Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Olympia in Rio: Ein Arm schwimmt in der Segelbucht

Stechmücken mit Zika-Virus? Eine Kloake als Segelrevier? Schlimm für die Sportler, aber noch schlimmer für die Menschen vor Ort. Die Spiele werden ihnen kaum was bringen.

Kommentar von Claudio Catuogno

Der abgetrennte Arm eines Menschen treibt in der Guanabara-Bucht vor Rio de Janeiro, er wird ans Ufer gespült, jemand fotografiert ihn, die Internetseite der Zeitung O Globo veröffentlicht das Bild. Dann geht die Geschichte um die Welt. Und das ist natürlich auch eine schlimme Geschichte, denn man muss ja annehmen, dass zu diesem Arm mal ein Körper gehört hat.

Ein Mensch ist auf grausame Weise zu Tode gekommen. Ertrunken? Ermordet? Es gäbe jetzt einigen Anlass, darüber zu sprechen, wie viele Menschen in dieser rauen Stadt Tag für Tag zu Tode kommen, im Straßenverkehr, in den Favelas, als Opfer von Überfällen oder auch von Polizeigewalt. Aber worüber spricht die Welt, wenn sie von diesem abgetrennten Arm in der Bucht erfährt? Über die Wasserqualität im olympischen Segelrevier.

Auf dem Foto sieht man den Arm kaum vor lauter Müll und giftigem Schaum

Die Guanabara-Bucht ist 380 Quadratkilometer groß, das sind etwa zwei Drittel der Fläche des Bodensees. Im Bodensee, schätzt die Wasserpolizei, treiben mehrere hundert Leichen, irgendwann ertrunken und nicht wieder aufgetaucht. Im Sommer ist der Bodensee ein Badeparadies. Ein Stück menschliches Treibgut ist noch nicht das Problem, aber im Fall der Guanabara-Bucht versinnbildlicht es das Problem auf besonders drastische Weise. Auf dem Foto ist der Arm kaum zu erkennen vor lauter Müll und Dreck und giftigem Schaum.

Wenn eine Stadt Olympia ausrichtet, wird alles im Lichte der Spiele gedeutet. Ein Stechmücke namens Aedes aegypti überträgt in Brasilien gerade das Zika-Virus, das bei ungeborenen Kindern Missbildungen auslösen kann? Oh Gott - was, wenn einige der Sportlerinnen schwanger sind? Und die Bucht am Zuckerhut, in der im Sommer um Medaillen gesegelt wird, ist eine Kloake, in manchen Bereichen klinisch tot? Ach herrje - dann kriegen da womöglich ein paar Segler Hautausschlag oder Durchfall!

Das versprochene Vermächtnis der Spiele fällt aus

Man muss manchmal daran erinnern, dass in Rio auch vor und nach den 17 olympischen Tagen Menschen leben. Junge Frauen, die schwanger sind, sich aber keine Moskitonetze leisten können. Fischer, deren Boote zu klapprig sind, um damit aufs offene Meer hinaus zu fahren, und die ihre Netze deshalb tagein tagaus in der giftigen Brühe auswerfen. Die Sorgen um Olympiasegler - so berechtigt sie sind - müssen ihnen ein wenig wohlfeil vorkommen. Wenn diese Menschen überhaupt etwas mit den Spielen verbindet, dann ist es ein Versprechen, das ursprünglich mal mit ihnen einherging: die Guanabara-Bucht um 80 Prozent sauberer zu machen. Das sollte das Vermächtnis der Spiele sein. Das Vermächtnis fällt leider aus.

Zehn Millionen Menschen leben an der Bucht, 4,4 Millionen sind an ein funktionierendes Abwassersystem angeschlossen. Für den Rest eine Kanalisation und Kläranlagen zu bauen, wäre ein Projekt, das Jahrzehnte in Anspruch nimmt. So viel Zeit hatte das Internationale Olympische Komitee natürlich nicht, als es die Spiele 2008 an Rio vergab. Nun, man hätte wenigstens mal substanziell damit anfangen können. Aber andererseits muss man ja auch Verständnis haben für Rios Administration, der gerade anderes wichtiger ist als Kläranlagen. Es sind ja auch längst noch nicht alle Sportstätten fertig gebaut.

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Quelle:
SZ vom 01.03.2016/schm
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