Süddeutsche Zeitung

Verlorenes WM-Finale:Für Kroatien ist auch Platz zwei ein Wunder

  • Nach dem verlorenen WM-Finale überwiegt in Kroatien der Stolz auf die größte Leistung in der Fußballgeschichte des Landes.
  • Mindestens 100 000 Menschen werden heute in Zagreb erwartet, um die Mannschaft zu empfangen.
  • Kroatiens Fußballfans mögen nur nicht, wenn sich nun Politiker und Funktionäre in die Feierlichkeiten einmischen.

Von Florian Hassel, Zagreb

Josip Budimir und seine Freunde trauerten nur ein paar Minuten. Zwölf Stunden waren der 27 Jahre alte Techniker und seine Freunde Petar, Manuel und Ali aus dem österreichischen Wels trotz langer Ferienstaus in ihre kroatische Heimat gefahren, um auf dem Ban-Jelačić-Platz im Herzen Zagrebs das Finale gegen Frankreich zu verfolgen. Doch aller Jubel bei Kroatiens Toren und alle Anfeuerung halfen nichts: Mit dem Schlusspfiff war der Traum vom Weltmeistertitel auch für die Jungs mit der weiten Anreise erledigt. "Wir hatten die Mannschaft, um den Titel zu holen - aber nicht das Glück", sagte Budimir. "Und wir haben leider immer Lücken in unserer Abwehr. Die Franzosen waren diesmal stärker und cleverer."

Doch die Trauer währte nur kurz. Wenig später feierten Budimir und seine Freunde schon wieder. "Es ist auch so ein riesiger Erfolg für uns als kleines Land. Ich habe selbst aus Vietnam Glückwünsche für das Spiel unserer Mannschaft bekommen. Die wussten vorher nicht einmal, wo Kroatien ist." So wie Budimir sahen es Zehntausende anderer Kroaten in Zagreb und Hunderttausende in anderen Städten des Landes: Sie feierten, als ob ihr Land Weltmeister geworden wäre: mit Liedern und Konzerten, bengalischem Feuer und Raketen und triumphalem Schwenken riesiger kroatischer Flaggen.

Das kroatische Fernsehen wiederholte bis in die Nacht die Höhepunkte der Spiele Kroatiens bei dieser WM; Josip Budimir und viele andere jüngere Fans feierten die ganze Nacht hindurch. Und das friedlich: Weder kam es aus Enttäuschung über die Niederlage zu irgendwelchen Ausschreitungen, noch waren nationalistische Symbole oder Parolen zu sehen oder zu hören.

"Die Erinnerung an diese Tage des Stolzes und Ruhmes wird ewig leben"

Nur wenige Medien sahen einen Wermutstropfen in der Niederlage ihrer Mannschaft, die vor allem in der ersten Halbzeit das Spiel zu ihren Gunsten hätte vorentscheiden können. "Ja, es war eines dieser Spiele, die immer einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Eines dieser Spiele, wo man von Anfang bis Ende, ohne Rücksicht auf das Resultat, das Gefühl hat, dass man viel mehr könnte, dass man viel mehr verdient hätte", kommentierte das Sportportal telesport.hr. "Aber bei all dem muss man wiederholen: Kroatien hat in Russland ein Wunder vollbracht ... Kopf hoch, Kroatien!"

"Der Schmerz wird schnell vergehen", schrieb die Tageszeitung Jutarnji list. "Die Erinnerung an diese Tage des Stolzes und Ruhmes wird ewig leben." Die Tageszeitung Večernji list sah es ähnlich. "Kroatien feiert die Vizeweltmeisterschaft - Ihr seid unser Gold! ... Ihr habt uns den Stolz zurückgegeben und uns aus dem Pessimismus herausgezogen." Eine Nation, die durch echte und künstliche Teilungen, politische Instabilität und eine wirtschaftliche Krise erschöpft sei und den Glauben an Kenntnis und Fähigkeiten ihrer Politiker verloren habe, habe "etwas Großes und Positives" gebraucht.

"Das sind Sie, Herr Dalić, Sie und Ihre Jungs!", gratulierte das Blatt dem noch vor einem Jahr selbst in Kroatien völlig unbekannten Trainer der Nationalmannschaft. Die Begeisterung für den zurückhaltend auftretenden Zlatko Dalić geht in Kroatien so weit, dass manche ihn im Scherz baten, doch bitte das ganze Land zu übernehmen.

Nur wenige machten die Mängel des kroatischen Spiels zum Thema: Dass die Mannschaft die anfängliche Überlegenheit nicht zur Führung nutzte, das Eigentor Mandžukićs oder den beim dritten und vierten Tor der Franzosen unglücklich agierenden Torwart Subašić. "Zwei dumme Fehler haben uns den Weltmeistertitel gekostet", kommentierte ein Fan auf telesport.hr - und wies darauf hin, dass die kroatische Mannschaft den Sieg über England im Halbfinale bis zum nächsten Morgen gefeiert habe. "Mir scheint, wir haben den Einzug ins Finale zu sehr gefeiert, um den Titel zu erringen."

Doch für viele Kroaten ist das Fest am Montag nicht zu Ende. Mindestens 100 000 Menschen werden in Zagreb erwartet, um die am Mittag am Flughafen eintreffende Mannschaft im offenen Bus auf einer Triumphfahrt zum Ban-Jelačić-Platz zu empfangen. Kroatiens Eisenbahnen halbierten am Montag ihre Preise; der Ministerpräsident rief alle Landsleute auf, nach Zagreb zu kommen, um die heimkehrenden Helden zu begrüßen - und nur diese.

Für Kroatiens Fußballfunktionäre und Politiker, in Kroatien weithin mit Misstrauen betrachtet, ist vom Organisator der Jubelfeiern keinerlei Rolle vorgesehen. "Die ganze Welt wird live sehen, dass wir endlich vereint sind und vereint atmen. Und deshalb haben Politiker hier nichts verloren", schrieb Jutarnji list. Und Spomenka Tićac, die aus Mannheim für Finale und Feier nach Zagreb gekommen war, sagte es so: "Es ist einfach nur Fußball - und hat Gott sei Dank nichts mit Politik zu tun."

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