Kommentar:Zeitalter der Aufklärung

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Schutz gegen Geld: Die mutmaßlichen Machenschaften in der Leichtathletik kennt man höchstens aus Mafia-Filmen.

Von Joachim Mölter

So unfassbar dreist wie das jüngste Schmieren- und Schurkenstück des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF auch erscheinen mag, so wenig dürfte es einen halbwegs sportinteressierten Menschen grundsätzlich noch überraschen. Man ist ja allein in diesem Jahr auf allerhand vorbereitet worden: auf korrupte Spitzenfunktionäre durch den Skandal im Fußball-Weltverband Fifa; auf Machenschaften bei der Dopingvertuschung durch die Affäre Armstrong im Rad-Weltverband UCI.

Zur Erinnerung an Letztgenanntes: Ein im März diesen Jahres veröffentlichter Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission hatte ergeben, dass es die Union Cycliste Internationale (UCI) unter Führung der Präsidenten Hein Verbruggen (Niederlande) und Pat McQuaid (Irland) jahrelang unterlassen hatte, den Amerikaner Lance Armstrong "trotz Verdächtigungen gezielt zu testen", wie moniert wurde, und dass sie ihn sogar noch "öffentlich gegen Dopinganschuldigungen unterstützte". In diesem Zusammenhang ist auch eine Zahlung von 125 000 Dollar von Armstrong an die UCI belegt. Dass damit positive Dopingproben des nach eigenem (wenn auch späten) Bekunden jahrelang dopenden Armstrong vertuscht worden sind, konnte zwar nicht explizit nachgewiesen werden. Aber dass der Amerikaner die seinerzeit als "Spende" deklarierte Zahlung aus reiner Barmherzigkeit geleistet hat, vermag man sich bei aller Fantasie kaum noch vorstellen. So eine "Spende" erinnert jedenfalls eher an Mafia-Filme: Schutz gegen Geld. Oder auch an frühchristlichen Ablasshandel: Verzicht auf Sündenstrafen im Gegenzug für fromme Werke. Dazu gehörten während der Renaissance zunehmend auch Geldspenden. Auf Einnahmen aus dem sogenannten Almosenablass ist im Übrigen der Petersdom in Rom errichtet worden.

Die Machenschaften erinnern an frühchristlichen Ablasshandel

Der schwunghafte Ablasshandel hat erst im Zeitalter der Aufklärung nachgelassen, doch das hat im Sport gerade erst angefangen. Legt man die jüngsten Erkenntnisse aus der Leichtathletik zugrunde, dämmert das Bild eines furchterregenden Systemzwangs herauf, in den Athleten heutzutage geraten: Um als Profis Geld zu verdienen, sind sie fast genötigt, mit unerlaubten Mitteln nachzuhelfen, für die sie bei skrupellosen Ärzten, Trainern und sonstigen Hintermännern bezahlen müssen. Und wenn sie dann mal erwischt werden, zahlen sie an nicht minder korrupte Funktionäre dafür, dass man sie laufen lässt, indem Beweise unter Verschluss gehalten werden.

Es ist das Übel des modernen Sportbetriebs, dass immer mehr Geld ins Spiel kommt, durch Sponsoren, durchs Fernsehen. Wo aber viel Geld ist, sind auch viele Geier, und wo viele Geier kreisen, muss für gewöhnlich etwas sterben. In diesem Fall ist es der Sport.

© SZ vom 09.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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