Krise bei Hertha BSC Berlin:Nicht mehr planbar

Vor sechs Monaten war Lucien Favre mit Hertha BSC Berlin Tabellenführer der Bundesliga. Nach der fünften Niederlage in Folge setzt der Fußball-Wisschaftler auf Parolen.

Jürgen Schmieder, Fröttmaning

Nein, nicht einmal der VfB Stuttgart wollte Michael Preetz helfen an diesem Abend. Der Manager von Hertha BSC Berlin erklärte mit überzeugender Stimme, dass der Pokal seine eigenen Gesetze habe, als wäre das die Erkenntnis des Jahres. "Gucken Sie sich doch die anderen Spiele an", sagte er und deutete auf den Monitor über ihm.

Lucien Favre

Lucien Favre bei der Niederlage in München.

(Foto: Foto: ddp)

Just in diesem Moment spitzelte der Stuttgarter Sami Khedira den Ball ins Tor und brachte seine Mannschaft in Lübeck in Führung - und Michael Preetz musste nach der eher wackligen "Die anderen verlieren ja auch"-Argumentation einen neuen Erklärungsversuch starten, warum Hertha BSC Berlin im fünften Pflichtspiel in Folge erfolglos geblieben war.

Es war eine groteske Situation, wie Spieler und Verantwortliche versuchten, der Niederlage in der Münchner Arena etwas Positives abzugewinnen. "Wir haben unverdient verloren, ich bin optimistisch", stammelte Trainer Lucien Favre auf der Pressekonferenz. "Die Mannschaft hat ein Zeichen gesetzt, wir haben Moral gezeigt", ergänzte Kapitän Arne Friedrich. Und Michael Preetz wollte gar "definitiv einen Schritt nach vorne" erkannt haben. Zur Erinnerung: Die Berliner spielten zwar in der Münchner Arena, aber nicht gegen den FC Bayern - sondern gegen den TSV 1860, den 13. der 2. Bundesliga.

Immerhin durfte Preetz noch verkünden, dass Hertha BSC auf dem Transfermarkt tätig wurde. Nein, der Verein verpflichtete keinen schlagkräftigen Stürmer, sondern den Torhüter Timo Ochs, der zuvor bei Red Bull Salzburg unter Vertrag stand und seit Juli als arbeitssuchend galt.

Favre ist ein Trainer, der Fußball eher als Wissenschaft betrachtet denn als Sport. Er will Fußball planbar machen, kontrollierbar, vorhersehbar. Wenn er am Spielfeldrand steht und seine Spieler dirigiert, dann wird deutlich, dass er am liebsten elf Männchen hätte, die er wie Marionetten über das Spielfeld bewegen kann. Der Wissenschaftler Favre muss mittlerweile einsehen, dass Fußball eben doch ein Sport ist und dass sich im Sport vieles nicht planen lässt - weil Spieler eben doch keine Marionetten sind, die immer dorthin laufen, wohin der Trainer sie schickt. "Das war unglücklich", sagte dieser Favre, der sich gemeinhin nicht auf Dinge wie Glück verlassen möchte.

Bereits nach zehn Minuten waren die Münchner in Führung gegangen, als Rasmus Bengtsson den Ball nach einer Ecke in der Tat unglücklich ins eigene Tor lenkte. Der zweiten Münchner Treffer durch Kenny Cooper fällt in die Kategorie Sonntagsschuss und würde Favres Unglücks-Theorie stützen. Das war es aber auch schon mit Glück und Unglück, der Rest ist wieder wissenschaftlich zu erklären.

Da muss den Berlinern vorgehalten werden, dass sie 75 Minuten lang keinen brauchbaren Angriff zu Stande brachten und der Anschlusstreffer durch Adrian Ramos äußerst glücklich zu Stande kam. Erst danach inszenierte Hertha BSC ansehliche Offensivaktionen und kam nach einem schön herausgespielten Angriff zum Ausgleich durch Valerie Domovchiyski. Es waren zwei gute Angriffe des Bundesligisten innerhalb von 90 Minuten. Noch einmal: Der Gegner war eine Mannschaft, die in der 2. Bundesliga auf Platz 13 steht.

Freilich hatten die Berliner in der Verlängerung genügend Chancen, dieses Spiel zu entscheiden. "Wir hätten gewinnen müssen, die Gelegenheiten waren da", sagte Friedrich nach dem Spiel. Lucas Piszczek traf den Pfosten, Ramos schoss Kiraly ebenso in die Arme wie Gojko Kacar. "Wir haben uns Chancen erarbeitet, das müssen wir nun mitnehmen." Die Mannschaft muss aber auch mitnehmen, dass sie erneut verloren hat. Im Elfemeterschießen. Nur drei Berliner durften antreten, dann war es schon vorbei. Kiraly hielt gegen Kacar, Christoph Janker schoss drüber. Weil alle Münchner Spieler trafen, war dieses "Glücksspiel" (Friedrich) schnell beendet.

"Wir haben genug auf die Fresse bekommen", sagte Friedrich nach dem Spiel. "Wir müssen das Positive mitnehmen." Das klingt ebenso nach Durchhalteparole wie die Aussagen von Preetz: "Es ist wichtig, wie die Mannschaft gespielt hat." Sie hat 75 Minuten lang richtig schlecht gespielt. "Aber die Mannschaft lebt, die Moral ist intakt. Ich bin zuversichtlich für die nächsten Tage", sagte Preetz und sah nach oben auf den Monitor. Der VfB Stuttgart erzielte da gerade das 3:1.

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