Korruption bei der Fifa:Erdbeben für den Weltfußball

Die Fifa ist korrupt. Was man schon lange geahnt hat, steht nun in Schweizer Gerichtsakten: Der "ewige" Präsident des Weltfußballverbandes, João Havelange, und sein Ex-Schwiegersohn, Ricardo Teixeira, ließen sich über Jahre schmieren. Aus einem Dokument geht jetzt hervor, dass auch Fifa-Präsident Blatter von den schwarzen Geldern in Millionenhöhe gewusst haben muss.

Zyniker würden sagen: Es war nur eine Frage der Zeit, bis es zu diesem großen Knall kommt. Der Fußball, dieses von vielen längst als verlottertes Geschäft gebrandmarkte Spiel, steht offenbar vor einer schweren Korruptionskrise. Und weil die Protagonisten der Affäre nicht irgendwelche Greenkeeper sind, sondern ehemalige und aktuelle Chefs des Weltverbandes Fifa, droht dem Sport ein Erdbeben von beträchtlichem Ausmaß.

Wie Mittwochabend bekannt wurde, war die Fifa lange Jahre ein Selbstbedienungsladen, aus dem sich Funktionäre auf dreiste Weise bereichert haben. Dies belegen Dokumente der Staatsanwaltschaft Zug, die am Mittwoch nach einem Urteil des Schweizer Bundesgerichts ans Tageslicht gelangten. Demnach haben der ehemalige Fifa-Präsident João Havelange und sein früherer Schwiegersohn Ricardo Teixeira in der Korruptionsaffäre des Weltverbandes Schmiergeld in Millionenhöhe kassiert - entsprechende Vorwürfe gegen die beiden hatte es schon länger gegeben, jetzt sind die Machenschaften auch aktenkundig.

Den Angaben zufolge erhielt der heute 96-jährige, schwer kranke Havelange, der von 1974 bis 1998 als Fifa-Boss fungierte, im Rahmen von Geschäften mit dem mittlerweile insolventen Medien- und Marketingunternehmen ISMM/ISL im März 1997 1,5 Millionen Schweizer Franken (heute umgerechnet rund 1,25 Millionen Euro). Bereits 2008 vor Gericht dokumentiert wurden 138 Millionen Schweizer Franken (umgerechnet heute rund 114 Millionen Euro), die zwischen 1989 und 2001 gezahlt wurden.

Doch nicht nur Havelange kassierte kräftig mit: Auch der ehemalige brasilianische Verbandschef Teixeira erhielt zwischen August 1992 und November 1997 mindestens 12,74 Millionen Schweizer Franken (heute rund 10,6 Millionen Euro) - und verpflichtete sich im Gegenzug zu Gefälligkeiten für ISMM/ISL. Erst im März dieses Jahres war der ohnehin umstrittene Mann aus dem Fifa-Exekutivkomitee zurückgetreten. Der heute 65-Jährige hatte den brasilianischen Fußballverband CBF 23 Jahre lang geführt - und galt lange Zeit als Ziehsohn Havelanges.

Havelange und Teixeira verwendeten bei Deals zur Verwertung von Übertragungsrechten mehrfach ihnen "anvertraute Vermögenswerte unrechtmäßig", um sich zu bereichern, wie es in den Dokumenten heißt. Ihnen wurde zudem vorgeworfen, der Fifa Provisionen nicht offengelegt zu haben und den Verband dadurch geschädigt zu haben. Die Verfahren gegen die beiden früheren Funktionäre waren allerdings nach Zahlung von hohen Geldsummen eingestellt worden.

Havelange und Teixeira wiesen die Anschuldigungen stets zurück. Die Unterlagen belegen aber, dass die Provisionszahlungen der ISMM/ISL-Gruppe bis in die 80er Jahre zurückgehen. Es ist davon auszugehen, dass diese Praktiken auch im Verband publik waren. Wie es in den Unterlagen weiter heißt, könne explizit nicht in Frage gestellt werden, "dass die Fifa Kenntnis von Schmiergeldzahlungen an Personen ihrer Organe hatte".

Zahlreiche Funktionäre verwickelt

Dem Weltverband "wird die mangelhafte Organisation ihres Unternehmens" vorgeworfen. Es habe "eine strikte interne Reglementierung" gefehlt, um mögliche verbotene Zahlungen offenlegen zu können. So überrascht es nicht, dass zahlreiche weitere hochrangige Funktionäre in den Bestechungsskandal verwickelt gewesen sein sollen.

Nicolas Leoz

Kassierte Schmiergelder in Millionenhöhe: Ex-Fifa-Chef João Havelange (re.).

(Foto: dpa)

Das gilt auch für dem amtierenden Fifa-Boss Joseph S. Blatter - er wird zwar in der Einstellungsverfügung, die der SZ vorliegt, nicht namentlich genannt. Trotzdem geht daraus hervor, dass er von Millionen-Zahlungen an hohe Funktionäre gewusst haben muss. Der Präsident, der bis 1998 als Generalsekretär und hauptamtlicher Chef der Fifa tätig war, lässt sich über die Zuordnung bestimmter Sachverhalte klar identifizieren.

Der oberste Fifa-Mann leugnet Kenntnisse auch nicht. Bei fifa.com antwortet Blatter auf die Frage, ob er Bescheid gewusst habe: "Worüber? Dass Provisionen gezahlt wurden? Damals konnte man solche Zahlungen als Geschäftsaufwand sogar von den Steuern abziehen. Heute wäre dies strafbar. Man kann die Vergangenheit nicht mit den Maßstäben von heute messen. Sonst endet man bei der Moraljustiz. Ich kann also nicht von einem Delikt gewusst haben, welches keines war."

So funktioniert Blatters Logik: Eine Mitwisserschaft an etwas, das nicht verboten war, hielt er während der Ermittlungen nicht für erwähnenswert. Angedeutet wird sein Wissen auch in dem entsprechenden Gerichtsdokumkent: "Nicht in Frage gestellt werden kann die Feststellung, dass die Fifa Kenntnis von Schmiergeldern an Personen ihrer Organe hatte", steht in dem Papier. Chef der ISL war Jean-Marie Weber, ein langjähriger Freund und Geschäftspartner Blatters, außerdem arbeitete Blatter zur Zeit der Schmiergeldzahlungen als Generalsekretär des Weltverbands. 1998 trat er dann die Nachfolge von Havelange als Fifa-Boss an - und wusste wohl ziemlich bald, was für Zahlungspraktiken im Verband herrschten.

Die Strafbehörde in Zug hatte im Mai 2010 ein Verfahren gegen die Fifa und Havelange sowie Teixeira eingestellt. Dafür hatten die Parteien insgesamt 5,5 Millionen Franken Wiedergutmachung zahlen müssen, davon entfielen allein 2,5 Millionen auf die Fifa. Die wehrte sich fortan mit den beiden Funktionären juristisch gegen die Vertreter von vier Schweizer Zeitungen und der britischen BBC, die auf Herausgabe der Einstellungsverfügung drängten. Noch im Urteil des Obergerichts Zug Ende Dezember 2011 ist die Fifa unter den Beschwerdeführern.

Nun verbreitet sie eine Stimmung, als hätten am Mittwoch in Zürich die Sektkorken geknallt aus Freude über die bevorstehende Offenlegung: "Das Bundesgerichtsurteil liegt auf der Linie, die die Fifa und der Fifa-Präsident seit 2011 verfolgen, als der Weltfußballverband seinen Willen zur Veröffentlichung der ISL-Einstellungsverfügung bekanntgab", hieß es in einer Mitteilung. Präsident Blatter sei nicht in den Fall verwickelt, das habe bereits die Staatsanwaltschaft Zug festgehalten, derzufolge "keine Schweizer beteiligt" seien.

Der Welt-Fußballverband hatte sich also erst gegen die Veröffentlichung der womöglich brisanten Einstellungsverfügung gewehrt und scheint diese nun plötzlich zu begrüßen. In den Fall involvierte Juristen sagen, die Fifa als Betroffene hätte die Publikation jederzeit selbst vornehmen können - nur haben die Verantwortlichen das offensichtlich nicht gewollt.

Das 41-seitige Papier belegt nun ein Korruptionssystem rund um die Fifa und ihre im Jahr 2001 bankrott gegangene Rechteagentur ISL. Das Dokument beschreibt neben internationalen Geldflüssen den Umgang der Fifa-Spitze mit dem Schmiersystem. Dass großes "öffentliches und weltweites Interesse" an den Inhalten des Dokuments besteht, hält nun das Bundesgericht im Urteil vom 3. Juli fest. Dieses enorme Interesse am populärsten Sport sei vergleichbar mit dem an Wirtschaft und Politik, die Medien hätten eine Kontrollfunktion.

Für Blatter kommt die Offenlegung der heiklen Akte ungünstig. Kommende Woche will die Fifa ihre Ethik-Reform vorantreiben - unter Vorsitz des Mannes, dessen Rolle als mutmaßlicher Mitwisser von Schmiergeldzahlungen an die Fifa nun genau untersucht gehört. Eine Reform-Kommission unter dem Schweizer Mark Pieth will zudem Vorschläge machen, angestrebt sind die Offenlegung der Saläre von Blatter und Co. und eine Amtszeitbeschränkung für den Präsidenten. Blatters effektive Einkünfte zählen bisher zu den bestgehüteten Fifa-Geheimnissen.

Wie Blatter selbst die Sache um die kompromittierenden ISL-Dokumente sieht, offenbarte er bei Twitter: "Das Urteil hat das bestätigt, was ich immer gesagt habe: Ich stand nicht auf der Liste," schreibt der Schweizer - für ihn ist das Erdbeben somit unter Kontrolle.

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