio Romero oder in der vergangenen Saison der Schweizer Diego Benaglio, der aus Wolfsburg an die Côte d'Azur wechselte.

Zur "Nummer 1" wurde Subasic erst nach der WM 2014

Auch seine Nationalmannschaftskarriere begann relativ spät. Als er 2009 bei einem Spiel gegen Liechtenstein (5:0) debütierte, war er bereits 25; zur "Nummer 1" wurde er aber erst vor wenigen Jahren, nach der WM 2014 in Brasilien, als der lange Jahre unangreifbare Stipe Pletikosa zurücktrat.

"Er gibt uns enorm viel positive Energie, und er ist ein Mann, der, wie heute, seine Emotionen zeigt", sagte Vida, der den 1,91 Meter großen Subasic nach dem Spiel auf die Schultern genommen und fast ein Malheur heraufbeschworen hatte: Subasic rutschte ab. Doch es ging gut: Gegen die Russen wird Subasic sein 42. Länderspiel bestreiten wie immer seit zehn Jahren mit einem Foto von Custic unterm Trikot.

Ob da viel Arbeit auf ihn zukommen kann, ist im Lichte der bisherigen Auftritte der Russen eher fraglich, gegen Uruguay oder Spanien haben sie sich verschanzt. "Sie spielen zuhause, und müssten eigentlich attackieren", sagte Subasic, "aber ich weiß es nicht, ich bin nicht ihr Trainer." Eines aber sei gewiss: "Sie werden über ihre Fähigkeiten hinauswachsen".

Das dürfte allerdings auch für Subasic gelten. Mit der Hilfe von Custic, den er seinen "Engel" nennt.

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SZ vom 05.07.2018/dsz
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