Korruption bei der Fifa:Wie Deutschland die WM bekam

Dem Mehrheitsvotum für Deutschland bei der WM-Vergabe 2006 gingen zahlreiche Merkwürdigkeiten voraus. Die deutsche Politik verkaufte Waffen, die deutsche Wirtschaft investierte in asiatische Firmen. Am Ende sorgten ein Satiremagazin und ein flüchtender Neuseeländer für Aufsehen.

Johannes Aumüller

Auf einmal hatte Charles Dempsey genug. Der Neuseeländer erhob sich, murmelte etwas von persönlichen Bedrohungen und verließ den Raum, in dem sich das 24-köpfige Exekutivkomitee des Weltfußballverbandes Fifa versammelt hatte, um den Ausrichter der WM 2006 zu küren.

NEW ZEALANDER CHARLES DEMPSEY SPEAKS TO JOURNALISTS IN SINGAPORE

Charles Dempsey im Jahr 2000: Murmelnd den Saal verlassen

(Foto: Simon Thong/Reuters)

England und Marokko waren ausgeschieden. Alles war auf ein Unentschieden zwischen Deutschland und Südafrika hinausgelaufen, was für Deutschland dennoch gleichbedeutend mit einer Niederlage gewesen wäre: Denn Fifa-Chef Sepp Blatter unterstützte den Gegner, und bei Pattsituationen entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.

Es stand zwar nicht zehn zu zehn, wie sich Blatter im SonntagsBlick kurioserweise erinnert, aber es stand zwölf zu zwölf. Doch wegen Dempseys mysteriösem Verhalten hatten sich die Mehrheitsverhältnisse in dem Gremium verschoben.

Eine Enthaltung, elf Stimmen für Südafrika, zwölf Stimmen für Deutschland. Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder angeführte deutsche Delegation jubelte, das Sommermärchen nahm Gestalt an.

Seit jenem 6. Juli 2000 ist nicht abschließend geklärt, was den greisen Neuseeländer zu diesem Schritt veranlasste. Das berühmt gewordene Jux-Fax des Satiremagazins Titanic, das Dempsey in der Nacht vor der Abstimmung im Grand Hotel Dolder in Zürich erhielt und das ihm als Gegenleistung für eine Stimme für Deutschland einen Präsentkorb mit Schwarzwälder Spezialitäten sowie eine Kuckucksuhr versprach, war eher nicht der Grund.

Es verstellt vielmehr den Blick auf jene Gerüchte, die sich in fußballerischen und politischen Kreisen seitdem halten - dass nämlich in den Stunden vor der Wahl ein Koffer mit 250.000 Dollar durchs feine Züricher Hotel transportiert worden sei. Fedor Radmann, damals Vizepräsident des deutschen WM-Organisationskomitees, sagte am Sonntag dem Tagesspiegel, auf den Neuseeländer sei es gar nicht angekommen: "Dempsey hatte dem DFB zugesichert, zuerst für England zu stimmen und nach einem Ausscheiden Englands für Deutschland." Das darf man allerdings bezweifeln: Vom ozeanischen Kontinentalverband hatte er die Weisung erhalten, Südafrika zu unterstützen.

Doch nicht nur wegen des Verhaltens des vor vier Jahren verstorbenen Charles Dempsey war das Zustandekommen des Entscheids pro Deutschland dubios. Ende der neunziger Jahre hatte die entscheidende Phase für die Bewerbung begonnen - eine Bewerbung, die nicht nur der Deutsche Fußball-Bund (DFB) unterstützte, sondern auch die Politik und der Fernsehrechteinhaber Leo Kirch, der sich von einem Turnier in Deutschland mehr Einnahmen versprach als von einem am Kap.

So ging also Franz Beckenbauer für die Fotografen und Fernsehkameras auf Weltwerbetournee, die ihn bis in die Südsee führte. Nette Bilder, die faktisch aber nur wenig einbrachten. Denn während Beckenbauer öffentlichkeitswirksam um die Welt jettete, bastelten die Strippenzieher zu Hause an einer Mehrheit in jenem 24-Mann-Gremium namens Exekutivkomitee, in dem es von skandalumrankten Mitgliedern nur so wimmelte.

Wo sollten die übrigen Voten herkommen?

Die acht Stimmen des europäischen Blockes durften sie schnell als sicher erachten: vor allem als Revanche für den Ausgang der Fifa-Präsidentenwahl 1998, als der europäischen Kandidat Lennart Johansson überraschend Blatter unterlegen war. Doch wo sollten die übrigen Voten herkommen? Von den afrikanischen Mitgliedern des Gremiums wegen des Gegenkandidaten Südafrika eher nicht. Von den amerikanischen eher auch nicht, weil deren einflussreichsten Leute damals eng an der Seite von Blatter standen.

Das soll nicht heißen, dass die deutschen Strategen bei den Funktionären aus diesen Kontinenten gleich aufgaben. Als wenige Wochen vor der Abstimmung Mitarbeiter von Kirch in vier ausgesuchten Verbänden die Verwertungsrechte für Freundschaftsspiele mit Beteiligung des Beckenbauer-Klubs FC Bayern erwarben, zählten dazu auch die von Tunesien und Trinidad & Tobago, woher die beiden Fifa-Wahlmänner Slim Chiboub und Jack Warner kamen. Doch in erster Linie richtete sich der Blick der Strippenzieher auf eine andere Gruppe: den asiatischen Block.

Vier Asiaten saßen damals im Exekutivkomitee: Mohammed Bin Hammam (Katar), Abdullah Al-Dabal (Saudi-Arabien), Chung Mong-joon (Südkorea) und Worawi Makudi (Thailand). Einerseits war dieses Quartett noch sauer, weil Fifa-Chef Blatter dem asiatischen Verband einen versprochenen zusätzlichen WM-Startplatz verwehrte. Doch zugleich war merkwürdig, was sich in den Wochen vor der Züricher Entscheidung auf dem politischen und wirtschaftlichen Terrain abspielte. Da stieg beispielsweise DaimlerChrysler, das über Mercedes-Benz zu den wichtigsten Sponsoren des DFB zählt, beim südkoreanischen Autohersteller Hyundai ein - Fifa-Wahlmann Chung ist der sechste Sohn des Hyundai-Gründers.

Da verkaufte eine Firma des Thailänders Makudi plötzlich deutsche Edelkarossen - wobei: Es war gar nicht seine Firma, wie er später erklärte, sondern die Firma seiner Frau. Da kam es zu diversen Investitionen deutscher Dax-Konzerne in Asien. Und da fällte der Bundessicherheitsrat unter Kanzler Schröder nie dementierten Berichten zufolge den Beschluss, 1200 Panzerfäuste nach Saudi-Arabien zu liefern, zu dessen Königshaus auch der Fifa-Vorstand Al-Dabal zählt. Ein Zusammenhang wird von allen Beteiligten bestritten, und doch stimmte das asiatische Quartett in der entscheidenden Sitzung geschlossen für Deutschland, wie Bin Hammam später selbst zugab.

Das Problem: Selbst die Voten der acht Europäer und der vier Asiaten reichten noch nicht. Nun stand es ja erst zwölf zu zwölf, bei einer Pattsituation würde die Präsidentenstimme Sepp Blatters entscheiden. Noch sprach immer alles für eine WM 2006 in Südafrika. Musste nun noch einer der vorher umgarnten Kandidaten aus Afrika oder Amerika umkippen, um die Mehrheit für Deutschland zu sichern?

Nein. Denn plötzlich verließ der Neuseeländer Charles Dempsey das Fifa-Hauptquartier.

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