Dass Zlatko Dalic sich zu einer öffentlichen Entschuldigung gezwungen fühlt, kommt nicht oft vor. Viel erreicht hat Kroatiens Nationaltrainer in seiner bald siebenjährigen Amtszeit, viel mehr jedenfalls, als man den Kroaten oft zugetraut hätte, weshalb Dalic meist nur frenetisch bejubelt wurde. Diese Erfolge allerdings können einen auch in die Defensive führen, wenn gestiegene Erwartungen auf harte Realitäten treffen. So wie das eben am späten Samstagnachmittag in Berlin der Fall war, als etwa 100 000 Kroaten das Stadtbild prägten, aber letztlich nur wenig Begeisterndes zu sehen bekamen: „Es war eine tolle Atmosphäre. Ich entschuldige mich für dieses schlechte Spiel“, sagte Dalic im Nachgang auf der Pressekonferenz.
Eine grausame erste Halbzeit erlebten die Kroaten, die den Spaniern im Mittelfeld beachtlich viel Raum ließen, um sich zu entfalten. Wenn das Personal in der Mitte des Feldes – mit Luka Modric, Marcelo Brozovic und Mateo Kovacic in jener Formation, die sich seit Jahren auf der Weltbühne bewährt hat – allerdings versagt, findet sich Kroatien eben auch in der harten Realität wieder, dass der Rest der Mannschaft gut, aber nicht überdurchschnittlich zusammengestellt ist.
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Fraglich war Dalics Aufstellung insofern, als er zwei Ausnahmekönner auf ihre B-Positionen stellte. Josko Gvardiol von Manchester City und Josip Stanisic von Bayer Leverkusen spielten als Links- respektive Rechtsverteidiger und nicht in der Abwehrzentrale, wo stattdessen Josip Sutalo und der ehemalige Wolfsburger Marin Pongracic aufliefen. Beide spielten weit unter dem Niveau, das gegen Spanien notwendig gewesen wäre: Sutalo etwa ließ sich beim 0:1 zu einem Schritt nach außen verleiten, der die gesamte Zentrale öffnete, in die Álvaro Morata hineinlaufen konnte. Auch am 0:2 und 0:3 waren beide Innenverteidiger direkt beteiligt.
Bei „Expected Goals“ und Ballbesitz war Kroatien den Spaniern ebenbürtig
„Wir werden jetzt nicht alles ändern, was wir vorher gut gemacht haben“, sagte Dalic, der immer ein gutes Gespür dafür bewiesen hat, wie er seine Mannschaft wieder einrichten kann, häufig auch durch Personalrochaden. Das 0:3 gegen Spanien ist längst nicht der erste Rückschlag bei einem Turnier. In die EM 2021 etwa startete Dalics Mannschaft mit einer Niederlage gegen England und einem Unentschieden gegen Tschechien. Schon damals wurde ihr bescheinigt, sie habe ihren Zenit überschritten. Bewahrheitet hat sich das nicht.
Es gibt stattdessen durchaus Anlass zur Hoffnung: Ihre Probleme in der schlecht koordinierten Defensivzentrale müssen sie nun lösen, wo auch der erfahrene Brozovic eine ungewohnt schlechte Figur abgab. Offensive Umschaltmomente und Torgelegenheiten hätte es durchaus gegeben, der sogenannte Expected-Goals-Wert sprach nach 90 Minuten genauso für Kroatien wie die Ballbesitzstatistik. Das alles bekräftigte Dalics These vom „schlechten Tag“, den man sich in der EM-Gruppenphase praktischerweise einmal leisten kann.
Fraglich ist sogar, ob die Entschuldigung überhaupt notwendig gewesen wäre: Kurz vor Spielende, inmitten einer besiegelten Niederlage, begannen die kroatischen Anhänger im Stadion noch einmal zu singen, als läge die eigene Mannschaft klar in Führung. Wie ein abschreibungswürdiger EM-Geheimfavorit wirkte Kroatien in diesen Momenten nicht.