Krawietz/Mies bei den French Open:Und wieder funkelt der Pokal vor ihnen

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Kevin Krawietz (li) und Andreas Mies: Zwei, die blödeln können, aber auch große Erfolge feiern. (Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Das deutsche Doppelduo Krawietz/Mies verteidigt bei den French Open tatsächlich seinen Titel - dabei montieren die beiden ihre Stärken perfekt zusammen.

Von Gerald Kleffmann

Es ist rund drei Jahre her, da hatten Kevin Krawietz und Andreas Mies noch nichts miteinander zu tun. Sie übten denselben Beruf aus, das schon. Sie kannten sich. Profis auf der Tennistour eben. Ihre Einzelbilanz? Es ging bei beiden nicht viel voran. Beim Coburger Krawietz, einst ein Talent, etwas mehr. Nur: Die Top 200 knackte er nie. Mies? Der Sunnyboy aus Köln, der in Alabama auf dem College diesen unnachahmlichen Wettkampfspirit injiziert bekam? Rang 781 schaffte er, 2014. Zahlen aus einem anderen Leben.

An diesem 10. Oktober 2020 sitzen Krawietz, 28, der bedächtige Franke, und der Rheinländer Mies, 30, den man sich auch als Privattrainer auf den Hamptons in einem Woody-Allen-Film vorstellen könnte, im Media Room der French Open. Vor ihnen steht ein Pokal, er funkelt. Er wurde geputzt, von einer Dame mit Handschuhen.

Doppel-Titel für Krawietz/Mies
:Wieder Champions

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Von Gerald Kleffmann

Mies ist dran, er erklärt, was er mitnimmt von diesem wunderlichen 6:3, 7:5-Finalsieg gegen den Kroaten Mate Pavic und den Brasilianer Bruno Soares, die US-Open-Sieger, über den nun Tennis-Deutschland, Roland Garros und am meisten sie selbst staunen. "Das sind die Momente, hier mit Kevin zu sitzen, auf den Boden zu fallen", setzt er an, "diese Trophäe wieder dabei zu haben. Das ist der Grund, warum wir spielen. Warum wir immer weitermachen. Um diese Momente immer wieder zu erleben. Was am Ende überwiesen wird, ist ein schöner Bonus, aber zweitrangig." Und er sagt wie aus einem Guss: "Das Geld ist uns doch egal." Es ist in dieser Pointiertheit ein herrlicher Satz. Kein Lohn der Welt, selbst jene lustig krummen 319 652 Euro, die sie sich teilen dürfen, spiegelt ja ihr Husarenstück wider.

August 2017 also, ihre Premiere als Doppel: Sie gewannen sofort das Challenger in Meerbusch. News-Wert? Was fürs Lokale, für Tennis-Medien. 2018: fünf Erfolge auf der Profiserie unterhalb der ATP-Tour. Da wurde mancher hellhörig. Krawietz? Mies? Aha! Schau an! 2019: der erste ATP-Erfolg, in New York. Jetzt liefen landesweit Berichte, Interviews. Und dann? Folgte, die Bilder waren dieser Tage noch sehr präsent, der legendäre Maikäfer-Jubel von Paris: Im Juni triumphierten sie als erstes deutsches Duo seit Gottfried von Cramm und Henner Henkel 1937. Sanken rücklings auf die Terre Battue von Roland Garros, auf der sonst Rafael Nadal rumliegt.

Und es ging ab: Kramies, so ihr Spitzname, debütierten im Davis Cup für Deutschland. Spielten in London, bei den ATP-Finals der besten acht Doppel. Turnierveranstalter warben mit ihnen. Und es folgte das sicherste Indiz, dass es Sportler, die nicht Fußballer sind, geschafft haben: Sie durften (oder mussten, je nach Sicht) ins Aktuelle Sportstudio. Dort sagte Mies wieder einen schönen Satz, den zwar die Tenniswelt bis zur Ohnmacht kannte, aber er war Profi genug, um auch dem Sportstudio-Publikum die eigene Mondlandung zu erklären. "Es hat von Anfang an Klick gemacht", sagte also Mies. Er meinte sein Arbeitsverhältnis zu Krawietz.

Doppel-Finale
:Krawietz und Mies siegen noch einmal in Paris

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Da wurde geklatscht wie früher, als Becker und Graf noch siegten. Tennis ist, das zeigte sich auch bei den Grand-Slam-Siegen von Angelique Kerber, eine zutiefst deutsche Sportart, da existiert eine beharrlich schlummernde Liebe, die früh begann im Lande mit Cilly Aussem und Cramm und stets aufflackert, wenn wieder mal mit Herz und Leidenschaft reüssiert wird. So gesehen füllen auch Krawietz und Mies im Doppel, das weitaus weniger relevant ist als die Einzel-Disziplin, diese Projektion mit Substanz.

Und - das ist ja das fast Absurde - diese ganze Geschichte war nur möglich, weil sich Krawietz und Mies, die sich sympathisch fanden, vor drei Jahren sagten: Komm', lass es uns zusammen versuchen! Krawietz sagte am Samstag ebenfalls schöne Sätze, reden können sie auch: Er sagte also, mit dem verteidigten French-Open-Titel sei ein Traum in Erfüllung gegangen, er stockte und ergänzte: "Ich kann kaum glauben, was ich selbst gerade gesagt habe."

Die Verwunderung war nicht gespielt, selbst wenn sie keine Unbekannten mehr waren. Aber ihre Form deutete auch nicht gerade auf einen Maikäfer-Reloaded-Ausgang hin. Bei den Australian Open im Januar verloren sie rasch gegen die Kasachen Alexander Bublik und Michail Kukuschkin (die sie in Paris besiegten). Nach der Corona-Pause, in der Krawietz viele Einzel auf einer vom DTB organisierten Serie spielte und sich einmal im Gespräch mit der SZ scherzend fragte, ob sich Mies wohl fit halte, schieden sie bei den US Open in Runde zwei aus.

Die beiden mögen blödeln können, aber die größte Stärke von ihnen ist ihr Realismus. Krawietz und Mies, die das Privatleben des jeweils anderen respektieren, quasi in Fernbeziehung leben und sich daher wenig auf den Geist gehen, kennen ihre Stärken genau - und haben sie für Paris optimal zusammenmontiert. Keine Mondlandung. Eine Punktlandung. Bei der sie auch Glück hatten, wie Krawietz einräumte. In Runde drei wehrten sie die Kleinigkeit von drei Matchbällen der Franzosen Benjamin Bonzi und Antoine Hoang ab. Sie seien da, sagte Mies, schon dreimal im Auto auf der Autobahn gesessen, aber "dann haben wir einen U-Turn gemacht".

"Wenn wir unsere Stärken auf den Platz bekommen, sind wir sehr schwer zu bespielen", sagte Mies noch vor dem Finale. Er ist der Abräumer mit Aufschlag und Volley, der Antreiber, Krawietz der gefühlvolle Returnierer, der Winkelakrobat. Sie versuchten diesmal auch, mit weniger Ernst, mit mehr Freude zu agieren. Nicht zu verkrampfen wie in Melbourne. Und Sand als Belag hilft ihnen. "Wir haben einen Ticken mehr Zeit für die Returnspiele", erklärte Krawietz: "Wir sind spielerisch sehr komplett und können auch mal in die Rallies gehen, cross, longline, was auf Hartplatz oder Rasen gar nicht vorkommt. Ich glaube, da sind wir einen Ticken überlegen gegenüber manchen Teams."

"Wir werden das aber auch noch auf anderen Belägen zeigen", versicherte Mies indes sofort. Doch vorerst galt es, den Moment zu genießen. Ein Essen mit dem kleinen Unterstützerkreis, der trotz Pandemie nachgereist war, stand an. "Wir hätten uns nie erträumen lassen, dass wir mal im selben Atemzug mit den Ikonen genannt werden würden", sagte Kevin Krawietz ungläubig. Aber so ist es. Kramies sind jetzt noch mehr als zuvor Teil der deutschen Tennis-Geschichte.

© SZ vom 12.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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