Krise des Hamburger SV:Konzeptlos wie ein Pleitestaat

HSV Sportdirektor Oliver Kreuzer

Ehemaliger Bayer im Dienste des Löwen: Der frühere Bundesligaprofi Oliver Kreuzer soll als Sportdirektor bei 1860 für bessere Zeiten sorgen.

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Oliver Kreuzer ist eine Symbolfigur der Krise des abstiegsbedrohten Hamburger SV. Der Sportchef schafft es seit seiner Ankunft nicht, dem Klub eine neue Denkweise einzuimpfen. Stattdessen hat er sich nahtlos in die teure Stückwerk-Politik seiner Vorgänger eingefügt.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Es gibt derzeit viele Gesichter der Krise beim Hamburger SV. Carl Edgar Jarchow ist eines, der Vorstandsvorsitzende, der oft ausschaut wie ein nicht sehr erfolgreicher FDP-Politiker, der er nebenbei noch ist. Rafael van der Vaart, der berühmte niederländische Nationalspieler, ist ein anderes. 2012 war er zurückgekommen, um den HSV zu retten. Doch je schlimmer die Lage wurde, desto mehr verkroch er sich wie ein Junge, der gerade eine Sechs geschrieben hat.

Auch Mirko Slomka, der dritte HSV-Trainer in dieser Saison, ist dabei, vom Hoffnungsträger zur Gestalt des Niedergangs zu werden. Seit einem Jahr hat er (ob mit Hannover oder dem HSV) keinen Auswärtspunkt mehr gewonnen - da ist die Hoffnung schnell aufgebraucht. Und dann gibt es noch ein Gesicht mit einem Fünftagebart. Es gehört Oliver Kreuzer, 48. Der ist seit einem knappen Jahr der Sportchef des Abstiegskandidaten.

Kreuzer hatte früher mal viel Erfolg. Als Abwehrspieler wurde er dreimal deutscher Meister mit dem FC Bayern. Als Teammanager oder Sportdirektor sammelte er weitere Titel mit dem FC Basel, Red Bull Salzburg und Sturm Graz. In seinem neuen Job dagegen führt er sich immer häufiger auf wie ein zutiefst enttäuschter Fan.

Dem HSV fehlt eine klare Klub-Philosophie - Kreuzer hat das nicht ändern können

Am vergangenen Montag zum Beispiel, nach dem 1:3 beim FC Augsburg, stellte er sich vor die Journalisten und blies seinen Missmut hinaus. Am Klassenerhalt gebe es vor dem letzten Heimspiel gegen den FC Bayern "berechtigte Zweifel". Er warte seit Wochen vergeblich "auf eine Reaktion" des Teams.

Kurz darauf hatte er scheinbar wieder etwas Mut geschöpft. Der Stachel des 0:4 gegen Real Madrid säße Tief bei den Münchnern, glaubte er, "die werden keine Lust haben, am Freitag in den Flieger nach Hamburg zu steigen". Beides zeigt, wie ratlos der Mann ist, der beim HSV sportlich die Richtung vorgeben soll.

Auch an der Personalie Kreuzer lässt sich ablesen, dass das Gesamtkonzept beim HSV so wenig stimmt wie bei einem Pleitestaat. Der Aufsichtsrat verpflichtete 2013 nicht den erfolgreichen Mannschaftsentwickler Jörg Schmadtke, der nach seinem Ausstieg bei Hannover 96 frei gewesen wäre und nun den 1. FC Köln in die Bundesliga führte, sondern eben Kreuzer, der etwas charmanter daherkam.

Fortsetzung der Abfindungsmentalität

Kreuzer hatte gerade mit dem Karlsruher SC das Malheur Drittliga-Abstieg mit dem sofortigen Wiederaufstieg ausgeglichen, kostete aber mindestens 600 000 Euro Ablöse. Als der HSV-Gönner Klaus-Michael Kühne den neuen Sportchef als "Drittliga-Manager" abqualifizierte, konnte Kreuzer schon ahnen, was da auf ihn zukam. Beim HSV gibt es seit der Entlassung von Sportchef Dietmar Beiersdorfer 2009 keinen mehr, der eine klare Klub-Philosophie vorgibt. Es reden zu viele mit.

Auch Kreuzer, der aufrechte Badener, hat daran nichts ändern können. Vielleicht auch, weil ihm die Autorität fehlt. Zwar hat er dem Milliardär Kühne via Medien mitgeteilt, es sei "peinlich, wenn ein älterer Herr aus Mallorca etwas vom Bundesliga-Fußball erzählen will". Er hat es auch ausgehalten, als im Februar Teile des Aufsichtsrates ganz im Sinne Kühnes den früheren HSV-Heiligen Felix Magath als Klub- und Sportchef installieren wollten. Doch sein größtes Verdienst aus HSV-Sicht war es bisher, seinem Vorgänger Frank Arnesen als KSC-Manager den sehr begabten Mittelfeldspieler Hakan Calhanoglu verkauft zu haben.

Ansonsten hat auch Kreuzer die Abfindungs-Mentalität beim hochverschuldeten Verein fortgesetzt. Der Aufsichtsrat hatte für den alten Vorstand um Bernd Hoffmann und für Arnesen mehr als vier Millionen Euro ausgeschüttet - und so ging es weiter. Gerade war Kreuzer da, wurde der zweitteuerste HSV-Profi der Geschichte, der Stürmer Marcus Berg (kam 2009 für zehn Millionen Euro Ablöse), an Panathinaikos Athen verschenkt, um den Etat um dessen Gehalt zu entlasten. Der Österreicher Paul Scharner (vier Ligaeinsätze) bekam eine Abfindung von 500 000 Euro.

Das waren Altlasten, doch die Trennungen von den Trainern Thorsten Fink und Bert van Marwijk gingen auf Kreuzers Konto. Wie man einen Vertrag aufsetzen konnte, der van Marwijk bis zu drei Millionen Abstand für die Vertragsauflösung zubilligt, muss man nicht nur den Aufsichtsrat fragen. Der HSV und Kreuzer hantieren noch immer am liebsten mit großen Namen.

Auch eine neue Denkweise hat Kreuzer dem Traditionsklub nicht eintrichtern können, weil er meist der Erfüllungsgehilfe der Trainer war. Während Fink Profis wie Tesche, Kacar, Mancienne und Rajkovic ausschloss und die sehr gut verdienenden Ausgemusterten praktisch unverkäuflich wurden, hat er ihre Verbannung erst rückgängig gemacht, als der neue Coach Mirko Slomka auf sie setzen wollte.

Als van Marwijk im Winter die jungen Niederländer Ola John und Ouasim Bouy als Verstärkungen forderte, hätte ein starker Sportchef Nein sagen müssen. Wie sollen zwanzigjährige Profis ohne Spielpraxis einem Team im Abstiegskampf helfen? Dafür gab Kreuzer Artjoms Rudnevs, den einzigen Torjäger neben dem oft verletzten Pierre-Michael Lasogga, an den Konkurrenten Hannover 96 ab. Auch Kreuzer war wie der komplette Vorstand überfordert.

Einer aber hält noch zu ihm: Mirko Slomka. Der "Olli", teilte der Trainer gerade mit, sei "ein richtiger Fighter. Im Büro hat er die Ärmel hochgekrempelt".

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