Vierschanzentournee:Noch immer stärkste Kraft

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Rot-weiß-rotes Stockerl: Oberstdorf-Sieger Stefan Kraft (rechts) mit seinen Teamkollegen Daniel Tschofenig (links) und Jan Hörl. (Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Es sah zuletzt fast so aus, als sei im Skisprungteam der Österreicher ein Generationenwechsel im Gange. Pünktlich zum Tourneestart erweist sich der erfahrenste ÖSV-Springer mal wieder als der, den alle jagen.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Natürlich kann Stefan Kraft auch mal böse sein, aber wenn, dann vornehmlich auf Stefan-Kraft-Weise. Selten kommt es vor, dass dieser Skispringer aus der Haut fährt oder gar öffentlich Springerkollegen rüffelt. Er hat eine gewinnende Art, mit der er nicht nur in seiner Heimat Schwarzach im Pongau seine Skisprunganhänger und Fanklubs begeistert.

Man sieht es ihm nicht an, aber er ist schon 31 Jahre alt, er hat fast alles erlebt im Skispringen, viele Siege, bittere Niederlagen. Nun aber gelang ihm wieder eine Überraschung, die das gesamte Publikum, seine Mannschaft, seine sportlichen Gegner die Augen weit aufreißen ließ. Als er seinen letzten Sprung auf der Schanze im Oberstdorf-Finale weit unten in den Schnee gesetzt hatte, war es so weit: Kraft war wieder da.

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Oberstdorf erlebt einen Tournee-Auftakt ganz nach dem Geschmack der Österreicher: Beim Sieg von Stefan Kraft landen seine Mitspringer auf allen Podiumsrängen – für Pius Paschke bleibt nur der Platz dahinter.

Von Volker Kreisl

Kraft kann allerlei Schanzen beherrschen, die kleinen, die größeren und die riesigen. Ja, er ist auch ein guter Skiflieger. Der Österreicher ist nicht nur Künstler auf Skiern, er ist unterhaltsam. Auch wenn’s nicht gerade gut geht, man kann sagen, Stefan Kraft ist ein Typ Sportler, der mit seiner Art sein Umfeld ganz natürlich annehmen kann. Nur, wo war diese Unbekümmertheit all die Wochen bis Weihnachten und in den Tagen danach, bis zum ersten Springen dieser 73. Vierschanzentournee geblieben?

Vermutlich war all das zuletzt so wenig sichtbar, weil ein Deutscher in den Fokus gesprungen war. Pius Paschke, dessen Siegesserie zwar schon vor dem Tournee-Auftaktspringen zu Ende gegangen war, der aber, wie er in Oberstdorf nun gezeigt hat, auch bei schlechtem Wind zumindest seine Chancen in der Tournee wahren kann. Er rettete sich auf Platz vier. Krafts Vorsprung auf Paschke beträgt 13,8 Punkte. Der 26-jährige Jan Hörl und Daniel Tschofenig, 22, beide auch aus Österreich, liegen 10,3 beziehungsweise 2,3 Punkte vor Paschke.

Andererseits kann Pius Paschke beim nächsten Springen am Neujahrstag in Garmisch-Partenkirchen schon wieder aufholen. Er hat ja sofort gesagt, er habe jetzt Rollen getauscht und die des Jägers gern angenommen: „Mir hat es Spaß gemacht, als ich ganz vorne war, aber so ist es auch gut“, sagte Paschke: „Jetzt freue ich mich auf Garmisch.“

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Stefan Kraft indes ist wie die meisten in der Szene kein überheblicher Springer, auch wenn er gerne abhebt. Dennoch waren seinen Emotionen und Gesten klar – Kraft hat gearbeitet, an dem entscheidenden Detail in seinem Sprungablauf. Nun steht der erfahrenste Springer im österreichischen Team wieder im Mittelpunkt. Am Sonntagabend hat er sich aufgemacht, um ein Zeichen zu setzen, so sah es aus. Mit Stefan Kraft ist zu rechnen, mehr noch, er zeigte im Auslauf seine Pflugbremse mit Faust gen Himmel. Und ein bisschen wirkte es, als fühlte er sich wie damals, als er in Bischofshofen im Januar die Tournee gewann – vor ziemlich genau zehn Jahren. Oder auch, als er im vergangenen Winter am Kulm im Einzel Skiflug-Gold errang.

Wie macht er das, abtauchen und dann in blendender Form wiederkommen? Stefan Kraft, den man vornehmlich lächeln oder besser: grinsen sieht, muss wie alle anderen leiden. Denn nach seinen großen Erfolgen geht die Suche nach der Skisprungform im nächsten Jahr immer von vorne los. Etwa anfangs der Saison. „Es gibt Phasen, wo ich mir denke: Wie wird der Winter werden?“, erzählte Kraft kürzlich: Und schon steckt er in heftigen Selbstzweifeln. Vor zwei Monaten „da bin ich so einen Rotz gesprungen, das war echt nicht gut“, sagt er heute.

Doch dann, plötzlich, kommt der andere Kraft aus diesem Springer, und die Teamkollegen denken sich wieder: Krafti, bist ein Wahnsinniger, springst eh einen Mist einen Monat lang – und führst plötzlich im ersten Durchgang in Lillehammer. In Skandinavien begann im November die Weltcupsaison.

Der Lillehammer-Effekt hat diesmal länger gedauert. Anderthalb Monate, das Drittel einer Saison, hatte sich Stefan Kraft kaum in der Öffentlichkeit sehen lassen. Er konnte sich das ja auch leisten. Die österreichische Springergruppe ist derart stark, dass sie in der Außendarstellung auch ohne den erfahrenen Kraft auskommen kann. Und doch sah es fast so aus, als sei in Österreich ein Generationenwechsel im Gange.

Doch dann wurde im Finaldurchgang von Oberstdorf deutlich: Die Jungen haben doch noch einen stärkeren und reiferen Springer vor sich, den sie erst mal überwinden müssen, um zu siegen. Der österreichische Cheftrainer Andreas Widhölzl sagte stets, es sei ihm egal, was vorher passiert – nur bei der Tournee sollte alles passen bei seinen Springern. „Es hat ausgesehen, als hätte es ganz gut gepasst“, sagte Widhölzl nun, vor allem bei Kraft. „Das ist seine Klasse, dass er, wenn es drauf ankommt, auch da ist.“

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