Konstanze Klosterhalfen:Sie nennen sie das Jahrhunderttalent

16th IAAF World Athletics Championships London 2017 - Day Two

Konstanze Klosterhalfen (li.): Bei der WM noch im Halbfinale ausgeschieden, aber sie hat schon daraus gelernt

(Foto: Matthias Hangst/Getty Images)
  • Konstanze Klosterhalfen bleibt beim Diamond-League-Meeting in Birmingham 16 Sekunden unter ihrer Bestzeit und knackt über 3000 Meter den deutschen Rekord.
  • Es ist die nächste Bestmarke einer famosen Saison.
  • Der Erfolg zeigt auch, dass sie aus dem Halbfinal-Aus bei der WM gelernt hat.

Von Johannes Knuth

Manchmal vergräbt sich ein Athlet im Frust in einem derart tiefen Loch, dass alles Schöne außer Sicht gerät; Konstanze Klosterhalfen kann davon nun auch erzählen. Die 20-Jährige hatte sich bei der Leichtathletik-WM in London vorgenommen, in den Endlauf über 1500 Meter vorzustoßen. Doch dann verließen sie im Halbfinale die Kräfte, kurz vor dem Ziel. "Nach der WM habe ich fast vergessen, wie gut meine Saison war", berichtete Klosterhalfen jetzt. Aber nur fast. Am Sonntagabend, zwei Wochen nach ihrem Aus in London, trat sie beim Diamond-League-Meeting in Birmingham an, und als wolle sie sich noch mal vergewissern, wie gut ihr Jahr tatsächlich war, knallte sie eine unwirkliche Zeit über 3000 Meter in die Landschaft: 8:29,90 Minuten; 16 Sekunden schneller als ihre bisherige Bestzeit.

Als die Reporter sie später im Ziel darauf hinwiesen, dass Klosterhalfen übrigens gerade die nationale Bestmarke von Irina Mikitenko ausgelöscht hatte, jene 8:30,39 Minuten aus dem Jahr 2000, da sagte die neue Rekordbesitzerin: "Oh."

DLV plant langfristig mit ihr

Einmal wird die junge Frau vom TSV Bayer 04 Leverkusen in diesem Jahr noch auf der Bahn auftreten, über 1500 Meter beim Istaf am kommenden Sonntag in Berlin, aber man kann es schon jetzt nicht anders sagen: Es lief bei Klosterhalfen in dieser Saison, in fast jeder Hinsicht. Sie wurde in Erfurt zum zweiten Mal deutsche Meisterin über 1500 Meter, in 3:59,58 Minuten. Sie ist in diesem Sommer die 800 Meter in weniger als zwei Minuten gelaufen (1:59,65), die 1500 Meter in weniger als vier (3:59,30) und die 5000 Meter in weniger als fünfzehn (14:51,38) - und weil das noch niemand in ihrem Alter vollbracht hat, wird sie längst als deutsches Jahrhunderttalent ausgerufen, mindestens das.

Ach ja, sie wurde über 1500 Meter auch U23-Europameisterin, quasi nebenbei. Und dann zeigte sie in Birmingham noch mal ein Rennen, das sie in dieser Tonart schon oft aufgeführt hat: Sie drängelte sich früh in die Spitze, verschärfte das Tempo wie bei einem langen Crescendo, ließ fast niemanden mehr passieren, nicht mal Hellen Obiri, die 5000-Meter-Weltmeisterin aus Kenia. Die Niederländern Sifan Hassan musste schon ihrerseits einen Landesrekord aufbieten, 8:28,90 Minuten, um die junge Deutsche hinter sich zu halten.

Im deutschen Verband und Klosterhalfens Verein wissen sie seit Längerem, dass sie eines der größten europäischen Lauftalente ausbilden, eine, die "langfristig die Weltklasseläuferinnen aus Afrika angreifen kann", wie DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska befindet. Wobei es mittel- und kurzfristig ja auch schon schlechter laufen könnte. Was freilich Erwartungen in der deutschen Szene weckt, die früher selten mit langfristigen Erfolgen bei den Läufern auffällig wurde. So steht ihnen im Verband, bei aller Euphorie, ein nicht ganz einfacher Balanceakt bevor. Sie müssen neue Ziele austüfteln, für die EM 2018 in Berlin etwa, ohne gleich alle zu erreichen.

Manchmal muss man sie bremsen

Sie müssen die 20-Jährige ab und zu bremsen, ohne ihr Grenzen zu setzen. Klosterhalfen sei mental sehr wehrhaft, unerschrocken vor Namen und Titeln, erzählte ihr Trainer Sebastian Weiß zuletzt dem Bonner General-Anzeiger. Sie neige aber auch dazu, sich manchmal mit viel Eifer zu beladen, im Höhentrainingslager im Früjhar in Südafrika etwa. "Wir können nicht Vollgas geben die ganze Zeit", sagte Weiß damals; Klosterhalfen soll ihr Können möglichst lange zum Klingen bringen. Andererseits: "Diese Lust aufs Losrennen", sagt Weiß, die wolle er ihr auch nicht nehmen. Es war ja diese Unbekümmertheit, die sie zu vielen Erfolgen trug.

Bummeln, bestätigte Klosterhalfen in Birmingham, sei eher nicht so ihr Ding. Auch wenn sie mit ihrer Tempoarbeit zuletzt im WM-Halbfinale scheiterte, als sie dem Feld zu früh und forsch enteilte, die letzten 100 Meter dann ins Ziel rollte wie ein Auto mit drei platten Reifen. In Birmingham zeigte sie, dass sie aus dieser Schule des Misserfolgs bereits gelernt hat, sie ließ die Kenianerin Obiri im Wind laufen, wartete, bis zur letzten Runde. Was sie sich vor dem finalen Umlauf gedacht habe? "Du kannst sie nicht schlagen, aber du kannst es versuchen", sagte Klosterhalfen. Dann schlug sie Obiri doch. Und jetzt? "Ich fühle mich schon selbstbewusster nach diesem Jahr", Klosterhalfen kicherte, dann fügte sie an: "Ich hoffe es zumindest."

Es wird nicht immer weiter vorwärts gehen. "Diese unbefangenen Jahre hat man am Anfang, da ist alles nur schön", hat Hindernisläuferin Gesa Krause neulich gesagt, auch erst 24, aber schon mit EM-Gold und WM-Bronze behangen. Zu den Erfolgen gesellen sich irgendwann Niederlagen, wie Krauses Sturz im WM-Finale von London. Und irgendwann prallt man an Grenzen, unweigerlich. Aber davon ist Konstanze Klosterhalfen offenbar noch ein bisschen entfernt.

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