Kommentar:Wie das IOC Russland durchwinken könnte

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Werden bei Olympia 2018 russische Athleten jubeln - wie hier der inzwischen gesperrte Alexander Legkow (Mitte)? (Foto: AP)

Ein brisantes Tagebuch taucht auf, in einem Doping-Urteil stehen beachtliche Sätze: Es wäre immer absurder, sollte das russische Team bei Olympia starten dürfen. Doch genau das passiert womöglich.

Kommentar von Johannes Knuth

Der Satz liegt etwas versteckt im Dickicht aus trockenen Paragrafen und Rechtsformeln, aber das nimmt ihm nicht die Wirkung. Verfasst hat ihn eine Kommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Sie erklärt in einem am Montag publizierten Urteil, warum der russische Langläufer Alexander Legkow seine Goldmedaille von den Winterspielen 2014 in Sotschi verlor und nie wieder bei olympischen Leistungsmessen starten soll. Legkow, heißt es also, sei Mitspieler gewesen in einer "Verschwörung, die die Olympischen Spiele in der am schlimmsten möglichen Weise infiziert und untergraben hat".

Der Athlet, und das ist nun die Kernbotschaft der jüngsten IOC-Schrift, wurde also nicht seiner olympischen Bürgerrechte beraubt, weil er betrog. Sondern weil er in einen viel größeren Betrug eingespannt war, der sich im Weltsport jahrelang ausgebreitet hat wie ein Mega-Virus.

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Verschwörung. Untergrabung. Infekt. Diese Worte tragen eine Signalwirkung weit über Legkows Fall hinaus in sich. Die IOC-Kommission hat in ihrem Urteil nun zwei - längst überfällige - Standpunkte festgezurrt. Erstens lobt sie nochmals die Funde des kanadischen Ermittlers Richard McLaren, der schon im Juli und Dezember 2016 nachwies, wie tief und systemisch der Betrug in Russland wurzelte (was das IOC vor den Rio-Spielen noch wegmoderierte). Dieses Dopingnest sollte Medaillen bei den Heim-Spielen 2014 beschaffen, Positivproben vertuschen, abgeschirmt von Geheimdienst und Staat. Aber nicht nur in Sotschi - rund 1000 Sportler profitierten.

Brisante Tagebücher aufgetaucht

Außerdem hebt das IOC jetzt den Kronzeugen Grigorij Rodtschenkow in den Stand des "glaubwürdigen Zeugen". Der ehemalige Moskauer Laborleiter war einer der wichtigsten Mitwisser, er führte seine Erkenntnisse erst McLaren zu, später der US-Kriminalpolizei. Mittlerweile sind auch dem IOC bislang unbekannte Tagebücher Rodtschenkows bekannt, die in noch stärkeren Farben ausmalen, wie der Staat den Betrug lenkte.

Vor allem von Ex-Sportminister Witalij Mutko. Interessant ist das alles deshalb, weil das IOC und sein deutscher Präsident Thomas Bach am kommenden Dienstag darüber richten wollen, ob Russland für eine derart kollektive Verschwörung auch kollektiv ausgeladen wird, von den Winterspiele im Februar in Südkorea. Legkows Urteilsschrift führt diesbezüglich einen zweiten interessanten Satz: Der russische Betrug habe bislang "noch keine angemessenen Sanktionen nach sich gezogen". Diese kann nur ein Kollektivbann sein, eigentlich. Denn wenn einzelne Athleten in die Verbannung gejagt werden, auch weil sie in einem System eingepfercht waren - wie absurd wäre es, sollte das System davonkommen?

Nun öffnet Legkows Urteil den höchsten Olympiers - rein zufällig - auch ein paar Hintertüren. McLarens gelobte Berichte sprechen zwar von einer "institutionellen Verschwörung", sie werden aber oft dort schwammig, wo es um die Eckpfeiler geht: Staat, Fußball-WM, das russische olympische Komitee (NOK). Das ist - auch rein zufällig - jenes Organ, das vom IOC sanktioniert werden müsste, um einen olympischen Kollektivbann herbeizuführen. Es ist kaum vorstellbar, dass just diese Behörde nicht in den systemischen Betrug eingeweiht war; McLaren und Rodtschenkow schildern auch Treffen mit Irina Rodionowa, einer Ex-Mitarbeiterin des NOK. Andererseits hat der Ringe-Clan schon vor Rio bewiesen, dass ihm kein Schlupfloch zu klein ist, um Russlands mächtig vernetzten Sport durchzuwinken. Sauber!

© SZ vom 29.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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