Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Kovacs rhetorische Gratwanderung

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Von Klaus Hoeltzenbein, München

Sobald man sich durch die Fernsehsender zappt, stößt man in diesem Herbst auf die immer gleiche Grundsatzfrage: Darf man in diesem Land noch alles sagen? In einer Art Unterkapitel hat sich am Donnerstag auch Niko Kovac in die populäre Debatte eingeschaltet und seine eigene Position betoniert: "Ich werde mich und meine Person und meinen Charakter nicht ändern", versicherte der Trainer des FC Bayern und fügte an: "Wenn die Ehrlichkeit in der heutigen Zeit nicht mehr erwünscht ist, dann können wir alle einpacken, und dann haben die anderen, die anders sind, bessere Chancen, besser wegzukommen. Da bin ich der Falsche."

Hört sich für sich genommen durchaus interessant an. In den Zusammenhang zum Fußball gesetzt, entsteht aber derzeit ein Problem. Denn Kovac bekommt sein stolzes Honorar dafür, dass er den Rekordmeister zurück in die Spur bringt, und da musste er zuletzt feststellen, dass es kontraproduktiv sein kann, wenn er das Herz auf der Zunge trägt. Bei ihm geht es ja nicht um Politik und das Recht der freien Rede, sondern um das Echo, das er erzeugt. Kovac scheint dies bereits eingesehen zu haben, jedenfalls räumt er ein: "Vielleicht muss ich klarer sein in meinen Aussagen, vielleicht darf ich nicht mehr so in Metaphern oder wie ein Dichter reden." Im Grunde aber ist das Verklausulierte gar nicht sein Problem, denn meist spricht Kovac Klartext - doch das geht in der psychologischen Wirkung offenbar am Ziel vorbei. Jedenfalls spielt seine Elf keinen optimistischen, keinen gruppendynamischen Fußball mehr. Der Trend ist negativ.

In München wird gerade ein Berg an missverständlichen Aussagen angehäuft, der schwer wieder abzutragen sein dürfte. Und das relativ kurz nach diesem 7:2 in der Champions League in Tottenham, nach dem sich alle schon wieder auf einem souveränen Weg wähnten. Doch im Anschluss daran, offenbar euphorisiert vom Resultat, schoss Kovac ein verbales Eigentor: Er setzte seine Notnagel-These über Thomas Müller in die Welt, die schon heute einen Stammplatz im ewigen Zitatenschatz des FC Bayern hat. Auf die Frage, in welcher Rolle er die Klub-Ikone künftig sehe, hatte Kovac nüchtern verfügt: "Wenn Not am Mann sein sollte, wird er mit Sicherheit auch seine Minuten bekommen."

Es gab eine Aussprache, man erklärte öffentlich, es sei alles ausgeräumt. Und am Dienstag gab es dann im DFB-Pokal mal wieder eine solche Not-am-Mann-Situation: Müller gelang nach seiner Einwechslung in Minute 65 in Minute 89 das 2:1-Siegtor beim renitenten VfL Bochum. Weil zudem Robert Lewandowski fast immer trifft (und wenn nicht er, dann Serge Gnabry), stimmt faktisch noch die sportliche Bayern-Bilanz vor der Ligareise an diesem Samstag zu Eintracht Frankfurt: im Pokal nun im Achtelfinale, in der Bundesliga lauernd auf Rang zwei, in der Champions League mit drei Siegen in drei Spielen.

Trotzdem verschärfte sich rund ums Bochum-Spiel die verbale Münchner Klimakrise. Befragt, warum es generell mit dem Offensivpressing nicht so hinhaut, hatte Kovac einen Vergleich zum FC Liverpool gezogen: "Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn sie nur 100 schaffen. Man muss das anpassen, was man hat." Eine Metapher, die sich kaum anders deuten ließ, als dass der Trainer akute Defizite bei dem vom Klub zur Verfügung gestellten Personal diagnostiziert. Nach dem Abpfiff in Bochum hielt Kovac ein zweischneidiges Kompliment für den frechen Gegner bereit: "Da sieht man mal, was passiert, wenn alle machen, was der Trainer sagt. Dann funktioniert das auch." Gab es bei den Bayern einen revolutionären Akt? Befehlsverweigerung? Jedenfalls hat Kovac eine klare Vorstellung, wie es funktionieren muss. Was er vorgebe, "müssen die Spieler auf dem Platz hinbekommen", doch "die Jungs setzen das im Moment nicht so um". Auffällig ist die scharfe Trennung: Der Trainer ordne richtig an, die Jungs setzen falsch um. Die Frage ist, wie diese Form öffentlicher Distanzierung in der Kabine ankommt. Generell stellt Kovac fest: "Wir wollen unseren Fans auch schönen Fußball anbieten. Das stimmt im Moment nicht."

Fürs Erste hat Kovac eine Zurück-zu-den-Wurzeln-Strategie verordnet. Empfohlen werden Mittel, die bis runter zur Kreisklasse jeder kennt: "Du musst erst mal die Zweikämpfe annehmen, dann musst du sie führen und am besten gewinnen." Kovac schließt an: "Wir müssen durch kleine Erfolgserlebnisse, durch sicheres Spiel, Selbstvertrauen bekommen." Dann geht er wieder auf Distanz: "Wenn sie fünfmal den Ball verlieren, wird es schwer, sich ein sechstes Mal anzubieten." Auf seiner rhetorischen Gratwanderung teilt Kovac seinen Profis, den Kimmichs, Thiagos, Coutinhos, mit, was sie momentan nicht können - weniger, was sie an ihren besseren Tagen mal konnten. Ist das die beste Strategie, um das teure, stolze Münchner Personal zu stimulieren?

Am Ende seines Referats kommt in Niko Kovac dann doch noch mal der Dichter durch: "Die Einfachheit, das ist die Schwierigkeit, und darin liegt auch die Schönheit." Für sich genommen ist das eine feine These. Aber nur, wenn sie zügig ins Bild gesetzt wird, hat alles vielleicht doch noch eine Zukunft.

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Quelle:
SZ vom 02.11.2019
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