Süddeutsche Zeitung

Kroatien bei der WM:Zwei Tore gegen den Druck

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Von Tobias Schächter, Kaliningrad

Aberglaube ist tief im Bewusstsein vieler Fußballer verankert, auch viele Fans pflegen Rituale, mit denen sie das Schicksal auf die Seite ihrer Mannschaft ziehen wollen. Dass Samstagnacht die Anhänger der Nationalmannschaft Nigerias nicht wie gewohnt mit lebenden Hühnern als Glücksbringer ins Stadion von Kaliningrad zu ihrem WM-Auftaktspiel gegen Kroatien kommen durften, war aber nicht der wahre Grund für die 0:2 (0:1)-Niederlage. Die russische Regierung hatte einen entsprechenden Antrag nigerianischer Fans abgelehnt.

Viel mehr fehlte der Mannschaft des deutschen Trainers Gernot Rohr Durchschlagskraft im Angriff, der überlegene Favorit kam durch ein Eigentor von Oghenekaro Etebo (32.) und ein Elfmetertor von Luka Modric (72.) zum nie gefährdeten Sieg. Die Kroaten spielten nicht brillant gegen einen in vielen Aktionen unreifen Gegner. Und dennoch: Der Sieg ist enorm wichtig. "Dieser Sieg gibt uns Selbstvertrauen", sagte Luka Modric.

Ein Aufbaugegner zur rechten Zeit

Durch das Remis der Isländer gegen Gruppenfavorit Argentinien am Nachmittag (1:1) war der Druck auf die beiden Wettbewerber in Kaliningrad gestiegen. Kroatien erfüllte die Pflicht und wird sich steigern müssen, um gegen Island und Argentinien zu reüssieren. Die hohen Erwartungen, endlich aus dem Schatten der in der Heimat "goldene Generation" genannten Vorgänger von 1998 zu treten, jener Generation, die bei der WM in Frankreich Dritter wurde, lasten schwer auf den Spielern. Und der Skandal um den verurteilten Steuerbetrüger und Fußballpaten Zdravko Mamic, in den unter anderem auch Kapitän Modric wegen Meineides im Prozess verwickelt ist, belastet das Klima. Nigeria war da ein Aufbaugegner zur rechten Zeit. Die Hoffnungen der Nigerianer auf ein Weiterkommen sind nach der Niederlage im ersten Aufeinandertreffen der beiden Länder auf ein Minimum gesunken.

Es war das Duell der jüngsten Mannschaft des Turniers (Nigeria) gegen eine der erfahrensten. Und es war ein Duell zweier unterschiedlicher Systeme: hier die auf Ballbesitz fixierten Techniker vom Balkan, dort die auf kollektives Verteidigen und schnelles Angreifen getakteten Nigerianer. Die Kroaten diktierten das Spiel, konnten sich aber nur selten klare Tormöglichkeiten herausspielen. Zur Führung benötigten sie ein Eigentor nach einem Eckball: Etebo lenkte nach einem Kopfball von Mario Mandzukic die Kugel mit der Hacke unglücklich ins eigene Tor (32.). "Bei Eckbällen waren wir zu naiv", sagte Trainer Rohr.

Dass der Treffer von der Stadionregie zunächst Andrej Kramaric zugeschrieben wurde, war zwar schön für den Profi der TSG Hoffenheim - aber eben auch ein Fehler. Doch Kramaric war zusammen mit dem Frankfurter Ante Rebic der stärkste Offensivspieler in der 4-2-3-1-Grundordnung von Trainer Zlatko Dalic. Der stellte nach einer Stunde auf Ergebnisverwaltung um und brachte für Kramaric Mittelfeldspieler Marcelo Brozovic. Mit dem verwandelten Elfmeter von Luka Modric (72.) - Ekong hatte Mandzukic umgerissen - war die schwache Partie entschieden.

Die nigerianischen Spieler mussten nach schlechten Ergebnissen in der Vorbereitung zuletzt mit wachsender Skepsis der Fans leben, Trainer Rohr stand in der zur Hysterie neigenden Presse im fußballverrückten Land schon in der Kritik. Die wird nach der Niederlage nicht abnehmen. Zudem ging Rohr das Abenteuer ein, den erst 19 Jahre jungen Francis Uzoho als Torwart aufzubieten, nachdem Stammkeeper Carl Ikeme an Leukämie erkrankt war. Uzoho ist beim spanischen Erstligaabsteiger Deportivo de La Coruña nur vierter Torwart. Doch auch an dem zweitjüngsten Torwart der WM-Geschichte - jünger war nur Nordkoreas Chan-Myung Lee beim Turnier 1966 - kann die Niederlage Nigerias nicht festgemacht werden. Uzoho machte keinen Fehler. Nigeria war einfach zu schwach. Rohr sagte: "Wir sind enttäuscht, aber bleiben positiv und glauben daran, dass wir es noch schaffen können."

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SZ vom 17.06.2018
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