Kritik nach WM-Aus:Der clevere Lahm positioniert sich

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Philipp Lahm ist jetzt nicht mehr amtierender Weltmeister - aber er hat große Pläne. (Foto: REUTERS)

Philipp Lahm kritisiert Bundestrainer Löw und die jüngere DFB-Generation. Ein Amt strebt er offenbar nicht an - doch Lahm bringt sich für künftige Aufgaben in Stellung.

Von Christof Kneer, München

Joachim Löw wäre am Sonntagabend gerne an dieser Stelle gestanden, im Moskauer Luschniki-Stadion, bei der Siegerzeremonie dieser Fußball-WM. Gerne hätte er wieder den Pokal in die Höhe gehoben, dann als Titelverteidiger, das hat bisher noch kein deutscher Bundestrainer geschafft. Aber bestimmt wäre Löw auch mit geordneter Frisur aus dem Stadion rausmarschiert, wenn seine Nationalmannschaft das Finale gegen wen auch immer verloren hätte. Löws Erfolgsgeschichte wäre ja trotzdem weiter gegangen, er wäre in seiner Amtszeit weiterhin immer mindestens im Halbfinale gewesen, und niemand hätte es nach dem Turnier für nötig befunden, ihm gute Ratschläge zu erteilen.

Am Ende stand dort am Sonntag aber nur Philipp Lahm, wenn auch nicht als Titelverteidiger und auch nicht in seiner Eigenschaft als DFB-Botschafter für die EM 2024. Lahm war der Pokal-Presenter, der die Siegertrophäe für die Nachfolger von Jogi Löws Deutschen aufs Feld brachte.

Löw und Lahm, Lahm und Löw: Dieses Verhältnis war all die Jahre von hoher Loyalität geprägt, Löw und Lahm standen zusammen, als es gegen Michael Ballack ging, und in den Archiven stehen sie bis heute zusammen auf den Weltmeisterjubelbildern aus Rio. Löw hat Lahm gerne in seine Planungen einbezogen, und auch in seiner Art, diese Nationalelf zu führen, hat er sich von Lahm stets verstanden gefühlt. Und nun muss er also solche Sätze lesen: "Ich bin überzeugt davon, dass Jogi Löw seinen kollegialen Führungsstil der letzten Jahre ändern muss, wenn er mit der neuen Generation von Nationalspielern wieder Erfolg haben möchte", schreibt Lahm auf seinem Nutzerkonto bei linkedin.com unter der Überschrift: "Wenn ausbleibende Veränderungen Erfolg verhindern." Weiter schreibt er, Löws Trainerteam habe sich darauf verlassen, dass die "praktizierte Führungskultur der vergangenen, erfolgreichen Jahre ausreicht, um einmal mehr erfolgreich zu sein".

Lahm geht auf Löw los!

So oder so ähnlich klingen die schnellen Zeilen, mit denen Lahms Beitrag nun auf dem Boulevard und im Internet Karriere machen dürfte; und natürlich muss dem medienerfahrenen Lahm und seinem medienerfahrenen Umfeld bewusst gewesen sein, dass es genau so kommen wird. Wer Lahms Motivlage ergründen will, muss sich aber auf den ganzen Aufsatz einlassen, und da wird schnell erkennbar, dass es dem Weltmeisterspieler zunächst einmal nicht darum geht, einen Weltmeistertrainer zu beschädigen. Im Kern übt Lahm Kritik an der aktuellen, vor allem der jüngeren Spielergeneration, der er, verkürzt gesagt, das Verantwortungsgefühl fürs große Ganze - damit auch für die Institution Nationalmannschaft - abspricht. Kernthese: Man müsse den aus den Internaten stammenden Spielern erklären, dass sie nicht nur an sich selber denken sollten - eine Einschätzung, die in milderer Form kürzlich auch der ARD-Experte Thomas Hitzlsperger geäußert hatte, der seit kurzem das Jugendinternat des VfB Stuttgart führt. Der Experte Oliver Kahn hat die Lahm-These im ZDF hingegen vehement abgelehnt.

Dieses kuriose Durcheinanderkrächzen von Gurus und Experten könnte nun den Auftakt einer Debatte markieren, in der es am Ende vielleicht nicht mehr um die Sache - die deutsche Nationalmannschaft - geht, sondern um persönliche Rechnungen. Vielleicht meldet sich demnächst also Michael Ballack zu Wort und sagt, dass Lahm schon immer ... und so weiter.

Umso wichtiger erscheint es, sich erst mal Lahms Hintergründen zu widmen. Tatsächlich leitet Lahm seine Löw-Kritik aus seiner viel zentraleren Generationskritik ab. Lahm kommt offenbar zu dem Schluss, dass die Leute sich mit dieser Nationalelf nicht mehr identifiziert haben, weil sich die Nationalspieler selber nicht mehr mit der Nationalelf identifizieren - im übertragenen, nicht im politischen Sinne. Lahm sieht es so, dass die Internate lauter angehende Vereinsspieler hervorbringen, die das identitätsstiftende Wesen einer Nationalelf nicht mehr wirklich begreifen. Und weil "Führung" Lahms großes Thema ist, findet er also, dass Löw - und auch die Führungsspieler - den "Individualisten" im Team hätten klar machen müssen, "dass sie Verantwortung für die gesamte Mannschaft tragen". Dass also nicht jeder seine eigene Agenda durchs WM-Quartier in Watutinki tragen darf, sondern dass sie alle für ein paar Wochen ihre Interessen dem einen großen Ziel unterordnen sollten.

Natürlich stellt sich nun auch die Frage, welch eigene Agenda der clevere Lahm mit seiner doch sehr markanten Offensive verfolgt. Aus seinem Umfeld ist ausdrücklich zu hören, Lahm wolle sich für kein konkretes Amt aufdrängen, das im Zuge einer Reform der Nationalelf vielleicht für ihn abfallen könnte. Offenbar geht es Lahm um grundsätzliche Positionierung: um seine eigene als Funktionär und um die seines Botschafter-Amtes für 2024. Lahm möchte diesem Amt ein Upgrade verpassen und es gesellschaftlich relevanter machen, aber natürlich möchte er auch signalisieren: Hallo, deutscher Fußball, ich stehe auch für prominentere Aufgaben zur Verfügung, falls wir die EM kriegen sollten.

Und wahrscheinlich denkt Philipp Lahm ja auch dies: Irgendwer sollte halt mal eine WM-Analyse machen, und wenn sie schon der Bundestrainer nicht macht, dann macht sie halt der Ehrenspielführer.

© SZ vom 16.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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