Kommunikationspolitik beim FC Bayern:Umzingelt von den eigenen Freunden

Jeder Nationalsport hat seine Gurus, und der deutsche Fußball hat so viele wie nie zuvor. Ehemalige Meisterspieler wie Matthäus, Effenberg und Kahn kommentieren jetzt permanent die Hauspolitik des FC Bayern - und fordern den Klub zu Reaktionen heraus.

Klaus Hoeltzenbein

Das Guru-Wesen war ursprünglich ein Phänomen aus Österreich. Bekannt und gefürchtet besonders im alpinen Skisport. Hatte dort wieder einmal so ein aufstrebender junger Heros todesmutig seine Erstbefahrung der Kitzbüheler Streif bewältigt, die Premiere dann nächtens auf der Theke des Pubs "The Londoner" besungen, so folgte spätestens am Morgen danach bei der Zeitungslektüre die Ernüchterung. Zu lesen war in Krone oder Kurier die Einschätzung der Alpengurus, vom Sailer, Toni, dem Schranz, Karl, von Franz Klammer oder Werner "Grizzly" Grissmann, wonach der junge Himmelsstürmer sich nun mal ja nicht so viel auf seine Sause einbilden solle.

FC Bayern Oliver Kahn Stefan Effenberg

Zwei von vielen Gurus beim FC Bayern: Oliver Kahn (links) und Stefan Effenberg.

Schließlich hätten sie selbst diese Höllenfahrt schon bewältigt, als die Piste nicht gewalzt war, die Bäume mitten in der Strecke standen und Rehkitze und Winterhasen noch die Spur kreuzten. Weil die Jungen aber diese Früher-waren-wir-mutiger-Kolumne der Alten nicht unwidersprochen ertragen wollten, kam und kommt es unterhalb von Österreichs Alpenwipfeln immer mal wieder zu deftigen Spannungen, bisweilen gar am Rande zur Handgreiflichkeit. Vorgetragen in einem kernigen Ernst, der den Rest der Welt aber durchaus amüsiert.

Jeder Nationalsport hat seine Gurus, hoch dekorierte Athleten von einst, gebunden an Medienhäuser, ausgestattet mit Verträgen, für die nichts anderes gilt als im gewöhnlichen Geschäftsleben auch: Gegen gute Bezahlung muss scharf geliefert werden. So kam es im deutschen Sport zu jener Guru-Konstruktion, die weltweit einen Sonderstatus hatte. Denn dass der Präsident des größten Fußballvereins, des FC Bayern, zugleich Fußballkommentator ist bei Bild, der auflagenstärksten Zeitung des Landes, hatte nicht nur eine pikante Note, es hat sogar eine Kultur des Hausverrates hoffähig werden lassen.

Nun wird aber selbst ein Oberguru einmal müde, Franz Beckenbauer, 66, ist heute Ehrenpräsident des Vereins, doch an Nachwuchs- Gurus besteht kein Mangel, im Gegenteil. Zum Start in die 50. Bundesliga-Saison ist eine Guru-Schwemme festzustellen, und ob diese jetzt - aus der Perspektive des FC Bayern - zu begrüßen oder alsbald zu beklagen sein wird, ist völlig offen.

Auf den ersten Blick erscheint die Schwemme ungefährlich, es sind ja alles beste Freunde des Vereins. Lothar Matthäus, 51, Stefan Effenberg, 44, und Oliver Kahn, 43, waren aktiv dabei, als der FC Bayern unter dem Trainer Ottmar Hitzfeld zwischen 1999 und 2001 eine tolle Zeit mit einem verlorenen (Manchester United) und einem gewonnenen (FC Valencia) Champions-League-Finale erleben durfte (Matthäus erlebte nur das verlorene Finale mit). Diesem prominenten Trio ist aber auch gemein, dass nach dem Ausstieg aus den kurzen Hosen noch kein adäquater Einstieg in einen gestaltenden Job in einem Fußballklub gelungen ist. Auch deshalb kommentieren sie jetzt, Matthäus und Effenberg für den auf Profil-Stärkung bedachten Pay-TV-Sender Sky, während Kahn soeben seine cross-medialen Ausführungen auf der Bild-Vertriebsschiene mit der Zeile eröffnete: "Sammer wirkt eher wie ein 2. Trainer."

So leicht aber gibt sich ein Oberguru natürlich nicht geschlagen; zum Sommerloch-Dauerthema Jupp Heynckes, 67, mit dem der Franz einst Weltmeister, aber nie so richtig Freund wurde, beansprucht er weiter die Meinungshoheit. Ebenfalls über einen Hauskanal des Springer-Verlages ließ Beckenbauer wissen: "Wenn sich plötzlich alles nur noch um Sammer, Sammer, Sammer dreht, wirst du als Chefcoach natürlich eifersüchtig." Heynckes? Mit 67?

Manchmal tut es einer Mannschaft sportlich gut, wenn Zeit und Zeilen draufgehen, indem sich die Gurus als Beziehungsexperten versuchen, wenn sie untersuchen, wo es zwischen Trainer Heynckes und dem neuen Sportvorstand Matthias Sammer nun passt und knirscht. Der Saisonstart mit dem 3:0 in Fürth war jedenfalls konzentriert und vielversprechend, und dies, obwohl der von Matthäus via Sky verkündete Wetterbericht ein "wahnsinniges Explosionsmaterial" bei seinem einstigen Arbeitgeber entdeckt haben will.

Mehmet Scholl ist ungefährlich

Es ist legitim, wenn sich der eine gut bezahlt als Wetterfrosch verdingt und der andere als Partnerschafts-Ratgeber, die Frage ist nur, wie der Verein damit umgehen wird. Bekannt ist der FC Bayern für seine Nehmerqualitäten nie gewesen, Vorstand Karl-Heinz Rummenigge ist soeben erst in Fürth durch die Katakomben gestürmt und hat Medienvertretern wegen unbotmäßiger Berichterstattung mit "Post aus Hamburg" (dort sitzt der Hausanwalt) gedroht. Sie hätten ja schon gerne eine Art Wagenburg, die dicht hält, nun aber, durch die neue Lage an der Guru-Front, müssen sich die Offiziellen bereits heute umzingelt wähnen von ihren telegenen, twitternden, bloggenden Fußball-Freunden. "Friendly fire" nennen es Kriegsberichterstatter, wenn in Panik oder aus Versehen auf die eigenen Leute geballert wird.

Zum Beispiel beim Transfer von Javier Martinez. Der FC Bayern gibt sich alle Mühe, der Öffentlichkeit vorzurechnen, dass es sich im Falle des Basken eben nicht um den teuersten Transfer der Klubgeschichte handelt. Der Spieler soll die Ablöse nicht als Ballast in die Saison tragen. Allerdings müssen jetzt echte Rechenkünstler ran, um den Wechsel, der an diesem Mittwoch besiegelt werden soll, bei einer festgeschriebenen Ablöse von 40 Millionen Euro irgendwie doch nicht als den Bundesliga-Rekordtransfer erscheinen zu lassen. Martinez, 23 , ist defensiver Mittelfeldspieler, diese Position hatte einst Sky-Experte Effenberg inne, der sagt: "Du löst vielleicht ein Problem (. . .), aber du kreierst ein neues. Du verpflichtest Martinez, aber du hast noch vier Leute im defensiven Mittelfeld, die auch den Anspruch haben zu spielen."

Auch Matthäus regierte einst dort, in der Zentrale, heute kommentiert er: "Er ist ein hoffnungsvoller Nachwuchsspieler. Er hat im spanischen Fußball bisher nichts erreicht. Er hat weder bei Barcelona noch bei Real Madrid gespielt. (. . .) Aber es ist nun mal eine festgeschriebene Ablösesumme. Bisher hat er noch nicht bewiesen, dass er das Geld wert ist. Es ist eine neue Liga, eine neue Sprache. Es ist also schon ein riskanter Transfer." Bei so vielen, fachlich begründeten Argumenten wird es schwer, die Klublinie durchzuhalten. Zumal all die Gurus auch gerne im Ausland zitiert werden und dort das Image des Klubs prägen.

Die Münchner sind ja einiges gewohnt, sie sollten sich nur nicht wundern, wenn es in dieser Saison noch schwerer wird, in ihrem vielzüngigen bayerischen Babylon sportlich auf Kurs zu bleiben. Schließlich gibt es da noch einen, der frei Schnauze aufs eigene Nest geballert hat. Als Mehmet Scholl bei der Europameisterschaft jenen Satz sagte, den sein stürmender Vereinskollege Mario Gomez so schnell nicht mehr los wird ("Ich hatte zwischendurch Angst, dass er sich wund gelegen hat, dass man ihn wenden muss"), rätselte das Publikum, in welcher Funktion er da angetreten war. In seiner Eigenschaft als ARD-Experte? Oder doch als Angestellter vom Gomez-Klub FC Bayern, bei dem Scholl die zweite Mannschaft trainiert?

Scholl kommentiert munter weiter, allerdings auch die Spiele seines Arbeitgebers, was zwangsläufig so wirken muss, als dürfe Regierungssprecher Seibert auf ARD-Honorarbasis permanent die Regierungspolitik von Angela Merkel interpretieren. Gefahr für den Münchner Betriebsfrieden geht von Scholl derzeit jedoch kaum noch aus, zuletzt wirkte es so, als habe er über den Sommer von Uli Hoeneß zwei, drei Kilo rot-weiße Betriebskreide verabreicht bekommen.

Es ist ja nicht so, dass der FC Bayern nicht wüsste, wie so ein Guru, über den die Kontrolle verloren ging, wieder einzufangen wäre. Als Paul Breitner via Bild einst zu giftig wurde, bekam er doch noch einen Job in der Firma übertragen. Was bei Matthäus nicht so einfach wäre, schließlich hat Hoeneß schon 2002 verfügt: "So lange ich und der Kalle Rummenigge was zu sagen haben, wird der nicht mal Greenkeeper im neuen Stadion." Vielleicht hat er sich da zu früh festgelegt. Denn wenn all die Freunde des Vereins wenigstens Greenkeeper wären, wäre es ruhiger. Aber dann wäre der FC Bayern auch nicht mehr der aufgeregteste Unterhaltungsbetrieb der Republik.

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