Krebsstiftung Livestrong:Armstrong soll US-Demokraten gedroht haben

Wie konnte das Doping-System von Lance Armstrong über Jahre funktionieren? Nach und nach werden weitere Mosaiksteinchen bekannt. Das neueste: Der Radprofi hatte exzellente Beziehungen bis in die höchsten Ebenen der amerikanischen Politik. Und setzte sie einem Medienbericht zufolge dreist ein.

Thomas Hummel

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Gute Freunde: John Kerry, Lance Armstrong, Billy Starr und Scott Brown (von links).

(Foto: AFP)

Das Bild von Lance Armstrong wird immer diffuser: Der Bericht der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada beschreibt ihn als Radrennfahrer, der nicht nur selbst systematisch dopte, sondern auch Teamkollegen dazu drängte, das gleiche zu tun. Er beschreibt ihn als unerbittlichen Machtmenschen, der dem persönlichen Erfolg alles andere unterordnete. Nun ist der nächste Bericht über den 41-jährigen Amerikaner erschienen. In diesem wird ihm vorgeworfen, dass er sogar Barack Obama unter Druck setzen wollte.

Die amerikanische Publizistin Selena Roberts hat im Internet einen Text veröffentlicht, in dem sie die Verstrickungen von Lance Armstrong mit der Politik beschreibt. Sie nannte ihn "How Lance duped the mighty: The Influence Peddler" - auf Deutsch: "Wie Lance die Mächtigen düpierte: Der Einflussnehmer" Darin dröselt die Autorin, die für Sports Illustrated und als Kolumnistin für die New York Times aktiv war, die Verbindungen des Radfahrers zu den Mächtigen der Politik auf. Und sie beschreibt, wie Armstrong seine Krebsstiftung "Livestrong" dazu benutzt haben soll, Politiker zu manipulieren. Auch den heutigen Präsidenten der USA.

Roberts' Kronzeugen in der Geschichte sind die Familien LeMond und Andreu. Sowohl die ehemaligen Fahrer Frankie Andreu und Greg LeMond wie auch deren Frauen Betsy und Kathy scheuten sich nicht, gegen Armstrong mehrfach auszusagen. Nun berichteten sie Roberts von einem Vorfall im Sommer 2008: Obamas Parteifreund John Kerry - Präsidentschaftskandidat der Demokraten im Jahr 2004 - war mit Armstrong befreundet, trug dessen Livestrong-Armband und setzte sich stets für den Radfahrer und dessen Stiftung ein. Nach einem Radrennen in Nantucket, Massachusetts, soll Kerry eine ärgerliche E-Mail erhalten haben, die Obama betraf.

Armstrong habe einige Zeit versucht, Kontakt zu Obama aufzunehmen und ihn für seine Sache bei Livestrong zu gewinnen. Er soll ihn laut Roberts gebeten haben, am 25. Juli 2008 bei einer Livestrong-Veranstaltung aufzutreten, zusammen mit dem Republikaner John McCain. Obama aber habe abgesagt, er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Europa-Reise geplant, am 24. Juli sollte er damals vor etwa 200.000 Menschen im Berliner Tiergarten sprechen. Doch Armstrong soll das Nein nicht akzeptiert und eine Mail an Kerry geschrieben haben, die dieser nun am Tisch mit den Ehepaaren LeMond und Andreu vorlas.

Schockierend dreist

"Wenn Krebs für die Demokratische Partei kein Thema ist, gehen wir in die Livestrong-Datenbank mit ihren Millionen von registrierten Mitgliedern und lassen alle wissen, wo die Demokratische Partei in dieser Frage steht", hieß es laut Roberts in Armstrongs Nachricht an Kerry. Laut Betsy Andreu reagierten die Gäste am Tisch mit Unglauben. "Ich habe die E-Mail als Drohung verstanden", zitiert Roberts Betsy Andreu. Ein Sprecher von John Kerry sagte zu Roberts, dass sich der Politiker nicht über Armstrong geärgert habe. Die Gäste am Tisch hingegen erinnerten sich, dass Kerry schockiert gewesen sei ob Armstrongs Dreistigkeit.

Hat Armstrong versucht, Obama zu erpressen? Dass Armstrong großen Einfluss auf Politiker ausübte, ist nicht neu. Seine engen Verbindungen zu George W. Bush, Al Gore, John Kerry oder Bill Clinton sind bekannt, auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy schmückte sich gerne mit dem Krebs-Überlebenden und Rekordgewinner der Tour de France. Diverse Politiker standen ihm bei, wenn Armstrong von Dopingjägern bedroht war.

Gedeckt von Sportfunktionären und Politikern?

Als der Bundesagent Jeff Novitzky 2010 begann, Ermittlungen wegen Steuerdelikten in Zusammenhang mit Dopingbetrug einzuleiten, dauerte es nicht lange, bis Armstrong namhafte Politiker beisprangen. Nach Roberts' Bericht soll sich der frühere US-Präsident Bill Clinton persönlich eingeschaltet haben.

Im Februar 2012 stoppte jedenfalls der zuständige kalifornische Staatsanwalt André Birotte das Verfahren gegen Armstrong - im Alleingang und ohne Begründung. Angesichts der Beweise, die nun dennoch ans Licht gekommen sind, wirft dieser Vorgang einige Fragen auf. Wieso tat Birotte das? Roberts schreibt, dass Clinton selbst im innersten Kreis um Birotte interveniert habe. Der frühere Präsident habe gesagt, die Regierung habe Besseres zu tun, als einen Prozess gegen einen Helden zu führen.

Birotte verweigerte jede Erklärung. Auf SZ-Anfrage teilte damals sein Sprecher Thom Mrozek mit: "Politische Betrachtungen spielen und spielten nie eine Rolle in allen Entscheidungen dieses Büros."

Doch der Blick fiel auf die politischen Verbindungen, die Armstrong im Hintergrund halfen. Sein Anwalt war Mark Fabiani. Dessen Geschäftspartner Chris Lehane war Direktor von Bill Clintons Präsidentschafts-Kampagne, er arbeitete eng zusammen mit Lanny Breuer, einem von Clintons Anwälten in der Affäre um Monica Lewinsky. Breuer wiederum leitet seit vier Jahren die Kriminalabteilung des Justizministeriums.

Dem Fachmedium VeloNation zufolge sollen sich Armstrongs Anwälte damals mit Vertretern dieser Behörde getroffen haben. Zudem soll der Texaner jüngst zwei einflussreiche kalifornische Senatorinnen getroffen haben - offiziell wegen seiner Krebsstiftung Livestrong.

Nun weist die Publizistin Selena Roberts darauf hin, dass Armstrong just zum Zeitpunkt der damaligen Verfahrenseinstellung 100.000 Dollar für eine von Clintons Demokraten unterstützte Organisation gespendet habe, die Brustkrebs-Therapien für unterprivilegierte Frauen finanziert.

Als dann die Usada auf eigene Faust weiter recherchierte, beschwerte sich der republikanische Kongressabgeordnete Jim Sensenbrenner. In einem Brief an das Büro für Nationale Drogenkontrollpolitik ONDCP stellt Sensenbrenner das Vorgehen der Usada infrage und forderte eine Überprüfung. Das ONDCP, das im Weißen Haus angesiedelt ist, unterstützt die Usada jährlich mit neun Millionen Dollar Steuergeld. Die Anklage sei womöglich eher eine Verschwörung, als dass sie auf Beweisen basiere, vermutete Sensenbrenner. Armstrong hatte sich zuvor fast wortgleich geäußert.

Die Usada und ihr Chef Travis Tygart ließen sich dennoch nicht beirren. Ihr Bericht offenbart ein perfides Dopingprogramm. Doch es verdichtet sich, dass das System Lance Armstrong aus mehr als nur Doping und Radfahren bestand. Auch die Usada vermutet, dass dieser jahrelange Betrug nur deshalb geheim gehalten werden konnte, weil ihn Sportfunktionäre und auch Politiker deckten.

Wie es scheint, hatte Lance Armstrong dank seiner Popularität als erfolgreichster Radfahrer der Geschichte nach einer überstandenen Krebserkrankung und seiner Stiftung Livestrong Einfluss weit über die Radsport-Szene hinaus. Lance Armstrong selbst hat sich seit Tagen nicht gemeldet und noch zu keinen Vorwürfen Stellung genommen.

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