Süddeutsche Zeitung

Korruptionsaffäre der Fifa:Warum Blatter seinen Rücktritt hinauszögert

  • Das EU-Parlament fordert den sofortigen Rücktritt Sepp Blatters. Der fraktionsübergreifend abgestimmte Entwurf liegt der SZ vor.
  • Doch der listige Funktionärsveteran des Fußball-Weltverbands weiß: Je später die Neuwahl stattfindet, desto günstiger - für ihn.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Eine gute Woche ist es her, dass Sepp Blatter seinen Rückzug von der Spitze des Fußball-Weltverbands (Fifa) angekündigt hat. Offen ließ der listige Funktionärsveteran, wann das sein wird. Von einem mehrmonatigen Zeitfenster ist die Rede. In Fifa-nahen Kreisen heißt es auch, Blatters Restlaufzeit könne länger ausfallen als die allermeisten wünschen. Demnach arbeite der Schweizer darauf hin, erst im Frühjahr 2016 einem Nachfolger Platz zu machen, kurz vor dem für Mai anberaumten regulären Kongress in Mexiko.

Je später die Neuwahl stattfindet, umso günstiger für Blatter. Er könnte alles aus seiner Sicht Notwendige für die Übergabe ordnen, womöglich auch für seine eigene Rolle danach - und deshalb einen genehmen Nachfolger aufbauen. Die Frage ist jedoch, wie lange er sich noch am Thron festklammern kann. Der Druck auf ihn als politisch Hauptverantwortlichen am Fifa-Desaster wird stärker. Die Ermittlungen des FBI und der Schweizer Bundesanwaltschaft haben mit Blatters Rücktrittsankündigung nicht geendet; sie werden ständig ausgeweitet. Und könnten schon in den nächsten Tagen Fußballnationen in Südeuropa erreichen. Zugleich steigt nun die Politik in den Ring. Für Donnerstag muss sich die Fifa auf eine deutliche Resolution des Europäischen Parlaments gefasst machen.

DFB-Chef Niersbach präsentiert einen Zehn-Punkt-Plan

In einem fraktionsübergreifend abgestimmten Entwurf (liegt der SZ vor) fordern die Parlamentarier unter anderem, eine unabhängige Reformkommission für die Fifa einzusetzen, die bis Ende 2016 konkrete Ergebnisse bringen soll. Dies zielt auch auf alte Getreue wie den Compliance-Chef Domenico Scala, der aus der bizarren Fifa-Selbstreform der letzten Jahre übrig blieb und kommissarisch stärker in Blatters Amtsgeschäfte eingebunden werden soll. Zugleich fordern die Europapolitiker die Rechteinhaber insbesondere bei den TV-Sendern sowie die Sponsoren auf, ihren Druck auf die Fifa zu erhöhen. Sie fordern in ihrer Resolution auch, die Geldwäsche-Linien der EU auf Sportverbände zu übertragen. Vor allem aber drängen sie auf einen sofortigen Rückzug Blatters.

Reformforderungen beinhaltet auch ein Offener Brief, den am Mittwoch DFB-Chef Wolfgang Niersbach in Form eines Zehn-Punkte-Plans versandte. Er spricht sich unter anderem dafür aus, die Amtszeit eines Fifa-Präsidenten auf zwölf Jahre zu beschränken und "Integritätschecks" für Vorstandsmitglieder einzuführen. Die Forderungen sind durchdacht, gehen aber nicht über das hinaus, was längst auf dem Tisch liegt. Und sie sind deutlich weicher als die der EU-Politiker.

Rund um das Sommermärchen gibt es viel Fragwürdiges

Der DFB vermeidet manche klare Aussage. Seine Fifa-Kritik intoniert Niersbach an die "lieben Freunde des Fußballs" damit, dass es ihn traurig mache, "wie Gier und fehlende Moral einiger Weniger den gesamten Fußball unter einen Generalverdacht stellen, bis hin zu unserem wunderbaren Sommermärchen". Dabei geht das FBI längst einem internationalen Betrugsschema nach, das sich nach aktuellem Stand über mindestens vier WM-Vergaben erstrecken könnte: 1998, 2010, 2018 und 2022. Auch geraten - neben den offiziell bereits Inhaftierten oder per Haftbefehl gesuchten - immer mehr zentrale Figuren des Fußballgeschäfts in den Fokus.

Zudem gibt es auch zur WM-Vergabe 2006 allerlei nicht wirklich geklärte Fragen. So gab es in der Zeit kurz vor der Vergabe im Juli 2000 Vereinbarungen zwischen Firmen des damaligen WM-Rechtehalters Leo Kirch und Verbänden von vier Fifa-Vorständen. Auch häuften sich wirtschaftliche und politische Aktionen in Ländern, deren Vertreter im Wahlgremium saßen. Zudem bleibt der denkwürdige Vorgang, dass vor der letzten, entscheidenden Abstimmung der Neuseeländer Charles Dempsey einfach die Sitzung verließ, statt - wie von seinem ozeanischen Kontinentalverband verfügt - für Südafrika zu stimmen. Es wäre das entscheidende Votum gegen Deutschland gewesen.

Sollte Blatter zurücktreten, ohne dass ein Kongress direkt seinen Nachfolger wählt, hielten die Fifa-Wirren eine besondere Pointe bereit: An die Spitze aufrücken würde interimistisch der erste Vizepräsident, der Kameruner Issa Hayatou. Der 58-Jährige zählt zu den Sportfunktionären, die Geld von der Schmiergeld-Agentur ISL erhielten. Vom Internationalen Olympischen Komitee, wo Hayatou ebenfalls Mitglied ist, erhielt er deshalb eine Rüge. In der Fifa blieb er unbehelligt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2515522
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.06.2015/sonn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.