Kritik an Mehmet Scholl:Ein bisschen Recht hat Scholl schon

Lesezeit: 2 Min.

Ex-Profi Mehmet Scholl. (Foto: dpa)

Die Tirade des Ex-Profis auf die Fußballer-Ausbildung in Deutschland liegt rhetorisch daneben und trifft die Falschen. Aber in seinen Ausführungen steckt auch ein Kern von Wahrheit.

Kommentar von Philipp Selldorf

Es ist keineswegs so, dass Schalkes Trainer Domenico Tedesco in seiner Zeit als aktiver Fußballer bloß in der Verbands- oder der Bezirksliga gespielt hätte. Richtig ist: Er hat noch eine Stufe tiefer gespielt. Beim ASV Aichwald im Kreis Neckar/Fils in der Kreisliga A, Staffel 1. Darunter kommt nicht mehr viel. Und dieser Amateur aus dem Hinterland darf nun also die Mannschaft eines deutschen Groß- und Spitzenklubs trainieren, während zum Beispiel Stefan Effenberg und Lothar Matthäus ihr Dasein als TV-Experten fristen müssen?

Auch diese Schicksalsfrage geht aus der aufsehenerregenden Grundsatzkritik hervor, die Mehmet Scholl jetzt an der Entwicklung des deutschen Fußballs geübt hat. Scholl, der frühere FC-Bayern-Kreativgeist, ist der Ansicht, dass Trainer wie Tedesco oder dessen Stuttgarter Kollege Hannes Wolf einem System entstammen, das von den Nachwuchsschulen bis in die Kabinen der Bundesliga grundlegend falsche Akzente setze: "Studenten", sagt Scholl mit unzweideutiger Verachtung, "haben unseren geliebten Fußball übernommen." Und diese feindliche Übernahme durch Technokraten und Theoretiker werde schlimme Folgen haben: "Was wir jetzt in den Europapokalspielen erlebt haben, ist erst der Anfang. Wir fahren gegen die Wand." Die Ausbildung der jungen Spieler bringe "nur noch weichgespülte Masse" hervor. "Ein blaues Wunder" drohe.

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In der Bundesliga ist es einigermaßen unstrittig, dass Scholl mit seinen drastischen Thesen in vielerlei Hinsicht weit übers Ziel schießt, dass er die vermeintlich Schuldigen falsch identifiziert und in der rhetorischen Form danebenliegt. Scholl wäre besser noch mal zum Nachdenken "mit dem Lada um den Block gefahren", bevor er seine Polemik vorbrachte, sagte Schalkes Manager Christian Heidel in Anspielung auf Scholls Tätigkeit als Werbefigur eines Autoherstellers (wobei der ehemalige Autohausmitarbeiter Heidel offensichtlich die Marken verwechselte). Andererseits ist aber nicht zu übersehen, dass ein Kern von Wahrheit in den Ausführungen steckt: Ein bisschen Recht hat Scholl ja.

Die Jugendarbeit lässt nur noch Apparat-Fußballer zu? Blödsinn!

Es stimmt, dass bei der gegenwärtigen Erziehung junger Fußballer die Elemente von Individualismus und kreativer Freiheit zu kurz kommen. System und Kollektiv bestimmen die Lehre, defensives Denken verhindert schöpferisches Spielen. Das drückt sich unter anderem in der Vorherrschaft des destruktiven, oft unansehnlichen Pressing-Fußballs aus. Und dass Hoffenheim, Hertha und Köln in der Europa League gescheitert sind, hat auch mit dem mittlerweile unterentwickelten fußballerischen Standard der Liga zu tun. Domenico Tedescos fußballerische Biografie ist dabei aber ganz gewiss nicht das Problem.

Scholl wähnt sich auf dem Kreuzzug für die gerechte Sache, wenn er sich für ein Ideal einsetzt, in dem "der Mensch" im Mittelpunkt des Fußballs steht. Seine Tirade ist daher weniger "der Hilferuf eines Enttäuschten", wie DFB-Trainer-Ausbilder Frank Wormuth meint, als der Aufschrei eines konservativen Romantikers - und Exzentrikers.

Selbstredend ist die Behauptung Blödsinn, dass die Jugendarbeit bloß noch normierte Apparat-Fußballer hervorbringt, Leroy Sané zum Beispiel ist dem von Scholl zum Denkmal erhobenen Arjen Robben gar nicht so unähnlich. Allerdings hat auch der Bundestrainer längst darauf hingewiesen, dass in den jungen Jahrgängen der Mut zum Dribbling und ein generell offensiverer Geist wieder mehr gefördert werden müssten. Eine gewisse Bildungs- und Systemreform im Nachwuchs und bei den Profis wären nicht der falsche Ansatz.

© SZ vom 11.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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