Die WM stand vor ihrem Ende, als Dinamo Zagreb den Anteil des Vereins am spektakulären Auftreten des kroatischen Nationalteams ins Licht rückte: "Dinamo ist Rekordhalter bei Weltmeisterschafts-Endspielen", lobte sich Kroatiens führender Fußballklub kurz vor dem Spiel gegen Frankreich - und zählte 14 Moskauer Finalteilnehmer aus Dinamos Reihen auf. Allerdings spielt nur Dominik Livakovic, bei der WM Ersatztorhüter, aktuell noch in Zagreb. Mittelfeldmotor Luka Modric, Stürmer Mario Mandzukic oder die Verteidiger Lovren und Vida - alle kommen zwar von Dinamo, stehen aber bei Real Madrid, Juventus Turin, Liverpool oder Beşiktaş Istanbul unter Vertrag.
Schon Ende Juli beginnt in Kroatien die neue Saison. Der Fußballalltag unterscheidet sich selbst beim Rekordmeister Dinamo krass vom Glanz der WM: "Wir haben wenige Zuschauer und keine Sponsoren", sagt Vorstandsmitglied Ognjen Naglic, "also leben wir vor allem davon, dass wir junge Talente ausbilden und unsere besten Spieler an Klubs in Europa verkaufen."
Das Dinamo-Stadion gehört nicht dem Verein, sondern der Stadt Zagreb und hat seine besten Zeiten lange hinter sich. Hinter dem blau schimmernden Empfangsbereich mit Fanshop und Klub-Signet zeigt Naglic nach oben: "Das ist unsere Haupttribüne. Der alte Teil wurde vor mehr als einem halben Jahrhundert gebaut, der neuere ist auch Jahrzehnte alt. Die Sanierung wurde nie beendet - deshalb haben wir auch kein Dach." Das Stadion fasst 36 000 Zuschauer, doch alle Plätze werden nie gebraucht: "Manchmal kommen nur 2000 Zuschauer zu einem Ligaspiel", sagt Naglic. Bei den neun anderen Vereinen der ersten Liga Kroatiens ist es ähnlich: Im Schnitt kommen 2750 Besucher.
Nur die Champions League bringt wirklich Reichtum
Das einzig Moderne ist der für eine Million Euro frisch verlegte Rasen. Auf dem treten gerade Dinamos A- und B-Mannschaften zum Testspiel an. Der Klub will sich für die neue Champions-League-Runde qualifizieren, nächsten Dienstag kommt der israelische Meister Hapoel Be'er Sheva zum Qualifikations-Hinspiel: "Wir erwarten viel", sagt Naglic, "in der Champions League bekämen wir von der Uefa 15 Millionen Euro. Das entspricht einem Großteil unseres Jahresbudgets."
Die Spieler kommen nicht nur aus Kroatien. Der Tscheche Jan Lecjaks spielt neben dem Franzosen Kevin Theophile-Catherine. Auch der Slowene Petar Stojanovic läuft auf, der bosnisch-stämmige Izet Hajrovic oder der Iraner Sadegh Moharrami. Naglic deutet rechts neben das Stadion: "Da ist unser Internat - auf Hotelniveau, mit 25 Plätzen und eigenem Restaurant. Wir bilden junge Talente in unserer Fußballschule aus. Manche Spieler kommen schon mit zwölf Jahren zu uns." Berühmtester Absolvent der Schule: Luka Modric.
Vor Kurzem hat Dinamo den 21 Jahre alten offensiven Mittelfeldspieler Ante Coric zu AS Rom verkauft, für acht Millionen Euro. Von einem anderen, 20 Jahre alten Spieler verspricht sich Naglic ebenfalls "eine große Ablösesumme". Groß bedeutet: ab 15 Millionen Euro aufwärts. Insgesamt, überschlägt Naglic, habe der Verein seit 15 Jahren durch Transfers rund 300 Millionen Euro eingenommen. Wie viele Millionen tatsächlich beim Verein landeten und wie sie verdient wurden, ist Gegenstand mehrerer Prozesse - und einer der Gründe, warum so wenige Fans kommen.
Miroslav Buzuk, 60, Anfang der 70er-Jahre Jugendspieler bei Fortuna Köln und heute Unternehmer in Zagreb, geht wie die meisten Kroaten aus Prinzip nicht mehr zu Spielen der Liga: "Ich kaufe nur ein Ticket, wenn ein europäischer Gegner kommt - unser heimischer Fußball ist durch und durch korrupt." Schon 2011 nahm Kroatiens Anti-Korruptionsbüro Chefschiedsrichter und Vereinsfunktionäre wegen verschobener Ligaspiele fest. Später kamen die Skandale um den Mamic-Clan hinzu.
Sowohl Dinamo wie Kroatiens Fußballverband HNS waren oder sind gleichbedeutend mit Zdravko Mamic: Vordenker, Manager, Talententdecker. Ob Modric, Mandzukic, Lovren - alle waren früher unter den Fittichen von Mamic, der neben Funktionen in Verein und Verband auch eine Spieleragentur betrieb. Doch etliche Verträge, die der auch aus Zdravkos Bruder Zoran und Sohn Mario bestehende Mamic-Clan mit Spielern abschloss, waren Staatsanwälten zufolge sittenwidrig und begleitet von Unterschlagung, Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Am 6. Juni wurden die Mamic-Brüder und zwei weitere Angeklagte von einem Gericht im ostkroatischen Osijek in erster Instanz verurteilt: Sie hätten Dinamo um mindestens 15 Millionen Euro geprellt und das Finanzamt um mindestens 1,8 Millionen Euro.
Zdravko Mamic wurde zu sechseinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, floh aber nach Bosnien, die Staatsangehörigkeit dort besitzt er ebenfalls. Zwei Tage nach dem WM-Finale gratulierte eine bosnische Richterin Mamic im Gerichtssaal zur Leistung Kroatiens und lehnte seine Auslieferung trotz Haftbefehls aus Kroatien ab. Dort müsste sich der Fußballpate auch einer zweiten Anklage der Staatsanwaltschaft Zagreb stellen, wegen des Verdachts auf weitere Unterschlagungen und Geldwäsche im Umfang von insgesamt 20 Millionen Euro.
Dinamo Zagreb hat sich nicht von Mamic distanziert - er gilt bis heute als Boss des Vereins. An der Spitze des Verbandes steht sein Verbündeter, der Ex-Stürmer Davor Suker (früher auch bei 1860 München). Auch das Geschäftsgebaren des HNS ist umstritten. Doch die Statuten des Verbandes seien so strukturiert, "dass es leichter ist, Kim Jong-un in Nordkorea auszutauschen als den Vorsitzenden des HNS", klagt Ex-Verbandsfunktionär Ivan Brelekovic.
"Unser Nationalteam war nicht wegen, sondern trotz der Korruption und mangelnden Strategie des kroatischen Fußballs erfolgreich", sagt der Fachmann Juraj Vrdoljak vom Portal Telesport.hr. "Viele Fans hofften, Modric und Lovren würden mit ihrem Ansehen und Aussagen vor Gericht dazu beitragen, im kroatischen Fußball endlich aufzuräumen." Beide Spieler waren früher Schützlinge von Mamic und mussten bei ihren Transfers in Ausland 2008 und 2010 Millionen ihrer Ablöse abliefern. Darüber sagten sie beim Staatsanwalt aus und unterschrieben eidesstattliche Erklärungen. Im Prozess aber sagte Modric plötzlich, er könne sich an nichts mehr erinnern. Auch Lovren zog seine Aussage zurück: Wie später auftauchende Dokumente bewiesen, hatte der Pate Mamic die Aussage schriftlich vorgeschrieben.
"Modric verkörpert beide Gesichter des kroatischen Fußballs: Er hat spielerisch begeistert und ist für viele jetzt der Fußballgott schlechthin", sagt Vrdoljak, "aber für viele ist er ein Lügner, der beiträgt, ein korruptes System aufrechtzuerhalten. Diese Teilungen werden auch durch den Erfolg bei der WM nicht beseitigt." Als das Portal index.hr meldete, Modric werde nach der Empfangsfeier in Zagreb auch an Kroatiens Küste reisen, kommentierte der enttäuschte Fan Mario Kralj, er hoffe, Modric und Lovren kämen nicht nach Split: "Alle anderen sind willkommen."
Modric wird künftig nicht nur vor jubelnden Fans spielen. In Spanien entging er im Januar mit der Zahlung von einer Million Euro einer Anklage wegen Steuerhinterziehung, in Kroatien ist er wegen des Verdachts auf Meineid und Falschaussage angeklagt. Gegen Lovren wird ermittelt.
Ein Neuanfang im kroatischen Fußball wird auch durch eine enge Allianz mit der Politik verhindert, sagt Drazen Lalic. Vor vier Jahrzehnten war er Hardcore-Fan von Hajduk Split und ging im Fanclub Torcida auch Prügeleien nicht aus dem Weg. Heute ist Lalic Professor an der Universität Zagreb und hat Erkenntnisse aus drei Jahrzehnten Fußballforschung kürzlich im Buch "Fußball und Politik" zusammengefasst: "Fußball ist in Kroatien eng mit der Regierungspartei HDZ verbunden. Etliche HDZ-Politiker sind gleichzeitig führend im Vorstand des Verbandes HNS."
Der Pate Mamic bezahlte nicht nur 2014 die Wahlkampagne von Kroatiens Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic mit, er organisierte auch private Partys der Präsidentin und war sogar noch als Angeklagter Gast in ihrem Haus. An der engen Symbiose hat sich nichts geändert. Vom Gericht in Osijek wurde im Juni neben Mamic auch HNS-Exekutivdirektor Damir Vrbanovic zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der Verband ließ ihm im Amt, Vrbanovic war Hauptorganisator des WM-Auftritts - und beim Sieg über Russland sogar an der Seite von Präsidentin Grabar-Kitarovic. "Die Weltmeisterschaft ist vorüber, aber der Sumpf im kroatischen Fußball bleibt bestehen", sagt Lalic.