Draußen vor dem Stadion, unweit der Halde des alten Kohlebergwerks Waterschei, haben die Schulkinder den Torjäger Tolu Arokodare entdeckt und ihn umzingelt, bevor er in seinen Sportwagen steigen kann. Und Arokodare, auf dem Sprung nach getaner Trainingsarbeit, stellt sich den Verehrern: Muss das Mittagessen halt warten.
Drinnen im bestens besuchten Stadion-Café weiß etwas später ein Insider zu berichten, dass Arokodares Beliebtheitswerte nicht immer so hoch im Kurs gestanden haben. „Er hatte einen schlechten Ruf hier“, erzählt der Kenner, „der kann nichts, hieß es.“ Inzwischen behauptet das niemand mehr, nachdem der 24-jährige Mittelstürmer mit seinen Toren den KRC Genk überraschenderweise auf Platz eins der belgischen Liga geschossen hat. Für Arokodare, der vor fünf Jahren eine halbe Saison dem 1. FC Köln angehörte und von dort in Erinnerung behalten hat, dass ihn sogar die eigenen Mitspieler ausgelacht hätten, läuft es ausgezeichnet. Aber jetzt sei eben ein Trainer am Werk, „der auf ihn gesetzt hat“, sagt der Mann im Café.
Die Informationen des Insiders sind nicht anzuzweifeln. Der Trainer, von dem er spricht, ist er selbst, und auch wenn Thorsten Fink sagt, er wolle sich ja nicht selbst loben, so kommt er doch öfter nicht umhin, es zu tun. Schließlich hat er gerade, im Alter von 57 Jahren, den größten Erfolg seiner Trainerkarriere in Aussicht. „Ich möchte mich ja nicht selbst loben“, sagt also Thorsten Fink, lächelnd über den offenkundigen Widerspruch, „aber ich glaube, dass ich erkannt habe, dass Arokodares Profil einfach super ist.“ Was auch sonst? Einen Nobelpreis verlangt er für die Erkenntnis nicht: „Ein Mann von 1,97 Metern, der 36,5 km/h schnell ist und rechts wie links schießen kann, der kopfballstark ist und den Ball hält – wo kriegt man den heutzutage für bezahlbares Geld?“ Auch menschlich passt’s zwischen Trainer und Stürmer, „es matcht“, sagt Fink.
Und wie es matcht. Zwischen Fink und Genk, wo sie gerade seinen Vertrag ohne Ablaufdatum verlängert haben, zwischen Trainer und Team und nun auch zwischen den Leuten im belgischen Limburger Land, dem deutschen Coach und dem Nigerianer Arokodare. Dem Magazin Humo hat er im Winter erklärt, er habe sein ganzes Fußballerleben „auf eine solche Person gewartet“ – Fink sei „so ein wunderbarer Mensch“. Auch wenn er erst mal Angst bekam, als der KRC im Sommer dem Ligakonkurrenten VV St. Truiden den Trainer abwarb: ausgerechnet ein Deutscher, Arokodare musste an Markus Gisdol beim 1. FC Köln denken. Doch „wer Thorsten Fink nicht kennt, wird nie glauben, dass er Deutscher ist. Die Deutschen sind sehr streng, fast militärisch. Er ist anders.“

Mit Fink kommt man schnell ins Gespräch, es bedarf keiner Förmlichkeiten, man braucht in keinem Vorzimmer zu warten. Schon als Fußballer war er beim FC Bayern in einem kapriziösen Ensemble neben Stars wie Mario Basler, Mehmet Scholl, Oliver Kahn und Stefan Effenberg eine erfrischend unkomplizierte Erscheinung. Am damaligen Trainer Ottmar Hitzfeld orientiert sich Fink bis heute, auch auf seiner mittlerweile elften Trainerstation: „Wir haben uns gut verstanden, sehr gut. Er hat alle bei Laune gehalten. Ottmar hat nie die Nerven verloren.“ Ein Kunststück war das unter den Bedingungen des späten FC Hollywood, wo selbst Fink einmal richtig austickte, beim Halbzeitkrach mit Uli Hoeneß. Der Manager tobte, Fink tobte zurück. Das hat Hoeneß, wie es seine Art ist, gut gefallen, und nach der Karriere mit 367 Bundesliga- und 51 Champions-League-Spielen brachte er Fink im Klub unter. Als Fink den Trainerschein machte, unterstützte ihn der FC Bayern.
In München hat er allerdings nie ein Team trainiert, stattdessen ging es nach Salzburg und Ingolstadt. Dann folgten der FC Basel (zwei Meisterschaften mit dem jungen Granit Xhaka) und ein Einsatz im Dauerkrisengebiet Hamburger SV. Danach ging er auf Wanderschaft: Zypern, Österreich, Schweiz, Japan, Lettland, Dubai. Den kleinen Klub VV St. Truiden wählte er 2023 aus, um die Karriere neu zu starten, „ich wollte noch mal versuchen, in eine gute Liga zu kommen“. Auch wenn er in der Türkei oder in Korea viel mehr hätte verdienen können.
Fink wandelt auf den Spuren von Rudi Gutendorf und Otto Pfister
Legendäre deutsche Weltenbummler sind Rudi Gutendorf und Otto Pfister, die in Afrika, Asien und Mikronesien auf abenteuerliche Art den Fußball erforschten wie Henry Livingstone den Oberlauf des Sambesi. Auch heute gibt es diese reisenden deutschen Fußballlehrer noch: Gernot Rohr, 71, wurde nach Stationen in Gabun, Niger, Burkina Faso und Nigeria zuletzt in Benin gesehen. Der einstige Nationalspieler Thomas Brdaric, 50, war in Usbekistan, Indien und Kuwait, jetzt ist er in Albanien.
Auch er habe im Ausland „Erfahrungen gesammelt, die man als Trainer auf der Karriereleiter nicht machen sollte – aber ich weiß gar nicht, ob ich das als Fehler sehen soll“, sagt Fink. In fremden Ländern lerne man nicht nur menschlich und an Erfahrung dazu, sondern auch das Gespür, das ein Trainer im globalisierten Fußball benötige: „Dieses People-Management wird heutzutage immer wichtiger“, der Umgang mit den verschiedenen Kulturen in der Kabine: „Da ist dann etwa der Afrikaner, der eine Minute zu spät kommt und sagt: Coach, ist doch nicht so schlimm, eine Minute. Während der Koreaner in deinem Team meint: Coach, das kannst du nicht durchgehen lassen.“

Deutsches Prinzipienreiten hat er längst abgelegt. Bei Vissel Kobe in Japan betreute er den angejahrten Weltmeister Andrés Iniesta: „Seine Daten waren nicht gut, das kann ich Ihnen sagen. Aber er war der geilste Kicker auf dem Planeten – den hätte ich niemals ausgewechselt. Daten sind sehr wichtig heutzutage, doch es gibt auch Dinge, die sie nie erfassen werden.“
In Belgiens Stadien konnte man vor einigen Jahren noch meinen, in der Vor- und Frühgeschichte des Fußballs gelandet zu sein. „Doch es passiert was im belgischen Fußball“, sagt Fink. Die Liga ist ein hochwertiger Zulieferbetrieb für Europas Spitzenligen, das definiert auch den Job des Trainers. In Sint-Truiden war Fink so erfolgreich, dass der Klub am Saisonende Spieler für eine Summe verkaufte, die den Marktwert übertraf, den der Kader zu Saisonbeginn hatte.
Das hat ihn nach Genk geführt. Der KRC, einst Schule der Stars Thibaut Courtois und Kevin De Bruyne, lebt erfolgreich vom Prinzip Ausbildung und Export, 400 Millionen Euro habe der Klub seit 2015 auf dem Transfermarkt erlöst, sagt Fink: „Die Strukturen in diesem Klub sind gerade und klar, der Sportdirektor ist neun Jahre da und redet mir nicht rein. Man holt die Talente – und lässt sie spielen. Man glaubt an langfristigen Erfolg. Ich freu’ mich, dass ich einen guten Verein gefunden habe, davon bin ich als Trainer ja abhängig.“
In der ehemaligen Zechenstadt Genk möchte Fink, „Zechenkind aus Dortmund“, wie er sich selbst bezeichnet, sesshaft werden. Seinen Auftrag hat er in dieser Saison nicht nur sportlich längst erfüllt: Torjäger Arokodare sei „überall auf dem Radar jetzt, auch in anderen Ligen. Gut für ihn – und für uns ein gutes Business.“