Krise bei Alemannia Aachen:Auf Heimatsuche in Jülich und Kerkrade

Alemannia Aachen

Das Tivoli Stadion in Aachen: Bald könnte es diese Arena nicht mehr geben. 

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Drittligist Alemannia Aachen kann die Miete für das neue Stadion am Tivoli nicht mehr bezahlen - und droht, die Stadt zu verlassen. Die Kämmerin überlegt gar, die teure Arena wieder einzureißen. So kann es passieren, dass die Aachener Fans künftig zu den Dritt- oder Viertligaspielen ihres Teams in die Ferne reisen müssen.

Von Philipp Selldorf, Aachen

Am Mittwoch war Ortsbegehung im Karl-Knipprath-Stadion in Jülich. Die Spielstätte macht keinen verheißungsvollen Eindruck, der Ort kann sein greises Alter nicht leugnen. Aber eine marode Heimat, so sagt man sich bei Alemannia Aachen, ist besser als keine Heimat.

Eigentlich besitzt der Klub ein Zuhause, um das ihn viele Vereine in vergleichbar großen Städten beneiden: ein Stadion für knapp 33.000 Zuschauer mit Logen, ledernem Sitzmobiliar, Parkettbelag, Einbauküchen und Parkhaus, mit leichten Baumängeln zwar, aber quasi frei von Gebrauchsspuren, weil das Haus erst vor dreieinhalb Jahren eingeweiht wurde. Aber für den seit November in Insolvenz befindlichen Verein ist dieses hübsche Eigenheim eine Last, die er nicht tragen kann.

700.000 Euro bietet der von zwei Insolvenzverwaltern gesteuerte Verein der Stadt an, damit er auch in der nächsten Saison seine Spiele im Tivoli austragen kann (die laufende Saison ist gesichert), doch nach dem bisherigen Diskussionsstand besteht die Kommune auf den im vorigen Frühjahr vereinbarten 1,8 Millionen. Starke Worte trennen die Parteien, im Stadtrat war zuletzt von "Lug und Trug" die Rede - gemeint war die längst abgesetzte Alemannia-Führung.

Und so kann es passieren, dass die Aachener Fans künftig zu den Dritt- oder Viertligaspielen ihres Teams ins knapp 30 Kilometer entfernte Jülich reisen müssen. Oder über die niederländische Grenze in die Stadt Kerkrade, wo man dem deutschen Nachbarklub am Mittwoch ebenfalls Asyl angeboten hat (gegen angemessene Nutzungsgebühr, versteht sich).

Die Stadt Aachen und das Land Nordrhein-Westfalen müssten sich derweilen überlegen, was sie mit dieser Immobilie anfangen wollen, in der ihre Kredite von jeweils mehr als zwanzig Millionen Euro stecken. Zwar hat der Oberbürgermeister Marcel Philipp am Mittwoch beruhigend angefügt, die Kommune arbeite an einem neuen Nutzungskonzept, in dem auch der Fußballverein einen Platz habe.

Im Raum steht aber auch immer noch der unsentimentale Vorschlag der städtischen Kämmerin, das schöne neue Stadion kurzerhand wieder einzureißen und das Grundstück für eine Wohnbebauung freizugeben. Was eine passende Pointe der unseligen Baugeschichte wäre.

Sportlich ist die Pleite der Alemannia eine ausgesprochene Erfolgsgeschichte, am vorigen Samstag landete die Behelfsmannschaft vor 8000 Fans auf dem Tivoli einen 3:0-Sieg gegen die Stuttgarter Kickers. Während die Insolvenzverwalter mit täglich neuen Existenzbedrohungen kämpften, haben der holländische Trainer René van Eck und Sportchef Uwe Scherr die Arbeit ungerührt fortgesetzt.

Immer noch erstklassige Honorare

Als im Winter ein halbes Dutzend Stammspieler den Verein verließ, weil die Notverwaltung die Gehälter auf ein Minimum kürzte, haben sie die Lücken mit Spielern aus der U23 und der A-Jugend gefüllt. Nun beträgt der Durchschnittsverdienst rund 3000 Euro - kein Wunder also, dass ein Besserverdiener wie Albert Streit mit dem Wechsel zu Viktoria Köln den freiwilligen Abstieg vorgezogen hat. Viktoria spielt zwar nur in der vierten Liga, bezahlt aber dank eines großzügigen Sponsors erstklassige Honorare.

Ob die Alemannia den Klassenerhalt in der dritten Liga schafft, hängt aber nicht nur von den sportlichen Ergebnissen ab, sondern auch vom Deutschen Fußball-Bund (DFB), der sich zur Causa bisher abwartend verhält. Es kann sein, dass der Verband noch Punktabzüge verhängt, weil die frühere Klubführung in den Lizenzierungsunterlagen recht optimistische respektive illusorische Angaben zur Liquidität machte.

Bei der Bestandsaufnahme durch den Sanierungsgeschäftsführer Michael Mönig kamen Altlasten von 4,5 Millionen Euro zum Vorschein, bis zum Saisonende hätte sich durch die laufenden Kosten ein Fehlbetrag von zwölf Millionen Euro ergeben.

Aber was der DFB im Sommer am grünen Tisch beschließen könnte, ist zurzeit nebensächlich, da die Verantwortlichen darum kämpfen, überhaupt eine Perspektive in der dritten oder vierten Liga zu erschließen. Und dazu brauchen sie eine Spielstätte, die sie in den Anträgen an den DFB einsetzen können. "Es ist ganz einfach", sagt der vom Gericht bestellte Sachwalter Professor Rolf-Dieter Mönning: "Wenn sich die Stadt nicht bewegen lässt, dann wird hier kein Fußball mehr gespielt."

Klingt ein wenig nach Nötigung - und wird bei der Kommunalpolitik auch so verstanden. Besonders die Grünen, die in der Universitätsstadt eine pragmatische Koalition mit der CDU bilden, vertreten ihre Bedenken: "Der Steuerzahler ist nicht dafür zuständig, Profifußball zu finanzieren. Viele Leute hier sagen, wir sollten lieber Kindergärten und Schulen unterstützen, statt Trainer- und Spielergehälter zu bezahlen", sagt der Fraktionsgeschäftsführer Helmut Ludwig. Er sagt aber auch: "Natürlich will keiner den Stecker bei der Alemannia rausziehen." Das Theater im Tivoli wird also fortgesetzt.

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