Kritik am Bundestrainer:Löw sucht Jogi

Einst gelobt und beinahe heilig gesprochen, ist Joachim Löw seit dem EM-Aus gegen Italien verstärkt in der Kritik. Löw muss erleben, wie sich der Blick auf ihn und seine Mannschaft verändert - der Bundestrainer wirkt angestrengt. Für seinen gewaltlosen Fußballansatz muss Löw erstmals kämpfen.

Christof Kneer

Der Satz, mit dem Joachim Löw die Pressekonferenz in Wien eröffnete, enthielt nichts als die Wahrheit. "Es ist ja so, dass Österreich gegen keine andere Nation so viel gewinnen kann wie gegen Deutschland", sagte der Bundestrainer. Diese Weisheit gilt im Übrigen auch umgekehrt, es gibt wenige Nationen, gegen die Deutschland so viel zu verlieren hat wie gegen den Nachbarn aus dem Süden. Noch heute sieht man ja in den alten Fernseh-Ausschnitten Sepp Maier vergeblich nach einem Schuss von Hans Krankl fliegen, man sieht Rüdiger Abramczik, wie er das österreichische Tor verfehlt. Das war 1978. Man kann prominent werden als Verlierer.

Germany's head coach Loew watches before their 2014 World Cup qualifying soccer match against Austria in Vienna

Auf der Suche nach der alten Leichtigkeit: Bundestrainer Joachim Löw.

(Foto: REUTERS)

Joachim Löws Mannschaft hat nicht verloren in Österreich, sie muss nicht befürchten, als Fernsehkonserve zu enden. Löws Mannschaft hat sogar gewonnen in Wien, und dennoch ist dem Bundestrainer spätestens dort aufgefallen, dass er plötzlich mehr zu verlieren hat als in all den sechs Jahren, die er nun den deutschen Fußball verantwortet.

Löw muss feststellen, dass dieses lästige EM-Halbfinale gegen Italien hartnäckiger ist als erhofft, es hat sich auch durch Löws etwas angestrengt wirkende Ruckrede vor dem Argentinien-Spiel nicht aus der Welt schaffen lassen. Löw muss erleben, wie sich der Blick auf ihn und seine Mannschaft allmählich verändert. Wurden seine jungen Spieler bislang fast heilig gesprochen wegen ihrer feinen Füße, so werden dieselben feinen Füße plötzlich zum Anlass genommen, die Wettbewerbshärte dieser Elf zu hinterfragen.

Die zahlende Kundschaft beginnt, diese nach wie vor hochgradig begabte Mannschaft plötzlich unter Schönwetter-Verdacht zu stellen; und sie stellt auch dem Bundestrainer Fragen, etwa jene, warum er der heißblütigen österreichischen Spielweise im Laufe der Partie ebenso wenig eine eigene, zündende Idee entgegensetzte wie Ende Juli in Warschau, als Trainer und Mannschaft den italienischen Sieg über sich ergehen ließen.

Es mag ungerecht sein, aber im Moment wird Löw sein Italien-Erlebnis nicht los. Alles, was er tut oder unterlässt, wird über den Abend von Warschau interpretiert, und wer Löw kennt, der merkt, wie sehr der Bundestrainer im Moment nach dem richtigen Tonfall sucht. Im Moment sucht Löw den Jogi - jenen ebenso lässigen wie souveränen Fußballerklärer, der er zuletzt immer war. In seinen Wiener Analysen fanden sich bisher ungekannte Töne; offensives Unverständnis über die öffentliche Kritik ("wir hätten 3:0, 4:0 oder 5:0 führen können") mischte sich mit einem defensiven Zungenschlag ("das wird ein Spiel auf Augenhöhe"), der ebenfalls neu ist.

Joachim Löw ist sechs Jahre lang nicht kritisiert worden, er war als Bundestrainer bisher so gut, dass er nie im Gegenwind coachen musste. Jetzt muss er zum ersten Mal für seinen gewaltlosen Fußballansatz kämpfen.

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