Krise der NFL:"Make Football Great Again"

Goodell ist bei den Menschen in Block 18L so beliebt wie eine Mischung aus Kaepernick, dem Schiedsrichter und einem Spieler, der nach einem Zusammenprall nicht schnell genug wieder aufsteht. "Der Typ hat diesen schönen Sport kaputt gemacht! Schau' dir doch diese Partie an, das hat mit Football nichts mehr zu tun", sagt der, der Kaepernick vorhin eine Knieverletzung gewünscht hat. Er heißt Joe, arbeitet im Management einer Bank und hat früher in diesem Stadion für die University of Southern California gespielt: "Jeder Körperkontakt ist gleich ein Foul, weil diese Weicheier Angst haben um ihre kostbaren Körper. Dann kann ich mir auch Frauenfootball ansehen."

Football war halt mal ein Männersport. Mittlerweile gibt es Frauen, die Football spielen. Professionell sogar - in der Legends Football League, die ihre Spiele im Frühling und Sommer austrägt, wenn die Männer die Verletzungen der Vorsaison kurieren. Die Vereine haben solch prächtige Namen wie Bliss (Glückseligkeit), Desire (Sehnsucht), Temptation (Versuchung), die Spielerinnen tragen zwar Helme und Schulterpolster, ansonsten aber nicht mehr als das, was die Models in der Bikini-Ausgabe der Zeitschrift Sports Illustrated anhaben.

Das Gegenteil von Liebe ist Gleichgültigkeit. Wer allen gefallen will, wird beliebig.

Joe ist ein Fan von Frauenfootball, er hat eine Dauerkarte für die Partien von Los Angeles Temptation: "Ich gehe wegen dem Sport ins Stadion." Er sagt das so wie jemand, der behauptet, dass er die Bikini-Ausgabe von Sports Illustrated wegen der Artikel kauft.

Als sich Joe zu Beginn des letzten Viertels - die Rams führen 21:7 - ein neues Bier holen will (er wird keins bekommen, weil der Ausschank zum Ende des dritten Spielabschnitts beendet wird), berichtet seine Frau von den fünf Enkelsöhnen, allesamt talentierte Sportler. "Kein einziger spielt Football", sagt sie: "Bist du wahnsinnig? Viel zu gefährlich! Es gibt Disziplinen, die geeigneter sind für junge Menschen: Basketball, Baseball - selbst Fußball."

In diesem Moment, bei diesem Spiel am Heiligen Abend, in Block 18L, da zeigt sich das Problem der NFL: Beim Versuch, diese Liga zum gemeinsamen Nenner für möglichst viele Amerikaner zu machen, hat Goodell genau das Gegenteil erreicht, weil es in diesem Land offenbar keinen gemeinsamen Nenner mehr geben darf. Die einen halten Football für eine grausame und gefährliche Sportart und verbieten ihren Enkeln die Teilnahme an diesem Gemetzel. Die anderen halten den Sport für verweichlicht und wenden sich deshalb Disziplinen wie der Ultimate Fighting Championship zu, bei der sich die Teilnehmer hemmungsarm malträtieren. Oder eben der Frauenliga, deren Spielerinnen wenigstens dürftiger bekleidet sind als die Cheerleader der LA Rams an der Seitenlinie.

Gäbe es zwei extreme Ligen, eine mit den martialischen Regeln aus den Achtzigerjahren, eine mit eingeschränktem Körperkontakt, wäre jede für sich wohl äußert erfolgreich. Eine Kompromissliga jedoch wirkt wie ein Amerikaner, der sagt, dass er sowohl Donald Trump als auch Hillary Clinton mag. Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass. Das Gegenteil von Liebe ist Gleichgültigkeit. Wer allen gefallen will, wird beliebig und gefällt niemandem mehr. Goodell riskiert, dass den Menschen dieser Sport gleichgültig wird. Die NFL konkurriert mit Baseball, Basketball und dem Emporkömmling Fußball um die Zuneigung im Volk, das durch Kauf- und Sehverhalten bestimmt, wer überleben wird.

Es gibt beim Football keinen übergeordneten Verband, Goodell kann autonom und schnell entscheiden. Er gibt gerne den Buhmann, so lange die Vereinsbesitzer mit den Einnahmen zufrieden sind und ihm weiterhin mehr als 30 Millionen Dollar Jahressalär bezahlen. Er könnte die reguläre Saison nur auf 17 Partien erhöhen, er könnte 16 Partien in Europa austragen (jeder der 32 Vereine müsste einmal über den Atlantik fliegen) und müsste dann keinen eigenen Klub im Ausland gründen. Er könnte Verhandlungen mit den Herstellern von Schutzbekleidung forcieren und dann wieder heftigere Zusammenstöße erlauben. Goodell ist kein Redner, er ist ein Macher. "Wir suchen nicht nach Entschuldigungen", kommentiert er den Einbruch der Einschaltquoten: "Wir suchen nach Lösungen."

Make Football Great Again. Das kann klappen, auch das wird am Heiligen Abend in diesem Stadion von Los Angeles sichtbar. Wer sich über was aufregt, der beschäftigt sich damit. Der kauft sich eine Eintrittskarte oder schaltet den Fernseher ein. Das Spiel ist spannend bis zum Schluss, 31 Sekunden vor Ende hüpft ausgerechnet dieser Colin Kaepernick über zwei Gegenspieler hinweg in die Endzone der Rams, er sorgt für den 22:21-Sieg seiner Mannschaft und präsentiert danach den Black-Panther-Gruß. Joe kümmert sich nicht um diese politische Geste und auch nicht um die Aktion während der Nationalhymne. Er schlürft an seinem alkoholfreien Getränk und sagt das, was hier wohl zu sagen ist, wenn dem Gegner kurz vor Schluss die entscheidende Aktion gelingt: "Verdammtes Arschloch!"

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