Süddeutsche Zeitung

Kongress der Fußball-Fans:Alles außer Pyro

"Wir können über alles reden, nur nicht über dieses Thema." Vertreter der Fußball-Verbände DFB und DFL erklären während des Berliner Fankongresses die Debatte um erlaubte Pyrotechnik im Stadion für beendet. Ob das hilft? Die Fans kritisieren vor allem die Medien, Amnesty International die Polizei.

Christoph Ruf

Vorige Woche hat der DFL-Geschäftsführer einen schönen Vergleich gefunden, um die Haltung der Verbände zum Herzensthema der Ultras zu verdeutlichen. Eine Fan-Initiative wollte zuletzt das verbotene Abbrennen von Pyro-Fackeln als Vertrauensvorschuss aussetzen, um Gesprächen über die Einrichtung von Pyrozonen zu erleichtern. Im Gegenzug sollte auf das wilde Abbrennen in anderen Stadionbereichen verzichtet werden.

Diese Idee hält Hieronymus noch im Nachhinein für verquer. "In den Innenstädten herrscht eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Wenn einer verspricht, dass er vier Monate lang darauf verzichtet, 120 km/h zu fahren, ist das auch keine akzeptable Verhandlungsbasis."

Die Argumentation ist nicht unlogisch, aber etwas konservativ. Schließlich hat das Beharren auf Vorschriften das Abbrennen der Pyros bisher auch nicht verhindern können. Und auch, wenn es anmaßend von den Ultras ist, die Stadionordnung bei Bedarf als für sie nicht gültig zu betrachten - die Verletzungen entstehen wohl wirklich vor allem deshalb, weil die bis zu 2000 Grad heißen Fackeln in den voll besetzten Kurven auf Hüfthöhe gezündet werden, um den Videokameras zu entgehen.

Um im Bild zu bleiben, könnte man auch so argumentieren: Wenn selbst die klarste Gesetzeslage nicht verhindern kann, dass Autofahrer rasen, sollte man über ein Angebot nachdenken, das nur dann zu tun, wenn keine Kinder unterwegs sind.

Die Gespräche darüber sind aber definitiv beendet, wie alle Vertreter von DFB und DFL beim ersten von der Fanszene organisierten Fankongress in Berlin erneut betonten. "Wir können über alles reden", sagte Hieronymus, "nur nicht über dieses Thema." Bei allem guten Willen auf beiden Seiten fehlte der mit 500 Fans gut besuchten Zusammenkunft daher das identitätsstiftende Thema. Es blieb beim Austausch von Argumenten, die zum Teil nicht mehr taufrisch waren.

Immerhin wurde so die Stimmung in einer Szene deutlich, die sich vom offiziellen Fußball aufrichtig verkannt fühlt, nicht zuletzt von den Medien, denen Dutzende Redner Panikmache und Gewaltfaszination vorwarfen - und dabei zuweilen ein wenig übers Ziel hinausschossen. Wer von morgens bis abends zuhörte, konnte den Eindruck gewinnen, als seien Fan-Ausschreitungen wie beim Pokalspiel Dortmund gegen Dresden reine Medien-Erfindungen.

Allerdings gelang es manchem Redner auch gut zu dokumentieren, an welchen Stellen die Berichterstattung tatsächlich sensationsheischend ausfiel. Auf der Rückfahrt von einem Auswärtsspiel, berichtete ein Fan, habe einer der 500 Zugfahrer am Hannoveraner Bahnhof einen Böller gezündet. Die Pressemeldung der Polizei habe "500 Fans" und "Randale" thematisiert, worauf eine Zeitung getitelt habe: "500 Fans randalieren am Bahnhof."

Matthias Stein, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte, präsentierte Zahlen. Nach Angaben der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) hätten in der vergangenen Spielzeit 17,5 Millionen Menschen die Spiele besucht, die laut Polizeiangaben 846 Verletzten stellten einen Anteil von 0,0015 Prozent dar. Auch der Anstieg zur Vorsaison (plus 62 Verletzte) sei ein reines Medienthema.

Alexander Bosch von Amnesty International kritisierte die Polizei, sie kommuniziere zu wenig und greife oft zum "wahllosen Einsatz von Pfefferspray". Amnesty unterstütze auch die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte, um Anzeigen gegen einzelne Beamte ernsthaft verfolgen zu können. Gerne hätte man eine Replik der Polizei gehört - Gewerkschaftsvertreter betonen ja zu Recht, dass ihnen viele Fans vermummt entgegenträten. Doch die Polizei hatte am Tag vor der Veranstaltung "aus terminlichen Gründen" abgesagt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1258609
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.01.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.