Kommentar:Wut-Schnipsel in der Blase

Bei den US Open stauen sich die Fragen zu den vielen schwer nachzuvollziehenden Entscheidungen des Veranstalters in Sachen Corona. Diese mangelnde Transparenz ist fatal, für den Sport und für die Öffentlichkeit.

Von Jürgen Schmieder

Braucht es Sportjournalisten bei einem Sportereignis - wenn das doch auch im Fernsehen übertragen wird? Wieso sitzen beim Geisterfußball Reporter hinter ihren Masken auf den Geistertribünen, wenn sich doch das Siegtor, über das sie schreiben, viel bequemer und in Zeitlupe am Bildschirm anschauen ließe? Wieso reisen Berichterstatter bei der Tour de France auch in diesem Jahr von Etappenort zu Etappenort, obwohl der Zielsprint hinter Absperrungen kaum zu erkennen ist? Weil es halt auch im Sport um mehr geht als nur um die Bilder. Bei den US Open zeigt sich gerade, was passiert, wenn den Veranstaltern ihre eigenen Bilder genug sind.

Es gibt offenbar ein paar Tennisspieler in New York, die wollen lieber gestern als heute raus aus der Blase, die um sie herum errichtet worden ist, um das Grand-Slam-Turnier Corona-kompatibel ausrichten zu können. Sie posten Ärger- und Wut-Schnipsel auf Twitter und Instagram. Man wüsste gerne mehr. Aber es gibt kaum Journalisten, die berichten können, was wirklich los ist in der Blase. Weil eben kaum jemand rein darf.

Klar, es ist wegen der Corona-Pandemie notwendig, die Zahl der Leute auf der Anlage so gering wie möglich zu halten. Es sind jedoch pro Tag noch immer mehr als 3200 Menschen da. Linienrichter, trotz Hawk-Eye-Live-Technologie. Baristas, trotz Kaffeeautomaten. Journalisten aber so gut wie keine, trotz vieler Fragen.

Die drängen sich nach dem positiven Corona-Test von Benoît Paire geradezu auf: an die Spieler, an die Veranstalter, an die Gesundheitsbehörde des Bundesstaates New York. Es gibt nur kaum jemanden, der sie innerhalb der Bubble stellt. Der amerikanische Tennisverband USTA hat mit Verweis auf Privatsphäre zunächst nicht einmal Paires Namen genannt. Es gab keine Bestätigung, dass zehn weitere Profis als Kontaktpersonen mitbetroffen sind - und dass für sie eilig verschiedene neue Sicherheitsprotokolle vereinbart wurden. Es gab keine Informationen über den Inhalt der neuen Regeln. Und nichts darüber, dass sich offenbar der Bundesstaat und die Stadt New York über diese Protokolle nicht einig sind - mit absurden Folgen für die Betroffenen.

Was es gab: eine knappe 49-Wörter-Pressemitteilung, die sich auf das Drittrundenmatch Alexander Zverevs gegen Adrian Mannarino bezog. Da der Franzose in Kontakt zu Paire gestanden war, wurde geprüft, ob er gegen den Deutschen überhaupt würde antreten dürfen. Er durfte (und verlor). Aber viel mehr erfuhr keiner über die Abläufe. Das Informations-Mauern gab der Veranstalter sogar selbst zu: "Wegen der heiklen medizinischen Aspekte ist die USTA nicht in der Lage, nähere Angaben zu machen."

Diese mangelnde Transparenz ist fatal, für den Sport und für die Öffentlichkeit. Sie nährt unnötig wilde Spekulationen. Sollte jemand einwenden, dass doch die TV-Experten des US-Rechte-Inhabers ESPN in der Blase seien, dem sei gesagt: Als das Zverev-Mannarino-Match in die entscheidende Phase des ersten Satzes ging, wurde als Erklärung für den verspäteten Beginn - kein Witz - Wort für Wort die Pressemitteilung der USTA verlesen. Und dann zurück zu den Bildern geschaltet.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: