Süddeutsche Zeitung

Olympische Spiele 2016:Operation "Schmutziges Spiel"

  • Carlos Arthur Nuzman wird bei einer Razzia zum Verhör abgeholt. Der Chef-Olympier Brasiliens soll die Spiele im eigenen Land per Stimmenkauf orchestriert haben.
  • Eine Botschaft der Operation ist: Der Unterschied zu den Ermittlungen um den Fußball-Weltverband Fifa, welche die US-Justiz leitet, liegt nur noch in der Anzahl der Festnahmen und Durchsuchungen.
  • Neben Rio hat die 2013 kreierte Pariser Sonderstaatsanwaltschaft Parquet National Financier (PNF) auch die nächsten Sommerspiele im Visier: Tokio 2020.

Von Thomas Kistner

Womöglich hat Carlos Arthur Nuzman nach all den Jahren im Olymp gar nicht mehr befürchtet, dass so etwas passieren könnte. Dienstagmorgen um sechs Uhr aber standen sie plötzlich vor der Haustür im noblen Strand-Stadtteil Leblon, die Staatsanwälte von Rio de Janeiro, sie kamen auch im Auftrag ihrer französischen Kollegen sowie der Behörden von Antigua und Barbuda. Stunden später musste Brasiliens Chef-Olympier, Ehrenmitglied im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und Organisationschef der Spiele 2016, seinen Reisepass abgeben und im Verhör die Herkunft eines sechsstelligen Geldbetrags erklären, der in fünf verschiedenen Währungen bei ihm gefunden worden war. Aber das war nur ein Detail: Nuzman, 75, soll im Zuge der Spiele-Vergabe anno 2009 massive Stimmkäufe für Rio bei Olympiafunktionären in Afrika orchestriert haben.

Die Großoperation internationaler Strafermittler in Rios Südzone heißt Jogo Sujo (Schmutziges Spiel) und birgt viele brisante Botschaften an den olympischen Sport. Erstens: Der Unterschied zu den Ermittlungen um den Fußball-Weltverband, welche die US-Justiz leitet, liegt nur noch in der Anzahl der Festnahmen und Durchsuchungen. Dabei hat IOC-Chef Thomas Bach noch vor zwei Jahren, nach ersten FBI-Zugriffen am Zürcher Fifa-Standort, den Fußballbrüdern mit Hinweis auf den alten IOC-Korruptionsskandal zur Jahrtausendwende geraten, "alles auf den Tisch zu legen".

Zweitens: Der Zuschlag für die Sommerspiele 2024 an Paris hindert Frankreich nicht daran, breite Strafermittlungen zum Thema Stimmenkauf für Olympia voranzutreiben. Neben Rio hat die 2013 kreierte Pariser Sonderstaatsanwaltschaft Parquet National Financier (PNF) auch die nächsten Sommerspiele im Visier: Tokio 2020.

Drittens: Der Zeitpunkt der jüngsten Polizeiaktionen mit elf Razzien, darunter einer in Paris, ist wohl nicht zufällig gewählt. In eingeweihten Kreisen heißt es, dass die konzertierten Zugriffe eine Woche vor Beginn der IOC-Session in Lima das Thema gezielt auf die olympische Agenda bringen sollen. Zwar ist zu erwarten, dass der Ringe-Clan der Affäre möglichst wenig Publizität geben will - nun aber überschatten die internationalen Ermittlungen das Treffen. Es wird heikel fürs IOC.

Tokios Bewerber schweigen stur

Die Verdachtsfälle in Rio und Tokio zeigen dasselbe Muster. Kurz vor den Spiele-Vergaben in den Jahren 2009 bzw. 2013 flossen Millionen über Konten im Bewerberumfeld; Empfänger waren Firmen des Sohnes des mächtigsten Afrika-Funktionärs, Lamine Diack. Der IOC-Mann aus Senegal regierte auch den Leichtathletik-Weltverband. Im Jahr 2015 flog auf, dass sein Sohn Dopingfälle gegen Geld vertuscht haben soll, seither steht Diack, 84, in Frankreich unter Hausarrest. Den Filius sucht Interpol per Haftbefehl.

Tokios Bewerber hatten einer Firma Diacks zwei Millionen Dollar für angebliche Beratungen bezahlt. Zur Frage, warum die erste Tranche an den dubiosen Kontakthändler erst drei Wochen vor der Kür floss, schweigen Tokios Bewerber bisher; sie stufen ihren Beratervertrag als so vertraulich ein, dass sie ihn nicht offenlegen wollen. Die Strafermittler sind überzeugt, Diack habe mit dem Geld Allianzen der afrikanischen Wahlleute im IOC organisiert. Beklagt wird in Ermittlerkreisen, Japans Justiz sei in der Causa sehr zurückhaltend.

Anders Brasilien: Das Land hat die Spiele schon hinter sich. Und auch hier waren zwei Millionen Dollar an Diack junior geflossen, nur drei Tage vor der Kür überwies sie der Geschäftsmann Arthur Soares, der mit seinen Firmen Rios Dienstleistungsbereich beherrschte. Gekauft wurden mit dem Geld Uhren und Schmuck, unter anderem. Besonders pikant ist zudem ein Geldtransfer am Tag der Rio-Kür von Diack an eine Firma des Ex-Sprinters Frankie Fredericks. Der Namibier ist seit 2012 IOC-Mitglied; er leitete bis März 2017 die IOC-Prüfkommission für die Spiele 2024, eine steile Karriere stand ihm bevor. Fredericks weist alle Vorwürfe zurück, das Geld sei am Wahltag ohne Bezug zur Rio-Kür geflossen.

Doch die Namibia-Verbindung zählt wie die Diack-Schiene nun zu den Kernelementen der Ermittlung. Die Fahnder haben über Berichte der brasilianischen Botschaft in Windhoek festgestellt, dass Namibias damaliger Staatschef Hifikepunye Pohamba persönlich für die Rio-Bewerbung eingespannt worden sein soll. Gespräche mit ihm wurden auch im Gouverneurspalast von Rio geführt. Sergio Cabral, Rios damaliger Gouverneur, sitzt seit Herbst 2016 wegen Korruption im Gefängnis, Gesellschaft soll ihm dort bald ein weiterer Gast der Namibia-Runde leisten: Arthur Soares.

Wie das Haus von Nuzman, ebenfalls Teilnehmer der Namibia-Runde, wurde auch das Anwesen von Soares durchsucht, der ob seines Netzwerks Rei Arthur (König Arthur) genannt wird. Seine Firmen profitierten massiv von den Spielen, mit seinem Freund Cabral soll er auch dabei korrupte Geschäfte getätigt haben. Er soll beim Zugriff in den USA geweilt haben; festgenommen in Rio wurde nur seine Teilhaberin Eliane Cavalcante.

Die US-Behörden wussten am Dienstag nicht, ob Soares illegal aus dem Land verschwand oder sich dort versteckt hielt. Interpol sucht jetzt auch ihn.

Wie ist Tokio zu den Spielen gekommen?

Rio bildet bei alledem nur den Anfang. Über die Ermittlungsresultate soll der Druck auf Tokio 2020 erhöht werden. Es wäre bizarr, heißt es in Justizkreisen, wenn dasselbe Schema, das zum Stimmkauf für Rio angewandt worden sei, auch Tokios Bewerbung prägte - in dem Fall jedoch alles sauber abgelaufen sein soll. Zumal die Japaner dies nicht auch von sich per Offenlegung aller Verträge nachweisen wollten.

Für das IOC könnte es noch übler kommen. Bei den Namibia-Prüfungen stießen die Ermittler auf Hinweise, dass Ex-Präsident Pohamba und neun hohe Offizielle auch Stipendien für ihre Kinder in China erhalten hätten; die Frage sei nun, ob es Zusammenhänge mit den Peking-Spielen 2008 gebe. Und von Nuzman, Chef des brasilianischen NOK, führt eine Spur zu Sotschis Spielen 2014. Die Pariser PNF prüft Zeugenaussagen aus Sportlerkreisen, dass der hohe Olympier einen russischen Reisepass erhalten habe - und falls das zutrifft, wofür. Als Sotschi die Winterspiele 2007 bekam, war Nuzman ein IOC-Wahlmann.

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SZ vom 06.09.2017/ska
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