Süddeutsche Zeitung

Weltmeister Frankreich:Triumph der pfeilschnellen Fallensteller

Dieses turbulente Finale wirkte wie ein Konzentrat des WM-Turniers: Eigentor, Videobeweis, wellenartiger Spielverlauf - und Frankreich kann doch mehr als nur Sicherheitsfußball.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Siegerehrungen sind immer auch eine Staffelstab-Übergabe. Der eine bringt den Pokal, der andere nimmt den Pokal. Für den einen wird damit das Ende einer Ära besiegelt, für den anderen womöglich auch schon, er erfährt es aber definitiv erst vier Jahre später, wenn die "Mission Titelverteidigung" früh und schmucklos scheitern kann wie jetzt die deutsche. Dass mit dem Finalsieg von Rio 2014 zugleich der Höhepunkt erreicht war, hatte Philipp Lahm, damals Kapitän, visionär erahnt - er teilte in der Nacht des Triumphes seinen Rücktritt mit.

In Moskau reichte Lahm die Trophäe weiter, die nicht grundlos einem Zepter ähnelt. Abzuwarten bleibt, ob es die Franzosen 2022 in Katar besser machen als jetzt die von Überalterung und Zermürbungsdebatten geplagten Deutschen. Allerdings ist diese Équipe tricolore - aus der Perspektive ihrer Konkurrenz - pfeilschnell und gefährlich jung.

Das turbulente Finale wirkte auch deshalb wie ein Konzentrat des Turniers: Eigentor der Kroaten, diskutabler Handelfmeter nach Videobeweis, insgesamt ein Spielverlauf, der höchst eigentümlich zu Gunsten der Franzosen kippte. Dazu kopierten sie das, womit sie zuvor schon alle entnervt hatten: zogen Riegel, ließen den Gegner toben, bauten ihre Falle, in die auch die cleveren Kroaten tappten.

So entwickelte sich eine wilde Sause, dargeboten von zwei Finalisten, die jene oft zitierte Die-Mannschaft-ist-der-Star-Parole (Copyright: Berti Vogts) mit neuen Inhalten füllten. Denn dass nicht der Einzelne, sondern nur die beste Gruppe so eine WM gewinnen kann, war in all der Hysterie um die marktbeherrschenden Figuren des Klubfußballs, Messi, Ronaldo, Neymar, fast in Vergessenheit geraten. Eine WM ist eine Expedition mit maximal sieben Etappen - die Pflicht kommt vor der Kür, Sicherheit vor Spektakel bei solchen Seilschaften auf Zeit. Das ist die strenge Lehre von Trainer Deschamps, dem Maître de Teamgeist der Franzosen.

Die Kroaten stellten all dem ihre anarchische Solidargemeinschaft entgegen. Verloren hat das Finale deshalb jene Elf, die dieser WM die besseren Geschichten hinterließ mit drei zehrenden Siegen nach Verlängerung. Triumphiert hat hingegen jene, die mittels Fallenstellen nicht nur Hartgummi wie Argentinien (4:3) aus dem Weg räumte. Sondern auch eine nach dem Halbfinal-1:0 von den Belgiern erhobene, bittere Anklage: Anti-Fußball!

Vier Tore hob sich der neue Taktik-Champion dazu fürs Finale auf. Sicher, bei manchem war das Glück erzwungen. Doch Anti-Fußball? Jedes Tor ein Veto, gekoppelt an die Botschaft: So spielt der Weltmeister, er wird noch länger nerven.

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Quelle:
SZ vom 16.07.2018/jbe
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