Süddeutsche Zeitung

Kroatien im WM-Halbfinale:Geniale Brüder

  • Luka Modric und Ivan Rakitic, diese beiden genialen Mittelfeldspieler dominieren das Spiel beim WM-Halbfinalisten Kroatien.
  • Gegen England kommt es auch auf ihr Geschick an, wenn die Kroaten erstmals ein Endspiel bei einer Weltmeisterschaft erreichen wollen.

Von Javier Cáceres , Sankt Petersburg

Es gibt Tage, da kann Ivan Rakitic seinen Mittelfeldpartner Luka Modric nicht sehen. Und das geschieht häufiger als man glauben könnte, allein in der vergangenen Spielzeit an potenziell 43 Tagen. "Es gefällt mir nicht, Luka im Hemd von Real Madrid zu sehen", gestand Rakitic der Zeitung El País.

Der Grund: Ivan Rakitic ist seit 2014 beim FC Barcelona angestellt, während sein Nationalmannschaftskollege Luka Modric seit 2012 für Real Madrid spielt, für den Klub also, den der Arbeitgeber von Rakitic, der FC Barcelona, als natürlichen Feind empfindet - und dessen Interessen Modric in der vergangenen Saison in 43 Pflichtspielen verteidigte. Das schmerzt in Barcelona nicht nur Rakitic. Denn der mittlerweile verstorbene Übervater des Barcelonismo, der Niederländer Johan Cruyff, hatte auf Modrics Verpflichtung gedrängt, als der heutige Kapitän der kroatischen Nationalmannschaft noch bei Dinamo Zagreb spielte.

Zurzeit hat Rakitic beim Anblick Modrics keine Probleme. Modric, 32, und Rakitic, 30, der eine in Zadar, der andere in der Schweiz aufgewachsen, tragen bei der WM in Russland das gleiche Hemd - das schachbrettartig gemusterte Shirt der kroatischen Auswahl. "Wenn Luka Modric und Ivan Rakitic für ihr Land spielen, vergessen sie, dass sie in Spanien Rivalen sind. Sie verwandeln sich in einen einzigen Körper und eine einzige Seele", sagt der kroatische Nationaltrainer Zlatko Dalic.

Für Rakitic ist Modric "der beste Spieler Kroatiens aller Zeiten"

Dass die Kroaten an diesem Mittwoch (20 Uhr/ZDF) im Moskauer Luschniki-Stadion gegen England um den Einzug in das WM-Finale spielen, hat tatsächlich damit zu tun, dass die beiden sich im bisherigen Turnierverlauf kongenial ergänzt und dabei füreinander eine Wertschätzung entwickelt haben, die ins Unermessliche reicht. "Luka ist nicht nur unser bester Spieler und Kapitän, er ist für mich auch der beste Spieler Kroatiens aller Zeiten", sagte Rakitic in diesen Tagen: "Er macht jeden Spieler besser, der an seiner Seite spielt. Es ist ein Genuss, mit ihm zu spielen"

Dass Modric und Rakitic bei der WM gemeinsam glänzen wie vielleicht noch nie - und das vermutlich beste kreative Mittelfeld-Duo bei einer WM bilden, seit Andrés Iniesta und Xavi Hernández mit Spanien 2010 in Südafrika Weltmeister wurden -, hat viel mit Dalic zu tun. Nachdem dieser das Amt im Oktober 2017 übernahm und die Kroaten durch die Qual der Relegation nach Russland führte, traf er eine Entscheidung, die das Talent der beiden befreite.

Statt Rakitic und Modric als Doppelsechser - also vor der eigenen Abwehr - agieren zu lassen, wie es noch sein Vorgänger Ante Cacic angeordnet hatte, stellte Dalic Marcelo Brozovic vor die Abwehr. Und er ließ Rakitic und Modric den größtmöglichen Freiraum für derart gut koordinierte Vorstöße, dass man nicht weiß, ob sie einer einstudierten oder intuitiven Choreografie folgen. Rakitic hat diese Freiheiten bisher für ein WM-Tor, Modric für zwei WM-Tore (sowie eine Vorlage) genutzt.

Überdies haben beide eine erstaunliche mentale Stärke gezeigt. Bei den Elfmeterschießen in Achtel- und Viertelfinale (gegen Dänemark und Russland) verwandelten beide unter besonderen Stressbedingungen: Auf Rakitic lastete in beiden Partien die Verantwortung, als fünfter und entscheidender Schütze vom Punkt anzutreten. Gegen Dänemark trat Modric an, obwohl er in der Verlängerung vom Elfmeterpunkt noch am Torwart Kasper Schmeichel gescheitert war.

"Sie sind die beiden besten Mittelfeldspieler der WM. Dass die beiden einander so gut verstehen, ist fundamental für unseren Erfolg", sagt Trainer Dalic. Diese Begeisterung ist längst grenzüberschreitend. "Es ist eine Wonne, dabei zuzusehen, wie sie spielen, wie sie sich assoziieren, wie sie sich ergänzen und abwechseln", sagte Barças Mittelfeld-Ikone Xavi Hernández der Zeitung El Mundo Deportivo aus Barcelona. Modric und Rakitic sind auch der Grund dafür, dass der Italiener Fabio Capello, der unter anderem die Nationalteams Englands und Russlands trainiert hat - und seine größten Erfolge als Coach des AC Mailand feierte - davon spricht, dass die Kroaten "die Südamerikaner Europas sind".

Die beiden "Brüder", als die Rakitic sich und seinen Partner gern mal bezeichnet, hätten fast tatsächlich mal zusammen in einem Klub gespielt. Als Rakitic noch beim FC Sevilla war, versuchte Modric ihn zu Real zu locken; doch der ehemalige Schalker wechselte nach Barcelona. Modric selbst wiederum wäre 2008 wirklich fast in Barcelona gelandet. Die Verhandlungen waren so weit gediehen, dass er für ein Sportblatt der katalanischen Hauptstadt im Trikot des FC Barcelona posierte. Am Ende machte der englische Klub Tottenham Hotspur das Rennen, unter seltsam improvisierten Rahmenbedingungen.

Die Londoner machten den Deal über das Faktotum des kroatischen Fußballs, Zdravko Mamic, der wegen obskurer Nebengeräusche, die bei etlichen Dinamo-Transfers zu hören waren, von einem kroatischen Gericht wegen Unterschlagung und Steuerhinterziehung verurteilt wurde.

Dass es für Modric nicht nach Barcelona, sondern nach London ging, kam so überraschend, dass er im Trainingsanzug in die britische Hauptstadt flog - und im Kaufhaus Harrod's noch rasch in die Herrenabteilung musste, um auf den letzten Drücker einen Einreiher für die offizielle Vorstellung als Tottenham-Profi zu kaufen. Doch das ist lange her.

Die Aktualität kreist um den Traum vom Weltmeistertitel mit Kroatien - und mit seinem Bruder Ivan.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4048249
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.07.2018/jbe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.