Eine Flut anrüchiger Deals und Businessanbahnungen ergießt sich aus dem elektronischen Geschäftsverkehr, den die Sunday Times aus dem Umfeld das ehemaligen Fifa-Vizepräsidenten Mohamed Bin Hammam erhalten hat. Die am Wochenende publizierten Dokumente torpedieren nun auch Katars bisherige Verteidigungslinie, nach der Bin Hammams Umtriebe und Millionenzahlungen nichts mit der WM-Bewerbung 2022 des Emirats zu tun, sondern allein dessen damaliger Präsidentschaftskampagne gedient hätten.
Während die Belege gegen den WM-Veranstalter 2022 immer deutlicher werden, weisen Kreise um die bei jener Fifa-Kür früh gescheiterte England-Bewerbung darauf hin, dass Katar gar nicht juristisch vorgehen könne gegen einen etwaigen Turnier-Entzug: Alle Bewerber seinerzeit hätten sich in den branchenintern als "Knebelverträge" kritisierten Vereinbarungen mit der Fifa verpflichtet, keine Streitigkeiten vor Gericht auszutragen.
Nun hat der japanische Elektrohersteller Sony, einer der fünf Fifa-Topsponsoren, den Weltverband aufgefordert, eine "angemessene Untersuchung" der Vorwürfe zu gewährleisten. Auch Japan hatte sich für 2022 beworben. Sonys Vorstoß ist aber gerade im Werbefeld mit dem Sport höchst ungewöhnlich: Hier wird Geschäftsethik in der Regel nur dann mit Nachdruck propagiert, wenn eine Krise die Konsumenten erreicht hat.
Daneben schürt Sony damit Zweifel an der Arbeit des Fifa-Chefermittlers Michael Garcia, der die WM-Vergaben 2018 (an Russland) und 2022 im Auftrag der Fifa untersucht. Als der US-Anwalt kürzlich die Fertigstellung seines Bericht ankündigte, erklärte er, dass er das Sunday-Times-Material nicht berücksichtigt habe. Als Reaktion auf Sony meldeten sich auch andere Sponsoren zu Wort.
Adidas teilte mit, man sei zuversichtlich, dass diese Untersuchung mit hoher Priorität behandelt werde, "allerdings ist der negative Tenor der öffentlichen Debatte weder gut für die Marke des Fußballs, noch für die Fifa, noch die Partner". Visa erklärte: "Wir wissen, dass die Fifa das Thema ernst nimmt. Wir hoffen, dass entsprechende Maßnahmen nach dem Untersuchungsbericht stattfinden."
Umstrittene WM-Vergabe an Katar:Auch Beckenbauers Name fällt
Als die Fifa die Fußball-WM 2022 nach Katar vergab, war Franz Beckenbauer Mitglied des entscheidenden Gremiums. Nun taucht sein Name erstmals im Zuge der Korruptionsvorwürfe auf. Zwei Hauptsponsoren fordern endlich Klarheit.
Die Papiere zeigen jedenfalls eindeutig, wie Bin Hammam seine Drähte in der Fifa sowie zur Emir-Familie und der Regierung in Doha nutzte, um Katar die WM zu sichern. Mit Wladimir Putin, dem zweiten Gewinner der damals von Blatter verfügten WM-Doppelvergabe, traf sich Bin Hammam vor der Kür für "bilaterale Gespräche". Auf Regierungsebene in Bangkok stellte er für Thailands Fifa-Mann Morawi Makudi Gespräche um Gasimporte aus Katar her.
Makudi, der seit Jahrzehnten eine trübe Rolle im Fußballbusiness spielt, ließ wissen, er habe nie eine Handelskonzession erhalten. Insgesamt neun Fifa-Vorständen, darunter Blatter, habe Bin Hammam Treffen mit der Königsfamilie verschafft; im Schweizer Uefa-Hauptquartier in Nyon habe er die Katar-Werber mit Michel Platini zusammengespannt. Medien hatten Blatter nach dem Treff damals so zitiert: "Die arabische Welt hat die WM verdient."
Zudem lud Bin Hammam auch Franz Beckenbauer, deutscher Vertreter im 24-köpfigen Fifa-Vorstand, wohl wiederholt ein. So Monate nach der WM-Kür, gemeinsam mit Firmenvertretern des Hamburger Reeders Erck Rickmers, die Beckenbauer damals beriet. Das Unternehmen teilte mit, es sei dabei um mögliche Investitionen Katars ins maritime Geschäft gegangen, ein Abschluss aber nicht zustande gekommen.
Beckenbauer war aber auch schon Ende Oktober 2009, 14 Monate vor der WM-Vergabe, gemeinsam mit dem Sportlobbyisten Fedor Radmann zu Bin Hammam nach Doha gereist. Der Fifa-Vize habe das deutsche Duo im Luxushotel umsorgt und ein Treffen mit dem Emir vermittelt. Pikant: Radmann stand zu der Zeit als Berater in Diensten Australiens, das mit Doha um die WM konkurrierte.
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Ein Mitarbeiter Bin Hammams habe Radmann per Mail mitgeteilt, der Emir habe "Option 3 für Ihren Besuch in Doha bestätigt". Radmann und Bin Hammam blieben in Kontakt. Beckenbauer fiel nach der WM-Vergabe mit denkwürdigen Äußerungen zu den mittelalterlichen Arbeitsbedingungen im Emirat auf. Kritiker sollten Katar eine "faire Chance" geben; auch habe er dort niemals Sklaven gesehen, alle liefen frei herum.
Tatsächlich hatte Beckenbauer den Beraterjob bei der Reederei kurz nach seinem Ausscheiden aus der Fifa angenommen; die Zusammenarbeit endete vor wenigen Monaten. Doch schon im August 2010 hatte Beckenbauers Frau einen neuen Supertanker der Hamburger auf der Werft in Südkorea getauft, Name "ER Bayern".
Ein offizielles Firmenfoto von der Schiffstaufe zeigt auch Chung Mong-Joon, Spross des Hyundai-Konzerns, dem die Werft gehört; Chung war damals Fifa-Vorstand wie Beckenbauer. Beckenbauer erklärte, ihn habe "diesbezüglich noch nie jemand versucht zu beeinflussen" Zudem sei er "weder jemals für die Kataris noch für Mohamed Bin Hammam tätig" gewesen.
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In Brasilien wurden am Wochenende weitere Details zu den Katar-Verwicklungen des langjährigen Fußballchefs Ricardo Teixeira publik. Er hatte beste Drähte zu Bin Hammam, in dessen Jet der aus Rio nach Miami geflohene Skandalfunktionär mit Frau und Kind unterwegs war, er hatte einschlägige Firmenkontakte in die arabische Welt - und er hat ein weiteres Konto über satte 100 Millionen Reais (rund 32 Millionen Euro) bei einer in seinem Dunstkreis bisher noch nicht bekannten Bank in Monaco.
Zugleich sitzt Teixeiras Tochter noch immer als Direktorin im brasilianischen WM-Organisationskomitee. Im Hinblick auf die Proteste gegen Korruption hatte Joana Teixeira Havelange kürzlich offen verlauten lassen, die Leute sollten endlich Spaß mit der WM haben: "Das Geld, das damals geklaut wurde, ist doch längst weg."
Zuständige Stellen in Doha verwiesen am Wochenende auf die laufende Untersuchung, man halte sich weiter an das Fifa-Verdikt, nichts zu kommentieren. Garcias Report ist fertig, beim Kongress in Sao Paulo am Mittwoch soll der frühere US-Bundesanwalt den Delegierten von 209 Verbänden ein Update zum Ermittlungsstand liefern. Bei dem Kongress wil Blatter, 78, feierlich seine nunmehr fünfte Kandidatur als Fifa-Boss fürs Wahljahr 2015 ankündigen. Afrika, hieß es gestern, unterstütze ihn.