Kroatien bei der WM in Katar:Die Achse der Alten

Kroatien bei der WM in Katar: Luka Modric und Ivan Perisic: Auf diese beiden kann Kroatien nicht verzichten - in Katar stehen sie erneut in einem WM-Viertelfinale.

Luka Modric und Ivan Perisic: Auf diese beiden kann Kroatien nicht verzichten - in Katar stehen sie erneut in einem WM-Viertelfinale.

(Foto: Robert Michael/dpa)

Lovren, Modric, Perisic: Kroatien steht auch dank der Protagonisten aus dem WM-Finale 2018 im Viertelfinale. Dass der Sieg gegen Japan mal wieder nach Elfmeterschießen gelingt, weist auf die Stärke des Teams hin: dem Gegner die Energie zu rauben.

Von Sebastian Fischer, al-Wakra

Luka Modric beim Fußballspielen zuzusehen, ist ein Ereignis, das war auch im Al-Janoub-Stadion in al-Wakra so, wenige Momente reichten. Einmal schoss er per Dropkick aus der Distanz, mit dem Außenrist, wie auch sonst? Japans Torhüter hatte seine Mühe.

Die Szenen, die womöglich noch mehr über seinen Einfluss auf Kroatiens Spiel aussagten, waren allerdings seine Eckstöße. Nicht mal die Ausführung, sondern was vorher geschah. Modric ging in Richtung Eckfahne, höchstens trabte er ein kleines bisschen, alles wie in Zeitlupe. Würden sich in Katar die Jahreszeiten nicht ohnehin so gleichen, womöglich wären sie derweil vergangen.

Modric, 37, war beim 3:1-Sieg im Elfmeterschießen gegen Japan schon draußen, als sich das Spiel entschied. Bei seiner Auswechslung in der Verlängerung lag ein bisschen Drama in der Luft, es drohte ja sein Abschied zu werden, irgendwann muss schließlich auch er aufhören. Nun hat er noch mindestens ein WM-Spiel vor sich. Und er wird wieder versuchen, dieser Partie sein eigenes Tempo zu verleihen. Es ist vielleicht das markanteste Stilmittel seiner Mannschaft.

Kroatien, der Weltmeisterschaftszweite von 2018, trifft am Freitag im ersten Viertelfinale auf Brasilien, einen der großen Favoriten. Insofern war es durchaus verständlich, dass die Kroaten vorsorglich bereits nach dem Achtelfinale ihre Botschaft platzieren wollten. Verteidiger Dejan Lovren sagte: "Heute haben wir der Welt gezeigt, dass wir zu den besten acht der Welt gehören und dass 2018 nicht einfach aus Glück passiert ist."

Sind die Kroaten nun ein Team wie 2018, das erst im Finale gegen Frankreich verlor?

Die WM begann für Kroatien mit unspektakulären Leistungen in der Gruppenphase. Gegen Außenseiter Kanada gelang ein 4:1, gegen Marokko und Belgien reichten zwei Null-zu-null-Spiele zum Weiterkommen als Gruppenzweiter. Und man fragte sich: Sind die Kroaten nun ein Team wie 2018, das erst im Finale gegen Frankreich verlor? Oder eher wie bei der EM 2021, als vor dem Achtelfinal-Aus gegen Spanien von einem Streit der Alten mit den Jungen die Rede war? Machen sie etwas ganz anderes?

Die Meinung der Protagonisten ist diesmal relativ eindeutig: Sie loben die jüngere Generation, wo es nur geht. Bestes Beispiel dafür ist Josko Gvardiol,20, von RB Leipzig, Stammspieler in der Innenverteidigung. Trainer Zlatko Dalic hatte schon vor ein paar Tagen im Überschwang gesagt, Gvardiol werde einmal der beste Verteidiger der Welt. "Der Himmel ist sein Limit", sagte nun Mittelfeldspieler Nikola Vlasic. "Er spielt, als hätte er 100 Länderspiele", sagte Verteidiger Borna Barisic: "Er wird eine atemberaubende Karriere haben."

Tatsächlich konnte man auch an Kroatiens Innenverteidigung in den 120 Minuten gegen Japan die Charakteristik der Mannschaft gut erkennen. Tatsächlich machte Gvardiol ein überzeugendes Spiel, übernahm mit langen Pässen oft den Aufbau, verteidigte fehlerlos. Doch noch etwas mehr Zweikämpfe gewann Lovren. Und der 33-Jährige leitete eine aus Kroatiens Sicht entscheidende Szene ein. In einer Phase der zweiten Halbzeit, in der Japan dem 2:0 näher zu sein schien, fand Lovren mit einer Flanke aus dem Halbfeld im Strafraum Perisic, der mit einem perfekten Kopfball zum 1:1 traf. Effektiver und abgezockter ging es kaum.

Kroatiens Kader ist einer der ältesten bei dieser WM. Gvardiol ist die Ausnahme, mit Abstand der Jüngste, der in Katar bisher zum Einsatz kam. Danach kommen schon Lovro Majer und der am Montag angeschlagen fehlende Stuttgarter Außenverteidiger Borna Sosa, mit jeweils 24. Entscheidend aber ist weiterhin die Achse der Alten: Lovren, Modric mit Marcelo Brozovic, 30, und dem immerhin erst 28 Jahre alten Mateo Kovacic an seiner Seite, vorne der 33-jährige Perisic. Alle waren schon 2018 dabei, wie Trainer Dalic. Schmerzlich vermisst wird nur Stürmer Mario Mandzukic, der mit 36 inzwischen zum Trainerstab gehört, einen echten Nachfolger als Neuner gibt es nicht.

Gegen Japan konnte man sehen, wie die Kroaten der bisherigen Überraschungsmannschaft des Turniers nach und nach die Energie raubten. Fast hundert Pressing-Aktionen weniger hatten sie laut Fifa-Statistik als die Japaner, die spektakulär über den Rasen flitzten, wie ein Schwarm verteidigten und angriffen. Die Kroaten setzten Erfahrung und Ruhe dagegen. Das Elfmeterschießen deutete sich an.

Der Dramaturgie des Abends folgend rückte damit noch jemand anders in den Mittelpunkt, der 2018 noch auf der Bank saß: Torwart Dominik Livakovic, 27, der im Elfmeterschießen dreimal parierte, allerdings drei sehr unplatzierte Versuche der Japaner. "Sie waren nicht schwer zu halten, sie waren aber hart geschossen", sagte Livakovic. Mit seiner Leistung gab es noch mehr Parallelen zu 2018.

Damals siegten die Kroaten im Achtelfinale gegen Dänemark im Elfmeterschießen - und Torwart Danijel Subasic hielt dreimal. Die beiden gehören nun zu insgesamt erst drei Torhütern der WM-Geschichte, denen das gelang. Er knüpfe an die Leistungen seines Vorgängers an, sagte Livakovic nun.

2018 folgte im Viertelfinale gegen Russland wieder ein Elfmeterschießen, im Halbfinale gegen England ein Sieg nach Verlängerung. "Vielleicht steht es in den Sternen geschrieben, dass Kroatien so weiterkommen muss", sagte Lovren. Vielleicht hat es aber auch System. Ob es gegen Brasilien wieder gelingen kann? "Wir haben nichts zu befürchten", sagte Trainer Dalic am Dienstag. "Wir müssen mit viel Vertrauen und Selbstvertrauen ins Spiel gehen, Spaß am Fußball haben." Und natürlich: den Brasilianern den Spaß rauben.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusDie DFB-Elf und ihre Fans
:Die Entfremdung

Vom "Wunder von Bern" bis zum "Sommermärchen 2006" - für Deutschland hatte die Nationalelf über Jahrzehnte eine besondere Bedeutung. Das ist vorbei.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: