Süddeutsche Zeitung

Krise beim HSV:Zwei Kandidaten, die Labbadia ablösen könnten

André Villas Boas? Oder Julian Nagelsmann? Beim Hamburger SV wird munter über einen neuen Trainer spekuliert. Doch wer hat im Verein eigentlich das Sagen?

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Luís André de Pina Cabral e Villas Boas - das ist ein schöner kompletter Name für den erst knapp 39 Jahre alten Trainer, der bereits eine sehr schillernde Laufbahn hinter sich hat. Der Portugiese Villas Boas war schon für die Britischen Jungferninseln, den FC Porto, den FC Chelsea, Tottenham Hotspur und Zenit St. Petersburg zuständig, mit Porto und St. Petersburg wurde er sogar Meister. Bei Inter Mailand war er als Assistent tätig. In St. Petersburg eingestellt hat ihn im März 2014 der Manager Dietmar Beiersdorfer, ehe dieser wenige Monate darauf als Vorstandsvorsitzender zum Hamburger SV zurückkehrte. Warum soll man das erwähnen? Weil Villas Boas wohl einer der heißesten Kandidaten für den Trainerposten beim HSV ist, wie das Hamburger Abendblatt berichtet. Und weil er selbst kürzlich auf Instagram mitteilte, er würde gerade Deutsch lernen.

Zwei andere Zeitungen, der kicker und die Mopo, vermuten indes, dass der HSV sehr an einer Verpflichtung des Hoffenheimer Coaches Julian Nagelsmann interessiert sei. Der ist erst 29 Jahre alt, sei aber auf Initiative von Bernhard Peters, Direktor Sport beim HSV, schon vor anderthalb Jahren einmal Thema gewesen.

Für den derzeitigen HSV-Coach Bruno Labbadia sind diese Gerüchte weitere Indizien dafür, dass man im Umfeld des Volksparkstadions kaum noch an eine Zukunft mit ihm selber glaubt. Nicht wenige hatten erwartet, dass er - nach einem von Beiersdorfer angekündigten Gespräch - schon einen Tag nach dem 0:1 am Dienstag beim Aufsteiger SC Freiburg mit erneut beklagenswerter Leistung entlassen werden würde. "Das war völlig unzureichend", hatte der grantige Boss nach der Partie und der dritten Niederlage hintereinander geklagt und festgestellt: "Bruno Labbadia ist unser Trainer, da muss ich ihm nicht jeden Tag Rückendeckung geben." Echte Rückendeckung sieht anders aus.

Torwart René Adler übernimmt die Schuld für das 0:1 beim SC Freiburg

Doch seitdem schweigt Beiersdorfer. Nachdem der vom Flughafen kommende Teambus um 12.17 Uhr beim Stadion vorgefahren war und kurz darauf auch der Chef in seinem Dienstwagen, verschwand Beiersdorfer auf der Geschäftsstelle. Gut 100 Beobachter, darunter ein Drittel Journalisten und acht Kameraleute, warteten auf Labbadia und die Profis, die auslaufen sollten - doch viele Fans verloren bald die Geduld. Auch der Eisverkäufer war schnell wieder verschwunden. Den Leuten war weniger nach Erfrischungen als nach Informationen.

In einem waren sich die Fans ziemlich einig: Der mit dem Geld des Investors Klaus-Michael Kühne aufgepäppelte HSV (vor dieser Saison: 33 Millionen Euro in neue Transfers) spielt noch immer so, als habe es die personellen Verstärkungen beim Relegations-Meister der Jahre 2014 und 2015 nie gegeben.

Gleichwohl zeichnete sich ab, dass Labbadia auch am Samstag im Heimspiel gegen den FC Bayern auf der Bank sitzen wird. Die Pressekonferenz vor dem Bayern-Spiel am Donnerstag wurde vom HSV mit Labbadia angekündigt. Doch der Mann, der 477 Tage zuvor dem Klub die Zugehörigkeit zur Bundesliga rettete und vor zehn Monaten zum "Hamburger des Jahres" gewählt wurde, kann sich dafür nicht viel kaufen. Auch wenn Torhüter René Adler hervorhob, dass Labbadia und sein Stab "einen Super-Job" machen würden, weshalb er die Diskussionen "ein bisschen affig" findet - "der Trainer hat damit nichts zu tun". Zugleich packte Adler demonstrativ die Schuld für das entscheidende Gegentor durch den eingewechselten Nils Petersen (70.) auf die eigenen Schultern, er hatte zuvor einen Fernschuss nicht festgehalten.

Zu sehen ist von Labbadias Super-Job allerdings auf dem Rasen wenig. Nur eine einzige Torchance sprang in Freiburg heraus, als Bobby Wood in der 37. Minute den Innenpfosten traf. Nur sechsmal hat die HSV-Offensive in vier Spielen überhaupt auf das Tor geschossen, zweimal war es ein Treffer. Auch Labbadia kann nicht erklären, wieso es mit der verstärkten Mannschaft nicht klappt. Und das, obwohl das Team angeblich hinter ihm steht und auch Kapitän Johann Djourou erklärte, er habe "Großes für den Verein geleistet". Wieso ist kein klares System erkennbar wie bei den Aufsteigern Leipzig und Freiburg oder bei Mainz und Hoffenheim?

Natürlich hat das mit dem Coach zu tun, aber womöglich ist es beim HSV fast unmöglich, sich als Trainer durchzusetzen. Auch Labbadia wurde kürzlich schon wieder angezählt vom Geldgeber Kühne, dessen Engagement bei den Entlassungen von Vorgänger Mirko Slomka sowie den Sportchefs Oliver Kreuzer und Peter Knäbel belegt ist. Wie weit kann Beiersdorfer noch frei entscheiden, wenn derjenige, der das Geld gibt - und von Reiner Calmund und dem Spielerberater Volker Struth beraten wird -, unzufrieden ist? Es wäre ja auch eine Möglichkeit gewesen, dass der Vorstandschef den Trainer stützt.

Doch Villas Boas dürfte jemand sein, auf den sich Beiersdorfer und das Triumvirat abseits des Vorstandes einigen könnten. Wobei noch ein anderes Gerücht in Hamburg die Runde macht. Demnach sei der HSV auch mit dem früheren Hoffenheimer Markus Gisdol schon sehr weit in den Gesprächen. Das wäre jemand, der dem Sportdirektor Bernhard Peters (ebenfalls früher in Hoffenheim tätig) besser als Labbadia ins Konzept passen würde.

Die Frage bleibt aber weiterhin: Wer bestimmt eigentlich beim HSV?

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SZ vom 22.09.2016/ebc
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