Süddeutsche Zeitung

Korkuts Trainerdebüt bei Hertha BSC:Im Auge des Tayfun

Beim 2:2 in Stuttgart erweist sich Herthas neuer Trainer Korkut wieder als jener monströse Pragmatiker, der er auch beim VfB schon war.

Von Christof Kneer, München

Der Trainer, der in Stuttgart geboren wurde, setzte sich nicht auf die Bank des VfB Stuttgart. Der Trainer jubelte auch nicht, als zwei Tore für den VfB fielen, stattdessen ballte er zweimal die Faust, als der Stadionsprecher ein "Tor für Hertha BSC" ansagte. Tayfun Korkut, 47, bestritt zu Hause ein Auswärtsspiel, und angesichts dieser verwirrenden Ausgangslage kann man es der Partie nicht verübeln, dass sie sicherheitshalber 2:2 endete.

Ob es sich bei diesem Ergebnis um einen guten oder um einen faulen Kompromiss handelte, das wusste der Trainer, der in Stuttgart geboren wurde, hinterher allerdings ebenso wenig wie der Coach, der in Wayne, New Jersey, geboren wurde und auf der Bank des VfB Stuttgart saß.

Es war ein seltsames Fußballspiel, das sich der VfB Stuttgart und Hertha BSC am 14. Bundesliga-Spieltag lieferten. Keine Interpretation wurde diesem Spiel gerecht, und gleichzeitig jede. Herthas neuer Trainer Tayfun Korkut konnte sich einerseits froh und glücklich schätzen, mit seiner neuen Mannschaft einen Punkt erbeutet zu haben, andererseits war sogar ein kleiner Ärger genehmigt. Hätten es nicht sogar drei Punkte sein müssen? Ähnlich, nur mit etwas anderer Akzentuierung, verhielt es sich bei Pellegrino Matarazzo, dem Coach des VfB Stuttgart. Er war genervt, dass seine Elf auf fahrlässigste Weise einen 2:0-Vorsprung verschlampert hatte, und gleichzeitig durfte er sich froh und glücklich schätzen, hintenraus nicht noch verloren zu haben.

Korkuts Hertha profitiert davon, dass der VfB Stuttgart nach 20 Minuten die Arbeit einstellt

Zu den Eigenarten dieses Spiels gehörte, dass sie es beim VfB eigentlich besser hätten wissen müssen. Andererseits: Wer ist denn noch da von damals? Dreieinhalb Jahre sind bei einem aufgeregten Traditionsklub eine lange Zeit, die Mannschaft hat sich seit damals auf elf Positionen verändert, der Manager heißt nicht mehr Reschke, der Präsident nicht mehr Dietrich, das Präsidium ist komplett neu. Nur die Fans, die diesmal allerdings nicht ins Stadion durften, hätten sich wohl noch erinnern können: an den VfB-Trainer Tayfun Korkut, der die Stuttgarter in der Saison 2017/18 zur zweitbesten Rückrunden-Elf gemacht hatte - auf genau jene Art und Weise, mit der er nun einen Punkt aus Stuttgart entführte. Vor dreieinhalb Jahren wusste niemand so genau, worauf der Erfolg dieses Rückrunden-VfB beruhte, der hoch verlässlich, aber unter keinen Umständen kreativ spielte. Es war dieselbe Geschichte, die es nun, dreieinhalb Jahre später, nochmal im Kleinen zu sehen gab, komprimiert auf 90 Minuten.

Allerdings war diese Geschichte selbst für Korkut-Kenner schwer zu erahnen, als es nach 20 Minuten 2:0 für den VfB stand. Schon bei Stuttgarts Führung (15.) durfte Omar Marmoush bemerkenswert ungestört in Richtung Berliner Tor aufbrechen, und die Bilder, die das 2:0 (19.) lieferte, kennt man sonst nur von Mannschaften, die ihren alten Trainer dringend loswerden wollen. Kein Berliner sah irgendeine Veranlassung, den einfach mal draufloslaufenden Stuttgarter Philipp Förster anzugreifen, und irgendwann schoss der Mittelfeldspieler, möglicherweise beleidigt durch die mangelnde Aufmerksamkeit, den Ball ins Tor. In diesem Moment sah das Spiel eher aus wie das anschließende Abendspiel, das 6:0 endete. Die Herthaner wirkten massiv überfordert vom Tempo des immer noch ersatzgeschwächten VfB.

Damals Gomez, jetzt Jovetic: Korkut ist kein Entwickler, er vertraut den Routiniers

Eigentlich seien all seine Teams "in der Defensive nie so anfällig gewesen", sagte Korkut am Tag danach, deshalb sei er auch "guter Dinge, dass wir das in den Griff bekommen werden". In Stuttgart verdankte sich Herthas im Spielverlauf zunehmende Stabilität allerdings weniger den Handgriffen des Trainers als vielmehr einem VfB, der nach 20 Minuten offenbar der Meinung war, es stünde bereits 6:0. Einige Spieler seien plötzlich "eigene Wege gegangen", kritisierte VfB-Coach Matarazzo seine Elf, die sich aus unerfindlichen Gründen für den Rest des Arbeitstags freinahm. Der schlaue Stevan Jovetic nutzte Stuttgarts einladende Passivität zu zwei Treffern (40., 76.).

Erst mal dürfte es für die Berliner eine recht gute Nachricht sein, dass sich der Trainer Tayfun Korkut in den drei Jahren ohne Festanstellung nicht verändert hat. Noch immer baut er seine Teams im selben 4-4-2-System wie damals beim VfB, noch immer arbeitet er mit sicherem Auge an den korrekten Abständen in der Viererkette, noch immer vertraut er Routiniers wie damals Mario Gomez und jetzt Stevan Jovetic. Und wahrscheinlich wird er sich auch bald wieder auf eine feste Startelf festlegen, die dann vor lauter Vertrauen gar nicht anders kann, als unspektakulär zu punkten. Eine innovative Weltformel muss von diesem monströsen Pragmatiker niemand erwarten, aber in Berlin sind sie jetzt ja bescheiden geworden. Im Moment reicht es ihnen schon, wenn sie den Abstand auf Platz 16 von einem Punkt auf zwei Punkte verdoppeln.

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